(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 1/2, 1959

MAXIMILIAN NARBESHVBER JOSEF WERNDLS VERGESSENE GROSSTAT Die Namensnennung Josef Werndls ruft zwiegespaltene Erinnerungen wach: die an den zielbewußt schaffenden Waffener- zeuger und die an den anekdotenumrahm- ten, jedem Spaß zugeneigten Menschen. Die dritte Komponente, sein Erkennen „Die Zukunft gehört der Elektrizität! Und nur die allmähliche Umstellung der Waffen- fabrik auf Erzeugung elektrotechnischer Artikel schafft auf weiteste Sicht konstanten Verdienst für Tausende", ist dem Ge- dächtnis im allgemeinen nicht vertraut. Zum besseren Verständnis dieser Großtat sei hier aufs kürzeste die Vorgeschichte Steyrs und der Familie Werndl festgehalten: Mit dem Worte Steyr verbindet sich zwangsläufig der Gedanke an die diese Stadt beherrschenden Eisengewerken. Durch ihre geographische Lage am Zusammen- fluß von Enns- und Steyrfluß und an der Eisenstraße bedeutete der Handel mit Roheisen und aus Eisen gefertigten Waren seit altersher das Brot von Steyr. Geschäft- liche Hochzeiten schufen das weitbekannte, mittelalterlich geformte Herz der Stadt. In diesem Steyr sind die Werndl bis 1661 als Nagelschmiede nachweisbar. Erst Leo- pold Werndl - Josef Werndls Vater - schwang sich über die vielen kleinen Meister empor; er erweiterte sein Unter- nehmen zur Bohrerschmiede, in der er schon um 1830 an die fünfzig Arbeiter beschäftigte. Sachliches Können, uner- müdliche Tatkraft und zäher Fleiß ließen ihn sein Werk unentwegt vergrößern und schließlich zum Armaturenwerk ausbauen. Dieses umfing bald die Werkstätten Wieser- feld 37, Sierninger Straße 52 und 58 und die Werke in Letten. Als er 1855 starb, hinterließ er seiner Witwe Josefa und den Kindern ein Unternehmen, in dem 500 Arbeiter beschäftigt waren. Sein ältester Sohn Josef war vom Vater zum Nachfolger ausersehen, wenn es auch zwischen dem jungen Brausekopf und dem alten Hartkopf zu vielerlei unerfreulichen Differenzen kam. Deren größte entsprang der zukunftweisenden Erkenntnis Josef Werndls: es weicht das Handwerk den Maschinen! Vater Leopold aber blieb bis zu seinem Tode dem Handwerklichen verschrieben. Witwe Josefa Werndl behielt die Ober- leitung der Werke, die praktische Leitung mußten die Söhne Josef und Franz be- wältigen. Letzterer übernahm die büro- mäßigen Belange, Josef die Werksführung. Solcherart mußte sich der erst Vierund- zwanzigjährige als verantwortlicher Unter- nehmer eines - für damalige Zeiten - Großbetriebes €1:weisen. Er begnugte sich-- jndessen nicht, das väterliche Erbe nur zu erhalten, sondern begann bald, es - zukunftssichtig - vom handwerklichen auf maschinellen Betrieb umzustellen. Die „gute alte Zeit" fiel ihn an mit all ihren Tücken, wie Arbeitsmangel, inflationistischen Erscheinungen und vielen sonstigen U nerfreu lichkeiten. Die damals mit „Silberagio " bezeichnete Geldentwer- tung brachte - besonders vom Ausland her - eine Fülle von Aufträgen. ,i ach Steyr, doch Josef Wernd ls Kop( bliel:{ in all dem Wirbel und aller Gien\° t.icht" klar. Statt es sich, wie andere, gut gehen zu lassen, kaufte er alte Hammerwerke, Mühlen und Schleifen auf, die er niederreißen ließ, um moderne Fabrikobjekte (wie sie noch jetz t am Wehrgarben zu sehen sind) zu erstellen und diese mit Maschinen aus- zustatten. Diese Etappe in seinem Leben leitete seine zweite Großerkenntnis ein : das Lorenz- Vorderladegewehr, mit welchem damals die österreichische Armee ausgerüstet war, muß, wie dies bereits u. a . in den Vereinig- ten Staaten von Amerika, Frankreich und Deutschland geschehen war, durch Hinter- lader ersetzt werden . Dieser seiner Er- kenntis stand das Gutachten einer bereits zwölf Jahre amtierenden Hinterladungs- kommission entgegen, die zu dem Schlusse kam, daß nicht der weniger treffsichere Hinterlader, dem man auch nicht die ent- sprechenden Quanten an Munition in die Feuerlinie zuführen konnte, sondern der treffsichere, weitertragende Lorenz-Vorder- lader künftige Kriege positiv entscheiden werde. Hier setzte ein kaum faßbares Vabanquespiel Werndls ein. Ohne daß ihm die Gesamtkonstruktion