Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 1/2, 1960

Man wird nicht satt von diesem Land, wir nicht, die wir hier geboren sind, und die Fremden nicht, die aus allen Richtungen der Erde kommen. Gast dieses begnadeten Ländchens zu sein. Aber wenn wir dann schauen, was das Salzkammergut denn so schön und so begehrenswert macht: Wasser, Wald, Hügel und Stein, das ist alles, was wir zu bieten haben. Nur: wie Gott es gefügt hat, das ist das Wunder daran. Wer die Wege übers Gebirge kennt,der weiß ganz besonders um dieses Wunder. Wenn mitten in dem Plateau des Toten Gebirges ein kleiner See funkelt, wenn die Bäche als mäch tige Wasserfälle über grauweiße Felsen sprühen, wenn sich der steinige Boden im späten Frühjahr bedeckt mitfarbigen Polstern aus Blüten: Bergvergißmeinnicht, Glockenblumen, Steinbrech und Leimkraut und mit den nickenden Glöckchen der Soldanelle — wer dies alles jemals gesehen hat, vergißt es nicht wieder. Es ist drum unser Land das Land der Wanderer geworden. Alle kommen sie zu uns, im Winter, um Ski zu fahren auf Hängen, die glitzern von Sonne und Schnee, und im Sommer, um über die Hügel zu wandern, ver steckten Bergseen zu, vielleicht, um über den Gletscher zu gehen, dieses ewige Eis unseres Königs Dachstein, oder einfach: um auszuruhen im Schatten eines Baumes, am träumerischen Ufer eines Sees oder aufeiner der kühlen, ruhigen Almwiesen. Und wenn wir dann genug gerastet haben in der Natur und in der Stille, wenn wir wieder Sehnsucht haben nach den Menschen und nach dem, was ihnen Zeugnis ist, dann fahren wir durchs Land, dem Laufder Traun entgegen, hindurch durch Ischl, die freund liche kleine Stadt, und dann vielleicht nach Hallstatt oder hinüber gegen St. Wolfgang. Es haben sich ja die großen Stifte und Kirchen des Salzkammerguts alle am Wasser gegründet: Traunkirchen, das alte ehemalige Nonnenstift gleich wie auch Mondsee, und sie sind alle reich an Schön heit, reich an Tradition und reich an uralter Vergangenheit. Aber St. Wolfgang wurde wohl der Inbegriff all dieser Schönheit. Die ganze Welt kennt diesen Ort und diese Kirche — es ist darum nicht Hochmut,sondern wahrhaftig berechtigte Freude, die uns stolz sein läßt auf dieses künst lerische Kleinod. Uberall, wo wir auch gehen, ist die Vergangenheit im Salzkammergutlebendig,einesehrweite,tiefeVergangenheit. Denn wo wir heute wandern und wo wir heute schauen und wo selbst wir noch heute stumm werden angesichts der majestätischen Schönheit unsrer Umgebung, da sind schon vor Tausenden von Jahren Menschen gestanden, genauso ehrfürchtig und genauso bewundernd. Es kannten die Kelten genauso wie wir den Gletscher des Dachsteins und die Silhouette der Bischofsmütze, es fuhren keltische Männer genauso wie wir heute ein in den Berg, um das Salz zu schlagen. Denn es lebt unser Land nicht so sehr von dem, was auf ihm wächst — das wäre ein kärgliches Leben —, sondern mehr von dem, was in ihm ist, aus der Tiefe. Das Salz ist es, das unser Reichtum ist seit altersher. Aber das Salzkammergut ist nicht nur das Land des Steins und des Wassers, es ist auch ein Land der spielerischen Kraft, und diese hat sich in einem lebendigen Brauchtum erhalten. Jahr für Jahr laufen die Glöckler an ihrem Tag durch das Land, angetan mit den bunten Lichtkappen, und Jahr um Jahr wird der Maibaum gesetzt, der festlich geschmückte Stamm, und ein Kreis fröhlicher Bräuche zieht sich um dieses Ereignis. Die Frauen des Landes aber legen für ihre Festtage die Tracht wieder an, die Goldhaube und das seidene Kleid — und am schönsten sind sie an dem einen christlichen Festtag, um den sich der freundlichste Brauch gebildet hat: am Fronleichnamstag. Alljährlich fährt Gott in Hallstatt und in Traunkirchen über den See, um die Erde zu segnen, das Land und das Wasser und die Menschen auch — daß alles gedeihe zu Seiner Ehre und zum Wohle der Geschöpfe. MITTE DES LANDES Vielleicht sind nicht alle Länder der Erde gleich harmonisch geschaffen wie dieses unser Land Oberösterreich; Weltoflfenheit war schon immer gegeben durch den Strom, der das Land teilt, aber nur dem mathematisch messenden Auge scheinen die Teile nun ungleich; das Herz weiß es anders zu nennen: während aus dem Süden das Notwendige kommt, das Salz und das Brot, bleibt der Norden dem Geheimnis geschenkt. Böhmerwaldstille, Beschaulichkeit, Traum — das strömt 21

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