(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 1/2, 1959

weiter leben, in einem zweiten Bäumchen, einem dritten und, so der Himmel wolle, in einem ganzen Garten von Bäumen. Im folgenden Februar, a ls Crispin gerade Schnee um den Stamm häufte, damit - wie er zu seiner Mutter sagte - das Schmelz- wasser ni cht zu früh nach innen tropfe, die Säfte und Kräfte zu zeitig löse und das Leben des schlafenden Baumes gefährde, kam Daniele mit einem Brief, den ihr der Postbote durch das Fenster gereicht hatte, aus dem H ause gestürzt. Und wei l sie mit der anderen H and die Schürze ins Gesicht hob, brauchte Crispin d en Einberufungsbefehl kaum noch zu überfli egen. Seit den Septem- bertagenstandj a der Donner der Geschütze hinter den H ori zon ten, es war wieder einma l Kri eg in der Welt, und der Kri eg reichte in die stillsten, fernsten Bezirke, in Winkel, wo Apfelbäume ihre Säfte sammel ten und neuen Ernten entgegen träumten. In den nächsten Wochen, di e ebenso langsam kamen wie sie gin- gen, sprach Frau Agath wenig. Um so mehr schien sie sich mit dem Apfelbaum zu unterhalten . \t\Tenn der Wind durch d ie Äste ging, vermeinte sie Crispins Stimme zu hören, und wenn a n einem wärmeren Tage der Schnee schmolz und das Wasser zur Erde tropfte, glaubte sie, Crispin klopfe an den Gartenzaun . Oft schüttelte sie da nn, wann sie sich plötzlich umwa ndte u nd nichts als den leeren Staketenzaun sah, ihren schmalen K opf, und d ie von Sehnsucht und Erwartung getragenen Augen schlossen sich, als könnte sie ihn so besser sehen, den So ldaten Crispin Agath, ihren einzigen Sohn. Allmorgendlich schaute sie nach dem Bri efträger aus. Ging di eser vorüber, suchte sie Daniele und erklärte, Crispin habe nicht ge- schrieben, aber morgen werde er gewiß schre iben, sie solle sich nicht sorgen, er werde schon schreiben. Und Daniele, halb läc helnd und ha lb nickend, a ls bestä tige sie es, meinte, er schreibe, auch wenn er schweige, sie wisse es, und das sei gut. So kam der Frühling im Lae tare des Stares, und es begab sich , daß die Knospen an den Ästen d es Apfelbaumes abfielen, ohne sich in der Blüte geöffnet zu haben. Frau Agath erschrak wie jemand, den eine kalte H a nd anrührt, und über ein kleines spä ter kam die Nachricht, daß Crispin vermißt sei. „Vermißt heißt tot", sagte Frau Agath zu D a niele und tat di e H ände um den Baum, a ls wollte sie sein Leben, das im Erlöschen war, mit ihrer ganzen Kraft und Liebe festha lten. Doch der Apfel- baum blieb kahl und starrästig, di e Säfte trieben nicht mehr: er war gestorben. Frau Agath zögerte nicht; sie hob den toten Ba um samt den Wurzeln aus dem Erdreich, zerkleinerte und verbra nnte ihn an selbiger Statt und deckte die verkohlten R este mit e inem Rasen zu. Wie einer, der solches Tun ni ch t begreift, mied Daniele von nun an die Begegnung mit der Welt d es Gartens . Wie soll te sie glauben, da ß Crispin gefallen war, wenn sie ihn hörte, wann sie die Pferde antrieb, hinter der Scheune den Göpel drehte oder Stöcke und Wurzeln rodete im Walde! Und wer huckte ihr die Körbe mit den Rüben oder Kartoffeln auf den Rücken, di e zentnerschweren Säcke mit Getreide? Die Stiege zum Schüttboden war ste il und schmal, und der Weg vom Schober zum Keller führte über zwei Rinnsale. 22 J e stiller und gebückter Frau Agath wurde, desto mehr glaubte Daniele, wirkte m it unverminderter Kraft in Hof und H aus, im Sta ll und auf dem Feld, um erst zur halben Nacht das Licht aus - zu löschen . R asch betete sie dann noch, nicht für einen Toten, wie ihre Herr in Agath, sondern für einen, der ba ld kommen mußte. U nd den Sternen , die in ihr Fenster hineinb linzelten, vertraute sie an, sie mögen ihm Grüße sagen, und daß a lles gut sei : daß die Braune geka lbt habe, daß auf der Parzelle am Tann Weizen gesät sei und daß der Käfer oder der Pilz nicht mehr über di e Obst- bäume komme. Dann schlief sie ein, lächelnd und wie ohne Leid, um mit dem H a hnschrei einen neuen Tag zu beginnen, der nicht anders war a ls der gestrige. E iner jedoch sollte ein wenig a nders sein. Das war nach Kri egs- sc hluß j ener T ag, a n dem selbst einer der als gefallen gemeldet worden war, den Weg nach H a use fand. Da niele ging zu ihm und sprach zu ihm. 1 ein, lachte er seltsam, er sei wohl vielen begegnet, a uch welchen mit D r illi chanzug und Brotbeutel, doch Crispin Agath sei nicht dabei gewesen. Daniele, allein nun mit ihrem Glauben, schlepp te sich durch die lä nger werdenden Tage . Bis es dann geschah, daß eines Mor- gens, a ls sie Klee und Mais von der \t\Taldhufe holte und eben dabei war, die Sense zu schärfen, ein Mensch aus der Lichtung des Wa ldes t ra t. Da glitt ihr der Wetzste in aus der H and , und sie bückte sich nicht, ihn au fzu heben und in den Kumpf zu tun, denn a lles an dem Menschen, den da der \t\Tald entließ, glaubte sie zu kennen: j eden Schritt und jede Bewegung. Auch die Hirsch- kuh, die am Wald rand äste, sc hien ihn zu kennen, hob sie doch den K opf und sah ihm nach wie ein Mensch in Gedanken. Näher kam er. J etzt trennte ihn nur noch der Streifen Klee von Daniele . ,,Crispin", sagte sie. Und leiser, wie ein Hauch fast: ,, Crispin . .. Crispin .. ." Dann aber warf sie die Sense weg und flog, a ls sei sie j eder Schwere enthoben, dem Manne entgegen und schloß di e Arme um seinen H a ls. Sie ve rstand nicht, was er sagte, sie hörte nur das H erz schlagen unter dem Drillichanzug und fühlte, wie di e J ahre d es Wartens eingingen in diesen Augenblick und erfüllt wa ren in ihm. - - Frau Agnete Agath schnitt H äcksel im Schuppen, als der mit Klee und Mais beladene Wagen durch d as Zugtor in den Hof ro ll te. Die Rinder muhten im Stalle, und der Hund riß an der Kette und bell te wie nie. Da dreh te sich Frau Agath um; es geschah dies nicht, wei l die Rinder so seltsam muhten und der Hund noch seltsamer bellte, sondern weil sie etwas anrührte, das ha rt war und wie ohne Liebe und dennoch herzlich und wie ein Gruß aus einer größeren H eimat. Indes, sie sah weder au f noch bewegte sie die Lippen zu einem ·wort, ei nem Gruß, einem , i\Tillkomm. H atte ihr das U nerwartete Mund und Herz verschlossen? H äcksel schneiden konnte sie doch nachher noch, und welcher Mensch maß, gerade in einem solchen Augenb lick, das Geta ne nach Kö rben oder Säcken? Erst als der Abend hinter den Bäumen stand und die Stunde ge- kommen war, da Frau Agath zu dem kleinen Hügel im Garten

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