(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 9. Jahrgang, Heft 1/2, 1959

HANNS GOTTSCHALK DER BAUM VOR DEM LEBEN Sie ha tte einen Apfelba um vor das Leben ihres Kind es gepAa nzt, di e junge K riegswi twe Agnete Agath. U nd a ls die ersten F rüchte dann Rundung und R eife erfuhren, na hm sie, wi e des \,Vunders voll , den kleinen Crispin a u f den Arm und pAückte ihm einen vo n den Apfeln, di e prall und pausbackig wa ren wie d as Ges icht des Kindes. An j edem Andreasabend a ber, bevor sie di e Scha le mit Äpfeln auf den Tisch stell te, g ing sie mi t Crispin in den Ga rten und schüttelte, wie der Brauch es wollte, d en Baum. Befrag t, was es da rum sei, antwortete sie, sie tue es, d ami t der Baum ni cht zu erwachen vergesse, wann seine Zeit gekommen sei. Es war di es das erste Geheimnis, dem d as Kind, en tlassen aus dem R eich des U nbewußten, nachzuhängen begann . Was \ ,Vunder , daß Crispin d ann mit den J ahren, die sich a n seine Kindheit und Knabenzeit anschlossen, mit offeneren Augen vo r d em Leben sta nd und den Geheimnissen in ihm. H a tte der Apfelbaum di es gle ichsam mitgelebt bis j etzt, sich ge- streckt und ve rscl1vvenderisch gegeben, auf die Bienen gewa rtet 20 und wieder gegeben , kam ein Neues auf ihn zu , a ls im zweiund- zwanzigs ten F r ühj a hr eine andere Stimme a ls di e der Mutter die kleine Welt des Gartens erfüllte. Auch Crispins Stimme hatte einen helleren Klang auf einmal und eine weichere, wä rmere Be- tonung. Das Mäd chen Daniele aber, von Frau Aga th a ls Waise im H a use aufgenommen, schritt zunächst leise durch di e T age, als wollte sie die Stille ausfragen, wie es um den Schlag ihres Herzens sei. Crispin ließ sie gewähren, er wartete nicht auf ein Wort oder em Lied, das vo n den Lippen kommt ; doch da er sa h, wi e der Apfelbaum die Blätter ordnete und die Krone wölbte, begann er von einem zweiten Bä umchen zu träumen, das di ch t neben dem anderen stehen und wie dessen Kind sein sollte. Im H erbst geschah es da nn, daß Crispin einen Apfel pflückte und ihn Daniele reichte . Sie nahm den Apfel , drehte ihn, sagte : ,,Wie schön er ist! " Crispin, nach dem Zweige blickend , der sich noch immer bewegte, meinte : ,,Magst du den Baum? Schau nur, wie er dir zunickt! " SOMMER Im grauen Dunst entgleitet nun die Stadt. Beglückend laufen Wiesen uns entgegen, Und jeder Baum an unserm Wege hat Noch dunkles Laub und reichen Früchtesegen. Ein schlanker Kirchturm schickt aus grünem Grunde Des Dorfes sommerbunte Gärten aus, Und als Verheißung einer stillen Stunde Empfängt uns gastlich ein verträumtes Haus. In schattenkühler Laube rankt die Stille Sich zart wie Rebgelock an uns empor, Und eines neuen Lebens heißer Wille Steht wie der Sommer draußen vor dem Tor. Aus dem Gedichtband „Heimk ehr ins H erz" v on Ca rl Marti n Eckmair, erschienen im Oberös ter reichischen Landesverlag .

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