Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 1/2, 1960

4275 Meter hoch und übertrifft bei weitem das Edelweiß. Während der Gipfelrast erinnern wir uns noch einmal an das Geschaute. Wie herrlich, daß wir Menschen der Alpen in wenigen Stunden alle Vegetationsstufen durchwandern können. In der Horizontalen müßten wir einen Weg bis zum Nördlichen Eismeer (4000 km) zurücklegen, um alle Pflanzenregionen, vom Mischwald bis zur nivalen Zone, kennenzulernen. Im Karst Wenn wir die Nadelwaldzone und den Latschengürtel ver lassen haben, treten wir zwischen 1700 und 2400 Meter Höhe in das freie, verkarstete Kalkland. Wo die chemische Erosion während des Sommers größer ist als der winterliche Spaltenfrost, liegt die Hauptverbreitung der Karrenfelder. Sie entstehen aufGrund der Löslichkeit des Kalkes durch das Regen- und Sickerwasser. Mit Kohlensäure gesättigtes Wasser verwandelt den schwer löslichen kohlensauren Kalk und schafft am Fels Rinnen oder Karren, die in Fließrichtung des Wassers angelegt sind. Manche Kalk platten und Gesteinsblöcke sind zerfurcht von vielen parallelen Rillenkarren, zwischen denen oft messerscharfe Grate stehenbleiben, die wir Schratten nennen. Wenn dann noch dazu der fast ebene Kalkboden von Karren und Schratten, Klüften und Rissen zerschnitten ist, wird das Gelände für Mensch und Tier schwer begehbar. Wir müssen hier sehr achtgeben. Wie leicht kann es geschehen, daß man den Schuh auf eine messerscharfe Schratte setzt, in die Karre abrutscht und den Fuß bricht. Man soll beim Gehen, das Schrittmaß genau berechnend, die Beine hochheben und sie exakt aufsetzen. In diesem Gelände wird man zum Lipizzaner. Dieser Vergleich ist nicht zufällig gewählt. Die Pferde der Spanischen Hofreitschule sind nach dem Orte Lipizza bei Triest benannt. Dort waren die Tiere im Karst aufgewachsen und mußten die Karren felder langsam, bedächtig lernend, förmlich im „Staccato" überqueren, um zu den Weideflächen zu gelangen. Die Karren erledigten also die Vordressur. Was man in Wien heute, nach dreihundert Jahre alter Reitpferdedressur mit Frack, weißer Hose und Zweispitz auf den Schimmel hengsten vorführt und zur Ehre Österreichs erreichte, ist wohl eine Ausbildung, Verfeinerung und Steigerung im Karst erlernter, später angeborener und ständig weiter vererbter Anlagen, Kräfte und Fähigkeiten. In tieferer Lage werden die Karren unter dem Einfluß der Humussäure stumpf. Sie beherbergen Moose, Farne und den Eisenhut (Aconitum), der aus Vorliebe mit dem Fuß im Wasser und mit dem Kopf in der Sonne steht, wie die Dattelpalmen von Elche. Höher oben werden die Kalkplatten durch Spaltenfrost so stark zersplittert, daß Scherbenschutt entsteht. Die Entwässerung der Karstlandschaft erfolgt unterirdisch. Das Wasser verschwindet in Lösungstrichtern, Dolmen, Schlucklöchern oder Ponoren der Oberfläche und kommt an wasserundurchlässigen Horizonten der Hänge und am Fuße des Gebirges in Karstquellen wieder zutage (Wald bach- und Pießling-Ursprung). Vegetationsarmut kenn zeichnet die Karstlandschaft und veranlaßte den Menschen zu besonderer Namengebung (Totes Gebirge, Plateau am Stein, Steinernes Meer). Dachsteinblick Wie oft haben wir es schon im oberösterreichischen Bergland erlebt, daß unser Blick vom weiß aufleuchtenden Signal des Dachsteins angezogen wurde. Bei einer Gipfelrast hatten wir dann Zeit zum Nachdenken gefunden über Werden, Sein und Vergehen der Gletscher. Der Nebel im