eines Hinter- laders gelungen war, investierte er sein und der ganzen Familie Vermögen in den von ihm unentwegt weiter betriebenen Ausbau der nun „Josef und Franz Werndl & Co. , Waffenfabrik und Sägemühle in Ober- letten mit dem Sitz in Steyr" benannten Fabrik. Er hatte lediglich die Zusagen, daß sich der Chef des ballistischen Wesens der österreichischen Armee, Erzherzog Wilhelm, und Kriegsminister John für ihn, wenn der Hinterlader in die öster- reichische Armee eingeführt werden sollte, einsetzen würden. Ihn leitete die Bedachtnahme, daß es zur Vergebung eines Hinterladerauftrags kom-. men müsse und diesen nur erhalten könne, wer ein allen Ansprüchen genügendes Gewehr baue und eine Fabrik besitze, die imstande ist, dieses Gewehr in so großen Mengen herzustellen, wie man sie zur Neuausrüstung des Heeres benötige. Un- beirrbar blieb er bei seinem Tun und Vor- haben, auch zu jener Zeit, da in Steyr Hunger, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung regierten und er a ls ein Narr, ja als Ver- brecher angesehen wurde, der statt die Not zu lindern, all sein Hab und Gut diesem Gedanken opferte. Der für Österreich unglücklich verlaufene Krieg gegen Preußen bestätigte indessen klar, wie richtig Werndl bezüglich des Hinterladegewehrs gefolgert hatte. Eine von Kaiser Franz Joseph neuerlich ein- gesetzte Hinterladungskommission ent- schied sich binnen wenigen Monaten für das - damals beste und kriegserprobte - Remingtongewehr. In wahrhaft letzter Minute wurde von Josef Werndl und seinem Werkmeister Karl Holub der „Tabernakelverschluß" erfunden und durchkonstruiert, Der per- sönliche Einsatz Erzherzog Wilhelms bei Kaiser Franz Joseph verhinderte dessen Unterschrift zum Remington-Auftrag und räumte Josef Werndl die Zeit ein, Probe- gewehre zu schmieden. Am 27. Juli 1867 traf der erste Gewehr- Großauftrag in Steyr eiq. Da machten sich, inmitten des heftigsten Arbeitswirbels, feindliche Finanzgebarungen gegen Josef Werndl geltend, mit dem eindeutigen Ziel, ihn in den Konkurs zu treiben. Statt ihm den zum weiteren Ausbau nötigen Kredit zu bewilligen, wurden ihm Akzepte kurz- fristig gekündigt. So mußte er mit Hilfe der Bodenkreditbank die „Österreichische Waffenfabriks AG. " gründen und schweren Herzens den Familienbetrieb m eme Ak- tiengesellschaft umwandeln, der er als Generaldirektor vorstand. Unermüdlich in ganz Europa herumreisend, er fuhr mehrmals auch nach Amerika, gelang es ihm immer wieder, Großaufträge fremder Staaten (u. a . Preußen, Frankreich, Rumänien, Griechenland usw. ) einzu- bringen . Zwischen die Ausführung solcher meist kurz terminisierten Arbeiten und neuen Bestellungen schoben sich Zeiten, da sich in Steyr die Arbeitslosigkeit mit all ihren üblen Folgen breit machte. Josef Werndl richtete damals schon eine Art Arbeitslosenunterstützung für seine Leute ein. Das Gewehrgeschäft war wie mit einem Fluch beladen : Kurzfristige Haussen und immer länger sich dehnende Baissen. Er begriff untrüglich klar: die große F laute vor der Erstellung des Repetier- gewehrs wird durch eine Riesenhausse abgelöst werden . Sind aber die Repetier- gewehre ausgeliefert, so ist auf dem Hand- feuerwaffensektor das eine Großindustrie auslastende Geschäft auf lange Sicht er- loschen. In diese Zeit fiel Josef Werndls vielleicht größte Sternstunde, in der ihm bewußt wurde: Die Zukunft gehört der Elektrizität! Nur die allmähliche Umgestaltung der Waffenfabrik auf eine Großerzeugung für Elektrowaren sichert die so lange gesuchte konstante Arbeitsauslastung! Eingefügt muß werden, daß diese uns Heutigen unentbehrlich gewordene Die- nerin Elektrizität damals - um 1880 - ein Gebiet war, über dessen Wert oder Unwert sich selbst maßgebliche, von Kathe- dern der Hochschulen dozierende Fach- leute . weitgehend uneinig waren. So be- richtet Baurat Ing. Friedrich Drexler in seinen „Erinnerungen" u. a. eine Äußerung eines Dozenten an der .Techl).isch_en Hoch- schule in Wien aus dem Jahre 1877. ,,Drei Dinge dürfen Sie nicht anwenden: das sind Federn, Quecksilber und Elektrizität! 43

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