Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 3/4, 1959

Das neue Stahlwerk der VÖEST im Schmuck der rotweißroten Flaggen am Morgen des 23. Oktobers vor der feierlichen Inbetriebnahme Ein Tag der Fahnen bei der VOEST Das Fese, von dem hier die Rede sein soll, fiel nicht genau auf den 26. Oktober, den Tag der Fahne. Es fand schon drei Tage vorher statt, aber es war für die Vereinigten österreichischen Eisen- und Stahlwerke in Linz ein großer Tag unter Ffunderten von rotweiß roten Fahnen, die vom Werkseingang die lange Straße entlang bis zum neuen Stahlwerk und zum neuen Grobblechwalzwerk flatterten. Die alten Arbeiter und Werkmeister, die schon zwei Jahrzehnte lang das Schicksal des Fiüttenwerks an der Donau miterleben und mitformen, vermerkten mit sachlicher Anerkennung; „Ein so großes Fest hat die VÖEST bisher nodi nicht erlebt!" Der Anlaß war auch wichtig genug, um ihn derart feierlich zu begehen. Das neue Stahlwerk, das in den Monaten seit Ende 1957 mit einem Aufwand von rund 5000 Tonnen Stahlbaukonstruktionen gebaut wurde, ist der sichtbare Ausdruck eines Erfolges, dessen Umfang nur schwer zu beschreiben ist. Diejenigen Stahlwerker der VÖEST, die im Jahre 1949 noch den primitiven 15-Tonnen-Versuchstiegel hinter dem alten Stahlwerk gelegentlich in Betrieb sahen, können den Unterschied zwischen damals und heute vielleicht einigermaßen abschätzen. Sie werden sich noch erinnern an die Pessimisten, die seinerzeit der österreichischen Fiüttenindustrie ein Schattendasein voraussagten und in den Versuchen mit dem Saucrstoffblasen nur aussichtslose Experimente sahen. Tatsächlich war damals noch die Beschaffung von genügenden Mengen Sauerstoff so schwierig, daß die Versuche in die Nachtstunden verlegt werden mußten, wo für den regelmäßigen Werksbetrieb weniger Sauerstoff gebraucht wurde. Auch die Probleme, die sich aus der übergroßen Hitze entwicklung beim Sauerstoffprozeß ergaben, schienen unlösbar zu sein. Alle diese Schwierigkeiten konnten aber schließlich doch über wunden werden, und als im Spätherbst 1952 die betriebsmäßige Erzeugung von LD-Stahl im damals neuen LD-Stahlwerk I begann, verstummten die Kleingläubigen allmählich. Selbst die größten Optimisten wagten aber damals nicht zu hoffen, daß wenige Jahre später alle stahlproduzierenden Länder dieses neue, mit den Anfangsbuchstaben von Linz und Donawitz bezeichnete Stahlher stellungsverfahren anwenden werden und daß die VÖEST selbst schon im Herbst 1959 ein zweites Stahlwerk in Betrieb nehmen wird, das nur mehr nach dem LD-Verfahren arbeiten und die Roh stahlkapazität der VÖEST auf über 1,5 Millionen Tonnen im Jahr erhöhen wird. Die VÖEST verfügt jetzt über drei 30-Tonnen-LDTiegel im Stahlwerk 1 und zwei 50-Tonnen-LD-Tiegel im Stahl werk II. Trotz dieser umfangreichen Anlage von fünf Tiegeln ist die VÖEST, die seinerzeit das erste LD-Stahlwerk in Betrieb setzte, nicht mehr der größte LD-Stahlproduzent der Welt. Ein amerikani sches Hüttenwerk, das zu den ersten Lizenznehmern für das LD-Stahlherstellungsverfahren gehörte, hat ihr inzwischen den Rang abgelaufen und arbeitet bereits mit acht Tiegeln, die zum Teil noch größer sind als die in Linz, im Ursprungswerk des LD-Verfahrens. Zahlreiche andere Werke in verschiedenen Staaten projek tieren oder bauen bereits an großen LD-Stahlproduktionsanlagen, so daß amerikanische Fachleute für das kommende Jahrzehnt eine rapide Zunahme der Erzeugung von LD-Stahl voraussagen. Eine schöne Anerkennung dieses Erfolges bestand darin, daß an jenem 23. Oktober der Bundespräsident selbst nach Linz kam, um das neue Stahlwerk offiziell in Betrieb zu setzen. Mit ihm ver sammelten sich Vizekanzler Dr. Pittermann, Bundesminister Dipl.- Ing. Waldbrunner, acht Botschafter und 26 andere diplomatische Vertreter europäischer und überseeischer Staaten mit ungefähr 500 prominenten Vertretern technischer, wirtschaftlicher und behörd licher Institutionen in der fahnengeschmückten Riesenhalle des LD-Stahlwerkes II. Mit besonderer Freude begrüßte Generaldirektor Dipl.-Ing. Hitzinger in seiner Festansprache den Generalbevoll mächtigten Berthold Beitz der Firma Krupp in Essen, Präsidenten Kitchatow aus Moskau, Dr. Ing. Montecaldini aus Rom, Doktor de Rosa aus Genua, Altbundesrat Kobelt aus Bern, Otto Wolff von Amerongen aus Rasselstein, Generaldirektor Teringer aus Prag, Generaldirektor Tscheletzky aus Warschau und Mr. Parker aus London. Diese kleine Auswahl prominenter Namen mag zeigen, welches internationale Ausmaß die Festversammlung in der Stahl werkshalle hatte. Von vielen Seiten begrüßt wurde auch General direktor Pleiger, der es seinerzeit durchsetzte, daß in Salzgitter und in Linz modernste Hüttenwerke zur Verhüttung eisenarmer Erze errichtet wurden. Er war der Erbauer dieser beiden Werke und durfte erleben, wie sich beide zu großen und mächtigen Unter nehmen entwickelten. Interessant war, was Generaldirektor Dipl.-Ing. Hitzinger über die internationale Verwertung des LD-Verfahrens berichtete. Als die VÖEST und die Alpine sich 1952 entschlossen, das neu entwickelte Verfahren betriebsmäßig anzuwenden, traten Ausländer auf den Plan, die behaupteten, sie hätten ebenfalls Patentansprüclie auf das LD-Verfahren. Aus der Not der Nachkriegszeit heraus haben sich die Unternehmungsleitungen der VÖEST und der Alpine ent schlossen, mit diesen Ausländern einen Vertrag dahingehend abzu schließen, daß VÖEST und Alpine in Österreich lizenzfrei arbeiten dürfen, aber die internationale Verwertung des LD-Verfahrens einer ausländischen Gesellschaft, der Brassert-Oxygen-Technik in Zürich, vorbehalten bleibt. Im März 1956 beschloß die Unternehmungsleitung der VÖEST mit Genehmigung von Bundesminister Dipl.-Ing. Waldbrunner, die Aktien dieser Gesellschaft zu 100 Prozent zu kaufen. 50 Prozent davon wurden später an die Alpine weitergegeben. Durch diesen nun schon historisch gewordenen Entschluß ist der internationale Aufstieg des LD-Verfahrens eingeleitet worden. Die neue Brassert öxygen Teclanik mit dem Sitz in Zürich, aber mit rein österreichischen Besitzern, konnte in ihren Schauwerken in Linz und Donawitz die technische Welt davon überzeugen, wie modern und wirtschaftlich dieses neue Stahlherstellungsverfahren ist. Linz und Donawitz sind in den vergangenen Jahren zu einem Mekka der

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