Oberösterreich, 10. Jahrgang, Heft 1/2, 1960

Was wir so lieben, das sind auch die Auen, den Fluß entlang,die hohen Gräser, den schütteren Strauchwuchs im schottrigen Grund,die Weiden, wenn sie silbern ins Wasser hängen — und, wenn das Land sich verfärbt, weil schon Herbst wird: die gelben Blätter auf allen Straßen. Abschied ist das dann schon — Abschied von aller Farbe. Denn dann kommt die Stille, der weite Winter. Und dennoch — wieder ist das Land schön und heimlich — denn alles das ist uns ja wahrhaftig Heimat. Das alles könnten wir nirgends so sehr empfinden als hier. Hier ist unsere Wurzel; hier ist unserem Kreise der Mittelpunkt. Vielleicht hat uns der Herrgott der Welt darum ein so elastisches Wesen gegeben, eine so reiche Vielfalt des Blutes und des Geistes und eine Vielfalt an Kraft: damit wir diese unsere Heimat auch ganz verstehen, damit wir begreifen, daß sie gewachsen ist als eine Mitte, als das Herzstück Europas. Herzen aber sind immer Inbegriff, Kristallisation, Verdichtung. Schönheit und Reichtum der Landschaft sind in Ober österreich wahrhaftig Verdichtung geworden. Eingesäumt vom silbernen Inn im Westen und von der wilderen grünen Enns gegen Osten liegt das Land da. Im Süden schimmern die Gebirge — strahlend weiß im Winter und von wunderbarer durchscheinender Bläue an schönen Sommertagen —; im Norden aber dunkelt der Böhmerwald. Und inmitten dieser Grenzen ein Land, das tausend Ge sichter hat. IM NORDEN DER DONAU Schwermut, Stille und Kargheit sind im Norden daheim, im Mühlviertel. Dunkel ist das Land und mager der Boden, denn aufdem granitenen Grund hält sich die Krume nicht leicht und in kärglichen Äckern wächst nicht viel Frucht. Und doch ist die Schönheit auch hier zu finden, eine her bere Schönheit freilich, überschattet von der Schwere des Landes. Aber wenn sich der lange Winter hier endlich doch bricht, wenn die Düsternis der Schneelandschaft endlich, endlich zerfällt, dann drängt alles Blühende aufeinmalzum Licht und zur Sonne und es geschieht, daß die Wiesen überquellen von Farbe und Duft: Frühling und Sommer in einem. Und da blüht dann auch der Flachs. Der ist hier vieles zugleich: einmal Frucht, die sicher gedeiht — denn für manches istja die Erde zu karg und das Klima zu rauh —, und dann ist der Flachs auch Beschäftigung für einen langen Winter, denn es braucht viel Mühe und Geduld, bis aus ihm die Faser wird, die wir weben können zu einem kräf tigen Tuch. Es haben in diesem Landstrich daher auch die Städte und Märkte einen anderen, er-nsthafteren Charakter. Schutz wollen sie sein: dem, der immer in ihnen lebt, vor der Gewalt der Natur, und dem, der von weither kommt aus den Hügeln und Bergen der Umgebung, Erlösung aus Müdigkeit und aus Beschwerde;so werden die Orte zugleich Festung und Herberge. Rohrbach und Haslach — diese beiden Ortschaften weisen schon hinauf in den großen Wald, und noch weiter oben, im nördlichsten Zipfel des Landes, gleichsam im Kernschatten des Böhmerwalds: Aigen-Schlägl, Stift und Ortschaft, Gott zur Ehre und den Menschen zum Heil. Jenseits des Haselgrabens aber liegt Freistadt, die alte Stadt; burgartig, wehrhaft beherrscht sie die östliche Hälfte die Landes. Von hier geht es dann schon hinunter gegen die Grenze zu, gegen das uralte Grein. Dort sind der Struden und die Mächtigkeitder Donau heute noch ebenso eindrucks voll wie ehemals für die Donauschiffer und immer noch voller Geheimnis. Aus diesem Land ist Adalbert Stifter gekommen. Stille und Heimlichkeit des Mühlviertels waren das Erdreich, aus dem seine künstlerische Kraft wachsen konnte; Frieden und Weite des Böhmerwalds haben das Herz in ihm aufgeweckt, auch das Kleine zu sehen: die bunten Steine und die Feldblumen — und nichts zu vergessen. Er hat es auch nicht getan. Er ging mit wachen Augen durch seine Zeit und fand und erhielt uns das wunderschöne Heiligtum seiner Heimat: die Kirche in Kefermarkt mit ihrem prachtvollen gotischen Flügelaltar aus dem aus klingenden 15.Jahrhundert. Wir wissen heute freilich nichts mehr von den Männern, die die Kunst ihres Lebens in dieses Kirchlein gelegt haben;ihre Namen sind verschollen. 14

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