(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 1/2, 1959
Bereits 1949 legte Herr Baudirektor Dr. Graßberger eine Studie über die Errichtung eines Speichers bei Kastenreith vor. Diesem Proj ekt liegt der Gedanke zugrund e, d ie noch nicht ausgebaute Enns zwischen den Kraftwerken Hieflau und Großraming soweit wie möglich durch eine einzige, große Speicherstufe zu nutzen, damit die beste Verwertung der R ohwasserkraft zu ermöglichen und darüber hinaus eine wesentliche Verbesserung der Unterli eger durch die ausgleichende \ 1 \Tirkung des Speichers zu erzielen. Im Osten Österreichs bis zum Maltatal stellt Kastenreith die einzige technische Möglichkeit dar, ei nen j ederzeit leistungsstarken und einsatzfähigen Langzeitspeicher zu errichten, de r durch seine günstige Lage zu den Zentren des Energieverbrauches ausge- zeichnet wird. Mit Hilfe des Speichers ist es möglich, die jeweilige Erzeugung des Kraftwerkes einer we itgespannten Bedarfsvariation anzupassen, ohne damit den vVert der Erzeugung zu beeinAussen. Die Bedeutung des Speicherkraftwerkes Kastenreith liegt aber auc h in den allgemeinen Verhältnissen der österreichischen Ener- giewirtschaft. Österreich verfügt über nu r wenige Möglichkeiten zum Ausbau von guten Speicherkraf'cwerken, die zum Ausgleich unserer ·überreichlich vorhand enen Laufwerksenergie dringend notwend ig sind. Bekanntlich muß Österreich seinen Fehlbetrag an hydrau lischer \ ,Vinterenergie im großen Umfang aus Dampf- kraftwerken decken. Österreich wird aber in Kürze mit dem Ausbau seiner Dampfkraftwerke an j ener Grenze ange la ngt sein, die sich aus den verfügbaren einzelnen Vorkommen ergibt. Ein Ausblick in die weitere Zukunft zeigt d ie Atomkraft a ls ein zusätzliches Hilfsmi tte l der Energiewirtschaft. Die bisherige Ent- wicklung läßt aber eindeutig erkennen, daß man mit Atomkraft- werken nur einen gleichmäßigen durchlaufenden Betrieb führen kann. Atomkraftwe rke brauchen a lso zwingend die Ergänzung durch Speicherkraftwerke. Das Projekt Kastenreith sieht etwa 1 ½ km südli ch der Einmün- dung des Gaflenzbaches, an einer geologisch besonders g ünst igen Stelle, die Errichtung einer Betongewölbemauer vor, mit der die Enns 93 m hoch aufgestaut werden soll. Der 37 km lange, fjord - artige Stausee faßt über 500 Millionen m 3 \!\lasser, von denen a ll ein 410 Nli llionen m 3 nutzbar gemacht werden können. Das Übersc hußwasser des Sommers wird im Staubecken gesamme lt und im vVinter als zusätzliches Wasser in den einzelnen Stufen der Ennskraftwerkskette und in d en Kraftwerken an der Donau unterhalb der Ennsmündung abgearbeitet. Der E nergiegewinn aus dem Speicher Kastenreith selbst und der Gewinn aus der flußabwärts gelegenen Kraftwerkskette beträgt über e ine Mil- liarde Kilowattstunden. 483 Mil l. kWh würden davon in den sechs Wintermonaten gewonnen werden. Die eigentliche Kraftanlage besteht aus 3 großen Francis-Turbinen, die in einer Kaverne am rechten Hang unmittelbar neben der Sperrenste ile untergebracht ist. Das Triebwasser fließt den Turbinen aus dem Speicher in 3 Stollen zu . Die in Kastenreith erzeugte Energie wird über eine 220.000- Vol t-Leitung in das Verbundnetz bei Ybbsfeld eingespeist. Es ist einleuchtend, daß der Stausee mit seinem gewalti gen Fassungsvermögen den Gebieten am Unte rlauf der