(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 1/2, 1959

liehe Arbeit und der Ausnützung derselben für das tägliche Leben neue Bahnen zu brechen, ist der Zweck dieses Werkes. Nicht dem Momente blüht der volle Erfolg, die Zukunft ist eine große; und eine weit- reichende, kaum zu berechnende Um- wälzung, tief eindringend in das gesamte Leben der menschlichen Gesellschaft, steht bevor. Vielleicht ist es kein Zufall, daß Wien, ob- gleich wohl nur die dritte, aber, wie wir hoffen - dank der nie rastenden Arbeit der Männer der Wissenschaft und der Praxis - auch die größte elektrische Aus- stellung in seinen gastlichen Mauern er- stehen läßt. Ist es denn nicht unsere Vater- stadt, aus welcher Preschel's Zündhölzchen im Jahre 1833 hervorging, das alte, der Steinzeit würdige Feuerzeug für immer ver- drängend ? Und die Stearinkerze, hat sie nicht von Wien aus im Jahre 1837 ihren Weg durch die ganze Welt gemacht? Ja selbst die Gasbeleuchtung der Straßen, di ese große Umwälzung im städtischen Leben, wurde vom Mährer Winzer in vVien ausgedacht und erst dann in England durchgeführt. Nun stehen wir an einer neuen Phase der Entwicklungsgeschichte des Beleuchtungswesens; auch diesmal möge vVien seinen ehrenvollen Platz behaupten. Ein Meer von Licht strahle aus dieser Stadt und neuer Fortschritt gehe aus ihr hervor! Eingedenk der hohen Bedeutung dieser Aus- stellung können wir sagen, daß sie dem Reiche und der Reichshaupt- und Residenz- stadt Wien zur Ehre gereicht - und um desto dankbarer sind wir den befreundeten Staaten für ihre wertvolle Mitwirkung in dieser ernsten Zeit. Im Namen Sr. Majestät unseres Herrn und Kaisers erkläre ich die elektrische Ausstellung für eröffnet." Man erzählt, daß der Kaiser gefragt hat: „Könnte man diese Dynamo nicht auch durch Wasserkraft antreiben ?" Ing. J. Krämer, Dozent der Technischen Hochschule inWien, technischer Mitarbeiter der „Neuen Freien Presse", gab eine ver- neinende Antwort. Es waren auch im Aus- land verschiedentlich schon Versuche durchgeführt worden, Elektrizität mittels Wasserkraft zu erzeugen, sie waren aber in vereinzelten, mehr oder weniger ge- lungenen Bemühungen steckengeblieben. Der Hauptgrund dafür lag an der anschei- nenden Unmöglichkeit, die Umdrehungs- zahl der Wasserturbinen so konstant zu regeln, wie dies zur Erzeugung elektrischen Stromes unabdingbar ist. Die Frage des Kaisers wirkte auf Josef Werndl wie ein Signal. Seiner Gewohnheit gemäß, suchte er den entscheidenden Ge- danken umgehend in di e Tat umzusetzen, und noch ehe die Wiener Ausstellung geschlossen wurde, lancierte er eine - damals von allen Fachleuten bespöttelte und belächelte - Nachricht: Er werde nur ein Jahr später in Steyr eine „Elektri- sche Ausstellung" veranlassen, deren Strom durch Wasserkraft erzeugt würde. Im Winter 1883/84 errichteten er und seine Mitarbeiter in der Heindlmühle zu Steyr (Zwischenbrücken) eine Turbinenanlage, die durch ihre genial e Einfachheit jene bisher vergeblich gesuchte Umlaufkon- stanz erreichte. Im Hauptsächlichen geschah dies durch eine über die Turbinenanlage gestülpte, an vier Seilen aufgehängte heb- und senkbare Glocke und einen Kugel- regler, der jede wesentliche Änderung der Umlaufzahl durch Glockensignale meldete. Zuerst geschah die Regulierung handbe- trieblich, später automatisch. Die Steyrer- Anlage wurde 1908 demontiert, um dem noch jetzt bestehenden E-Werk Platz zu machen, doch dient noch heute eine von den Steyrer-Werken 1884/85 für die Klein- münchner Baumwollspinnerei Werk Zizlau - erbaute Turbinenanlage dieser Fabrik als Kraftquelle. Technisch besteht kaum ein Zweifel, daß diese Anlage nichts als eine Kopie der Steyrer-Anlage darstellt. Josef Werndl erstrebte wiederum unbeirr- bar sein Ziel. Pünklich wurde die „Steyrer Elektrische Ausstellung" am 1. August 1884 durch ihren Protektor Erzherzog Carl Ludwig eröffnet. Mit je 1100 Kerzen- stärken spendenden Bogenlampen waren er- leuchtet: die Bahnhofstraße, die Brücken, der Stadtplatz und der ganze, den Carl- Ludwig-Platz und den Voglsangpark um- fassende Ausstellungsplatz, der Ortskai, das linke Steyrufer, Aichet und Eysnfeld, die Schwimmschule und Werndls Fischan- lagen. Raffinierterweise wurden die Enge und die Pfarrgasse nur mit den damals üblichen Gasschnittbrennern beleuchtet, so den Kontrast augenfällig zeigend. Ver- wendet wurden 210 Bogenlampen, 1m Ausstellungs-Hauptgebäude allein 420 Glühlampen mit einer Gesamtintensität