Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 1/2, 1960

Zunächst einmal wird erhellt, daß alle echte Kunst von der Natur herkommt. Franz Zülow war nie ein naturalistischer Maler im Schulsinne des Wortes. Oft hat man ihm früher seinen Avantgardismus vorgeworfen. In der häuslichen Atmo= Sphäre zeigt er nun, daß er ein Leben lang unermüdlich und mit größtem Fleiße ein Maler vor der Natur war. Jede Be= gebenheit und jedes Motiv, das ihm auf der Wanderschaft sei= nes Lebens unterkam, wurde von ihm aufgezeichnet. Es finden sich Hunderte von Landschaften, Studien von Häusern, von Bäumen, von Interieurs. Meist sind sie rasch und flüchtig mit dem Bleistift hingeworfen. Mit der Feder wurde gerne hinein^ gezeichnet. Oft wird die Farbigkeit angegeben und auch schon ausgeführt. Wir erkennen viele Züge, die dann in den großen Bildern ausgewertet worden sind. Was unerschöpfliche Erfin= dung schien, wird nun durch den Nachweis ergänzt, daß jede Eingebung aus der Natur erarbeitet worden ist. Man könnte diese Tätigkeit des Künstlers mit der Arbeitsweise eines Dich= ters vergleichen, der sich Notizen macht, Exzerpte anlegt, jeden Gedanken skizziert und erst aus dieser Fülle von Auf= Zeichnungen die Disposition und schließlich die Ausarbeitung seines dichterischen Werkes entwirft. Deutlich wird uns aber auch, wie eng sich Franz Zülow mit den Landschaften verband, die ihm Heimat wurden oder zu= mindest für einige Zeit heimatliche Rast gewährten. In die= sem Sinne könnte gerade über Oberösterreich aus seinen Map= pen ein mehrbändiges Skizzenbuch herausgegeben werden. An seine Zeit bei Schleiß in Gmunden erinnern die Studien aus dem Salzkammergut. Mittelpunkt und wesentlicher Inhalt seines Lebens war jedoch das Mühlviertel. Es scheint zur Ausstrahlung dieser Landschaft zu gehören, daß sie ihre Freunde zur Freude an den unscheinbaren und kleinen Dingen erzieht. Auch Franz Zülow ergab sich dieser Glückseligkeit. Er nahm alles dankbar entgegen, was sich ihm bot. Der Bach vor dem Hause ist ihm Modell genug. Wenige Schritte weiter, den Hügel hinan, öffnen sich stille Ausblicke. Hirschbach wird mit geradezu kindlicher Anhänglichkeit stets neu gezeichnet. Es scheint, als wollte sich der Künstler die Züge im Antlitz seines Dorfes so intensiv einprägen, daß sie Teil von seinem Ich werden konnten. Interieurs von Hirsch= bach sind heute schon Dokumente einer versunkenen Zeit. Unerschöpflich bot sich ihm sodann die nähere und weitere Umgebung. Die Bauernhäuser von Auerbach dürften es ihm besonders angetan haben. Dann lesen wir die Namen Gossen= reith, St. Peter bei Freistadt, Neumarkt, Kefermarkt, Wald= bürg, Ottenschlag und viele andere. Freistadt ist ein immer wieder ausgewähltes Ziel. Wir finden Blätter aus Reichenau, von Reichenthal. Einem unruhigen Geist mag es unverständ= lieh erscheinen, daß man an einen so eng umgrenzten Raum eine solche Fülle von Zeit und Mühe verschwenden konnte. Wer aber weiß, wie lange es währt, bis man sich eine Land= Schaft so zu eigen gemacht hat, daß sie Heimat genannt wer= den kann, der wird Franz Zülow verstehen. Er wird ihn nun aber auch doppelt verehren, weil er einen Wesenszug erkennt, der selten geworden ist: die Liebe zum Kleinen. Wir schrieben schon, daß sich in diesen Skizzen die Keime zu dem umfangreichen malerischen Lebenswerk des Künstlers erkennen lassen. Die Eindrücke aus der Natur und die Studien vor der Natur verdichteten sich zu den Fabeln seines Pinsels. Es läßt sich aus ihnen aber auch die metaphysische Substanz seines schöpferischen Wirkens ableiten. Es wird heute viel von globaler Kunst gesprochen. Anregum gen aus allen Himmelsrichtungen werden mit atemberaubender Schnelligkeit aufgegriffen. Es gibt bald keine Primitivstufe der Kunst mehr, die man sich nicht zum Vorbild genommen hat. Man glaubt, daß man diese Haltung der geläuterten Menschlichkeit unseres Jahrhunderts schuldig sei. Sicherlich ist es vorteilhaft, die Augen offen zu halten und sie Eindrük= ken aus fremden Welten nicht zu verschließen. Nie aber wird man auf die Dauer übersehen dürfen, daß bedeutende Kunst einen Boden haben muß, der mit der Seele des schöpferischen Künstlers durch die Bande von Geburt und Leben verbunden ist. Wenn z. B. von Picasso gesagt wird, daß er viel den ge= heimnisvollen Wirkkräften seiner spanischen Heimat ver= danke, daß in ihm dunkle Traditionen des mediterranen Rau= mes aufgebrochen seien, so spricht dies sehr für ihn, hat aber r » Motiv aus St. Peter bei Preistadt für andere Maler, die aus anderen Regionen stammen, nur bedingte Gültigkeit. Warum wählen sie zum Urgrund ihres Schaffens nicht auch die eigene vertraute Umwelt? Ist denn Kunst etwas anderes als ständige Verdichtung von mensch^ lichem Erleben? Erlebnis kann mir aber nur werden, was ich zutiefst verstehe. Alles andere sind nur Reize. Sie mögen interessant und anregend sein. Nie können sie aber zur Tiefe führen, es sei denn, ich verschreibe mich ihnen ganz und ge= Winne in ihnen eine neue geistige Heimat, wie es bei Gauguin gewesen sein mag. Franz Zülow hat sich in kluger Beschränkung den Raum sei= nes Lebens gewählt. Er hat diesen umschritten, wie ein Bauer sein Ackerfeld, jährlich neu und unentwegt, bis ihm schließ= lieh jede Krume vertraut war, bis er sich als Teil dieses Rau= mes spüren konnte. Das Mühlviertel spielte eine große Rolle in seinem Lebens= werk. Er arbeitet in ihm auch heute noch. Er hat ihm in sei= nem graphischen Tagebuch ein Denkmal gesetzt, wie es seit Stifters Tagen wohl kein schöneres gegeben haben mag. Es wird einmal eine dankenswerte Aufgabe sein, dieses Skizzen= buch der Öffentlichkeit bekanntzumachen. In diesem Aufsatz konnte nur flüchtig darauf hingewiesen werden, damit in der Biographie des Künstlers auch diese Seite seines Schaf= fens aufscheine. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß diese Naturstudien nicht nur Oberösterreich betreffen, son= dem in gleicher Weise reiches Material über Haugsdorf und seine Umgebung, sowie frühe Wanderjahre in Niederöster= reich vorhanden ist. Einsamer Granithlock im Mühlviertel L'. i. V ■ V; 35

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