Traunseebecken regt die Assoziationstätigkeit besonders an. Er verschleiert, macht Konturen und Einzel heiten der Landschaft am See unsichtbar. Das ist gut so. Er erfüllt den Trog, wie einst das Gletschereis. Die linke Eisrandhöhe zur Zeit der größten Vereisung ist heute an der Schliffkehle des Sonnsteins nachweisbar. Ein Zufall, daß die obere Nebelgrenze gerade den Knick dieser Fels kanzel bestreicht, die, weit in den See vorgeschoben, zum besten Aussichtsberg über den Traunsee wurde. Als Schub fetzen vom Höllengebirge losgetrennt, bedingte er die Krümmung des Eisstromes im Zungenbecken und damit die Verlegung des Eisstromstriches. Prall- und Gleithang sind dadurch deutlich unterschieden. Vom Traunstein aus sieht man über der Gipfelflur die Geburtsstätte des Eisstromes noch deutlicher. Wie ein Pult, nach dem Norden geneigt, hat sie die Eismassen veranlaßt, der eigenen Schwere folgend und geschoben durch das neugebildete Eis, in der großen Flußfurche nach dem Vorland hin abzufließen. Heute hat es sich in das breite Nordkar zwischen Gjaidstein—Taubenkogel und Hoch kreuz—Ochsenkogel zurückgezogen. Ein Sinken der Tem peratur im Jahresmittel um rund 8''G würde genügen, um gleiche Verhältnisse herzustellen, wie sie zur Eiszeit, 700.000 bis 10.000 Jahre v. Chr., bestanden. Damals war das Eis über den Plateaurand des Dachsteinmassivs ge strömt. Vorbei am Hohen Krippenstein, Zwölferkogel und Hirlatz, erreichte es, Eisgassen bildend, das Tal, schürfte den Fjord des Hallstätter Sees aus und lagerte im Trauntal fruchtbare Moränen ab. Am Alpenrand vertiefte es die Wanne des Traunsees, schuf den Boden für die Seestadt Gmunden und hinterließ weit im Vorland fruchtbaren Boden. Damit wird uns erst beim Anblick des Hallstätter Gletschers wieder so recht bewußt, welch formgebende Kraft dem Eisstrom innewohnt, wie sehr durch ihn der Formenschatz des Salzkammergutes bereichert wurde und wie groß seine wirtschaftliche Bedeutung für uns Menschen ist. In der Gösau An schönen Sommertagen kurvt Auto um Auto unter der Soleleitung durch, den Gosauzwang aufwärts. Vorbei geht es an Bannwäldern,welche die Straße in der Erosionsschlucht vor Lawinen schützen. Entlang des Bachbettes künden riesige Steinkugeln und kalkweiße Auswaschungsränder von der gewaltigen Kraft des Gosaubaches zur Zeit der Schneeschmelze und des Hochwassers. Das Tal ist eng und die Himmelslinie schmal. Beim Klaushof löst befreites Aufatmen das beklemmende Gefühl. Vor uns liegt die Weitung des Gosautales mit seinen grünen Wiesen und dem dunklen Waldsaum. Die Straße schmiegt sich den sanften Wellen der Moränenkuppen an. Paarhöfe mit wetterbraunem Gebälk stehen auf der Tallehne. Im Hintergrund tauchen schon die Berge des Gosaukammes auf. Nahe der Buntsandsteinkuppe der Zwieselalmhöhe sind es die Donnerkögel,denen der Angerstein, die Mandlkögel und die Großwand folgen. Rund tausend Meter hoch ragen die schroff geformten Korallenkalkriffe über die Talsohle und verweisen auf ihre Entstehung in einem warmen Meere während des Erdmittelalters (vor rund 200 Millionen Jahren). Den Dolomiten gleich, laden griffiger Fels und steile Wände, Kanten, Kämme, Verschneidungen, luftige Grate, breite Kamine, schmale Risse, Überhänge, Türme und Nadeln zum Klettern ein. Der Blick vom Kapellenweg über die Gosauer Kirchspitzen zum Kamm ist unvergeßlich. Beim Gosauschmied verengt sich plötzlich das Tal und 58

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