von 500 000 Kerzenstärken. (Als Vergleich: im Königlichen Schloß zu Stockholm leuchteten damals 60 Glühlampen a 16 Kerzenstärken.) Der für den Betrieb j ener Lampen und zahlreicher vVerkzeugmaschinen nötige Strom wurde durch 15 Dynamomaschinen, System Schuckert, erzeugt . Als „Sensationen" wurden u. a. noch ge- zeigt : Telephonanlagen, elekt rische Schein- werfer, Anlagen zum Vergolden, Ver- silbern und Verkupfern. Den wohl größten Triumph erlebte der innerlich einfach gebliebene Josef Werndl am 19. August 1884, als Kaiser Franz Joseph diese Ausstellung besuchte und es sich nicht nehmen li eß, das Turbinenhaus genauestens zu besichtigen. Bei der abend- lichen Festtafel im Schloß Lamberg war Anna Reichsgräfin Lamberg, JosefWernd ls Tochter und einzige Frau an dieser Tafel, des Kaisers Tischdame, der „Schlosser von Steyr" tafelte mit dem Kaiser von Öster- reich! Als die Ausstellung am 30. September 1884 geschlossen wurde, war sie von rund 200.000 Personen, zum nicht geringsten Teil aus dem Ausland, besichtigt worden. Die Berechtigung, Steyr als Geburtsstätte der Gewinnung elektrischen Stromes mittels Wasserkraft zu bezeichnen, dokumentiert nachstehend auszugsweise wiedergegebener Artikel von Dozent Ing. J. Krämer, der unter dem Titel „Epilog zur Ausstellung in Steyr" erschien: „Ich habe schon früher in diesen Blättern hervorgehoben, daß die Steyrer Ausstellung nur dann eine Berechtigung hat, wenn sie - wie von Herrn \ ,Verndl versprochen - das Problem der Wasserkraftnutzung löst. Ich habe dabei meinem Zweifel an der Erreichung dieser Lösung in Steyr Aus- druck gegeben. Nun, nachdem ich Ge- legenheit fand, die vortrefflichen Anlagen in Steyr eingehend zu studieren, beglück- wünsche ich Herrn Werndl zu seinem Erfolg. Ich konstatiere gerne, daß die Wasserkräfte in Steyr derart bezwungen worden sind , daß sie sich willig und aus- dauernd in ein praktisch ausgeführtes Joch fügen. . . Rotationen erz ielte man früher wohl auch durch Turbinen, aber jene peinliche Regelmäßigkeit, die zum Betrieb von Dynamomaschinen nötig ist, die erzielte man in so großem Maßstabe zuerst in Steyr. Das ist der Erfolg der Steyrer Ausstellung, ei n Erfolg, der selbst von Fachleuten gar nicht genug gewürdigt werden kann. Die Umwandlung der Wasserkraft in Elek- trizität ist daher, wie Steyr bewiesen hat, allen Anforderungen entsprechend mög- lich. Der erschütterte Glaube an den Erfolg der Elektrotechnik ist in Steyr wieder gefestigt und gehoben worden, so daß mit frischem Mut an die Arbeit gegangen werden kann. Die Steyrer Ausstellung be- deutet einen ganz bedeutenden Erfolg auf elektrotechnischem Gebiet. Die österreichi- sche Industrie hat in Steyr einen glän- zenden Sieg errungen." Nachdem Josef Werndl also wieder einmal den praktischen Beweis für die Richtigkeit seiner Gedanken erbracht hatte, war er seiner Natur gemäß energisch gewillt , den Pfad klarer Erkenntnis unbeirrbar weiterzuverfolgen. Wieder erwuchsen ihm gefährliche Gegenspieler, diesmal in Gestalt gewinnsüchtiger Aktionäre. Mehrmals stand es auf des berühmten Messers Schnei- de, ob Josef Werndl weiter als General- direktor der Waffenfabrik zu wirken ge- willt war, oder ob er - aller Wahrschein- lichkeit nach gemeinsam mit Schuckert - eine elektrische Großindustrie aufziehen würde. Endlich wurde das Repetiergewehr zuerst in Deutschland und Italien - ein- geführt. Österreich mußte nachfolgen. Josef Werndl brachte Aufträge auf eine Million solcher Gewehre ein, der Arbeiter- stand in Steyr stieg 1888 auf über 10.000. Da holte er sich, gleich wie sein Vater einst, auf einer Fahrt in das Lettner Werk während eines Unwetters den Todeskeim. Leopold Werndl starb an der Cholera, Josef Werndl durch eine jähe und äußerst heftige Lungenentzündung, nach ein- wöchentlichem Krankenlager. Am 29. April 1889 erlosch sein Lebenslicht. Nun war der Weg für seine Gegenspieler frei. Bereits im Bericht zur ordentlichen Generalversammlung vom 12. Dezember 1890 wird die „Elektrische Abteilung" mit keinem Wort mehr erwähnt. Doch Vor- züge wie Fehler registriert die Zeit und formt das Urtei l: Johann Siegmund Schuckert errichtete gemeinsam mit Werner von Siemens die heute weltberühmten Siemens & Schuckert- werke in Berlin, die, allen Wechseln des Geschehens trotzend, ihre dominierende Weltstellung immer mehr festigten. In Steyr hielt wiederum die graue Not ihren Einzug. 45

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