Leider gibt es im Kalk keine großen Almböden. Meist sind es nur mit Gletscherschutt und Fließerde aufgefüllte Dohnen. Nahezu kreisrund und sattgrün heben sie sich deutlich von den pflanzenarmen, hellen, verkarsteten Böden der Umgebung ab. Die Grün-Weiß-Linie ist eine Lebens linie. Sie wirkt wie ein Signal für Pflanze, Mensch und Tier. Mit einem Schritt kann man über sie hinweg die Geborgen heit der Bergoase gegen die Kampfzone außerhalb ver tauschen. Unwillkürlich müssen wir an den Bringer der Fruchtbarkeit, den Gletscher, denken, der besonders zur Daunzeit (rund 9000 Jahre v. Chr.) das Gesteinsmaterial weithin verfrachtete und die Dolinentrichter mit Moränen plomben versah. Fleute ist der Boden gletschernah nackt, ausgeräumt und abgeschliffen, gletscherfern teils aufge schottert, bewachsen und fruchtbar. Wie deutlich werden wir mit diesem Beispiel an die Entblößung Nordeuropas durch das Gletschereis während der Eiszeiten erinnert. Die fruchtbaren Moränenböden von Dänemark und Nord deutschland hingegen sind ein Geschenk Skandinaviens. Beim Höhersteigen treffen wir an trockenen, besonnten Plätzen die Wetter- oder Silberdistel (Carlina acaulis), einen Korbblütler. An Regentagen ist das Körbchen geschlossen, und wir drängen an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. An Sonnentagen jedoch spreizen die silber weißen Blätter des Hüllkelches ab und geben den Blüten korb frei. Wie kleine Silbersonnen sehen sie dann aus. Sollen wir sie pflücken? Tief flederspaltige Blätter mit stacheligen Spitzen warnen. Nach uns kommen sicher noch viele, die auch voll Bewunderung stehenbleiben. Bald wird es kühl. Ein Wind ist aufgekommen, der uns entgegenfährt. Wir können schon die gleißenden Flächen des Firnfeldes sehen und wissen, daß die steife Brise vom Gletscher kommt. Noch trennt uns ein Schuttfeld vom Eis. Das Moränenmaterial ist einfärbig grau bis graubraun. Drei Stirnwälle müssen wir überqueren. Der äußere, abge flachte, mit großen Blöcken auffeinem Grus entspricht dem Gletschervorstoß um 1600 n. Chr. oder nach Univ.-Prof. Dr. H. Kinzl (Innsbruck) dem Fernau-Stadium. Wir treffen aufder Grundmoräne 81 verschiedene Pflanzen, von denen die mattenbildende Polstersegge (Carex firma), die großen Blütenpolster des stengellosen Laimkrautes (Silene acaulis) und Weidenspaliere für den 350Jahre alten Boden geradezu typisch sind. Der Zerfallsschuttistganz mitFlechten bedeckt. Dann steigen wir auf den mächtigen Stirnwall der Moräne von 1850. Der 100 Jahre alte Boden ist schon gefestigt. Auf der Grundmoräne wachsen erst 50 verschiedene Pflanzen. Polsterpflanzen, Gletscherweidenspaliere, Gräser und Seggen charakterisieren den Gänsekresseboden (Arabidetum coeruleae-Assoziation). Die Blätter und Stengel der Pflanzen sind krautig und dick. Ein Zeichen, daß es ihnen hier schon gut geht. Zuletzt überqueren wir den jüngsten Vorstoßwall von 1920. Aufdem lockeren,stark durchnäßten Boden ist schwer vorwärtszukommen. Nur mehr 31 ver schiedene Pflanzen zählen wir. Die meisten stehen hinter Felsblöcken, geschützt vor dem Gletscherwind. Ihr Körper ist zart, blattarm, hungernd. Der Lebenskampf ist hart, überall lauert der Tod und die Aussicht auf bleibenden Nachwuchs ist äußerst gering. Übervoll sind daher auf dem kargen Boden die Stämmchen mit Blüten und Früchten bedeckt, umja die Art zu erhalten. Pionierböden bedingen biologische Extreme.Den europäischen Kolonisten erging es in Übersee fast ebenso. Denken wir nur an die kinder reichen Familien der Franko-Kanadier oder an die Deutschen in Brasilien und Peru. Die Alpengänsekresse (Arabis alpina) schiebt sich bis zu dreißig Meter an den Eisrand heran, gefolgt von der Gemskresse (Hutschinsia brevicaulis) mit den bräutlichen Blütensträußen. Das rundblättrige Kartenskizze nach G. Lahner, Mitt. f. Erdkunde für Oö. ° o RM ° Finsdorfo 6munden ^0 SchlobOti Alfmünsfc Holkfccu. 0 o Eubach- ^HciScn, , in. HD rühret 691 WK Maieraint '^1 N ^ Traui-ikirchcn. H Karba.cka.lm. ROrUSttHOHLL 1575 ^ 15911feu.trfeo5el cbenseeX Kindhac ö M e 5 / A/ o s imo Secpergq'"'*^ Der Traunsee und seine Umgebung NT Niederterrassen K Kalke Hi Hieratzkalk HT Hochterrassen Fly Flyschsande HD Hauptdolomit WM Würmmoränen und =mergel WK Wettersteinkalk RM Rißmoränen Ni Nierentalmergel Täschel- (Thlaspi rotundifolium) und das Alpenleinkraut (Linaria alpina) versuchen mit meterlangen Wurzeln den Fließschutt zu festigen. Die Stöcklein des Gletschermohns (Papaver Sendtneri Fedde) und der Hornkräuter (Gerastium Hegelmaieri) ergänzen die Reihe der Pioniere auf der erst vierzig Jahre alten Täschelkrauthalde (Thlaspeetum rotundifolii). Immer wieder muß man über die großartige Anpassung an die Naturextreme staunen. Die intensive Farbe, der Kleinwuchs, der Duft, die starken Wurzeln, die zahlreichen Blüten und Früchte kennzeichnen die alpine Flora. Beim lebendgebärenden Knöterich (Polygonum viviparum) und Alpenrispengras (Poa alpina, var. vivipara) keimen sogar schon die Samen auf der Mutterpflanze. Im Bereich der Schneegrenze (2700 bis 2900 Meter) treten wir in die nivale Stufe, deren Hauptvertreter auf Fels Moose und Flechten sind. Nur vereinzelt wachsen Blüten pflanzen in dieser Zone. Der Gletscherhahnenfuß (Ranunculus glazialis) steigt in den kristallinen Zentralalpen 57
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