Enns e inen ausg iebigen Hochwasserschutz bietet, der sich auch a uf die H ochwasserspitzen in d er Donau gü nsti g auswirkt. Mit der Errichtung des Speichersees wird die Ver legung der Bundesbahn und Bundesstraße vom I inken auf das rechte Ennsufer notwendig. Damit muß die Bundesbahn a uf einer Strecke vo n 37 km und die Bundesstraße auf einer solchen von etwa 30 km neu gebaut werden . Dazu kommt noch der Ausbau von 12 km Landesstraße und ungefähr 33 km Forst- und Güterwegen . Der Ausbau der Bundesstraße ist mit 7 ½ m Fahrbahnbreite und für 70 km/h Geschwindigkeit in den engsten Radien geplant. Das neuerrichtete, weitverzweigte System wird nicht nur bestehende Straßen ersetzen, sondern den ganzen Raum verkehrsmäßig nach modernen Ges ichtspunkten erschließen. Mit dem Neubau der Bundesbahn ist selbstverständlich die sofortige E lektrifiz ieru ng der Strecke vorgesehen. Die Ausbau- geschwindigkeit auf rund l 00 km/ h und die bedeutende Strecken- verkü rzung bringt a uf der Strecke zwisc hen \,Veyer-Hieflau für den D-Zug eine Verkürzung der Fahrzeit um 35 Minuten. Über- dies erhä lt d ie Ortschaft Weyer damit ei nen direkten Anschluß nach Steyr und Linz. Moderne, großzügig ausgebaute Verkehrswege werden die schwach entwickelte Wirtschaft di eses abgesc hiedenen Tales neu beleben. Der Umfang, der durch den Bau des Speicherkraftwerkes Kasten- reith notwendig werdenden Um- und Aussiedlungen hält sich durchaus im gleichen Rahmen, wie er beim Ausbau der heute bestehenden 5 Ennskraftwerke zwischen Großraming und Niühl- rading notwendig war. Von der Err ichtung di eser Stauräume wurden ebenso viele Menschen betroffen und Gebäude und Land- wirtschaften in Anspruch genommen wie im künftigen Speicher- geb iet des Kraftwerkes Kastenreith. Daß die Ennskraftwerke-AG a lle in diesem Zusammenhang auftretenden wirtschaftlichen und menschlichen Probleme behutsam und zur Zufriedenheit der Betroffenen löste, ist auch den Bewohnern des mittleren Ennstales bekannt. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß vernünftig durchgeführte Umsied lungen den Betroffenen ni cht nur Ersatz, sondern vielfach wirtschaftliche Vortei le brachten. Es kann in d iesem Zusammenhang ge~agt werden, daß schon heute der Ennskraftwerke-AG mehr Bauernwirtschaften, die überdies in landwirtschaftlich besseren Gegenden liegen, angeboten wurden, als für den Bau des Speicherkraftwerkes Kastenreith in Anspruch genommen werden müssen. D ie Ersatz landbeschaffung stellt a lso auch in diesem Gebiet und in dem gegebenen Umfang kein unl ösbares Problem dar. Beim Bau der Sperrenstelle und Krafta nl age werden etwa durch 5 J ahre hindurch 1200 bis 1500 Arbe iter einen ständigen Arbeits- platz finden, denn die Lage der Baustelle ermöglicht nahezu während des ganzen Jahres einen kontinuierlichen Baubetrieb . Dies gestattet eine sehr rationelle Einrichtung der Baustelle und damit a uch einen äußerst preiswerten Bau. Die Arbeiten im Stauraum an Bahn-, Straßen- und Ersatzbauten usw. werden weiteren 3000 Arbeitern für 5 J ahre Beschäftigung bieten. Da diese Arbeitsstellen in einem Umkreis vo n rund 40 km verteilt li egen, werden a lle durch d en Stau betroffenen Gemeinden bereits während der Bauzeit wirtschaftlichen Nutzen ziehen können. 47
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