(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 7. Jahrgang, Heft 1, 1957

HELLMUT TURSKY FREMDENVERKEHR ALS SOZIOLOGISCHE AUFGABE Es wäre nicht ausreichend, würde man dem Fremdenverkehr nur eine völ- kerve rbindende Funktion zubilligen. Bei a ll er Wahrung der naoionalen Eigenheiten eines Volkes handelt es sich -doch, im Grunde genommen, immer um Gruppen von Individuen, die in ihrer Gesamtheit die Mensch- heit bilden. Menschheit ist mehr als eine Vereinigung von Nationen. Für d•ie Statisoik, für den Devisenverkehr ist die Unterscheidung von Auslän- der- und Inländer-Fremdenverkehr wichtig. Für den Hotelier, für den Kaufmann ist der Fremde irgend einer der Kun·den. Für den finanziell unbeteiligten Einheimischen hingegen ist der Fremde e,in Einzelwesen, mit dem -es sich vielleicht lohnt, in Verbindung zu treten. Beziehungen schaffen von Mensch zu Mensch, das ist die soziologiische Aufgabe des Fremden- verkehrs . Die sogenannte zivilisi-erte Welt ist abe r zu unbeholfen gewor,den, um aus ihren Konventionen und Formeln herauszufinden. Ein ständiges Prüfen, ob sich das oder jenes einfüge, gehöre und zieme, verr.iegel t den Weg von Mensch zu Mensch . Wer wagt es denn, einen Unbekannten auf der Straße zu fragen, woher er komme, wer zögert nicht, jemanden auf einen Fehler hinzuweisen? Selbst um eine Hilfeleistung drückt man sich oft herum, nur aus der unverständlichen Scheu davor, aufdringlich zu erscheinen. Wenn es ,dem Fremdenverkehr ge l,ingt, diese Hindernisse zu überbrücken, dann hat er seine soziologische Funktion weitgehend erfüllt. Eng land und .die USA z. B. sind die klassischen Länder -der K lubs. Wer in diese K lubs eingdührt wir,d, .g-ehört zur Famili e. Besonders in Amerjka wird der Klubgast herzlich betreut und - was besonders wichti g ist - er soll ·sich im Klub wie zu Hause fühlen, di,e Einrichtungen benützen und persönlichen Kontakt aufnehmen. ,Es ist erfreulich, daß diese Einr ichtung in Europa allmählich F uß faßt. Auch die Fremdenführungen in den .Städt-en sind geeignet, d.ie Kontakt- nahme von Mensch zu M,ensch z u fördern. W•er nur an Hand eines Buches oder eines Prospektes die Städte durch- wandert, für den bleiben die Sehenswürdigkeiten ebenso tot wie das gedruckte Wort. Der gute Fremdenführer aber wir.d durch seinen Vortrag die menschlichen .Schicksale, ,die sich mit den ste•inernen Zeugen der Ver- gangenheit verknüpfen, lebendig werden lassen. Er wird darüber hinaus seine Reisegruppe zu ei ner interessierten Gemeinschaft zusammenfasse n, ,die vielle icht auch nach beendeter F ührun g bestehen bleibt. Vor allem aber ,ist das gastliche Gewerbe der H o t e 11 ·er i e und das sogenannte S c h a n kg e w ·erb e berufen, die mensch lichen Beziehungen der Fremden untereinander und insbesondere ,der Gäste zu den Menschen des Gastlandes zu för.dern; ,dabei sin.d nicht immer die Ausstattung des „Hauses" allein oder kostspielige Einrichtungen nötig - Gesellschaftsräume erleichtern freilich die Aufnahme des Kontaktes. Eine „Hall", in der man zwanglos plaudert, in der man sich ungezwungen bewegt, ist besonders wünschenswert. Eine Diele, eine Tagesbar sind ebenso Treffpunkte der Gäste wie Aussich tsterrassen und Klubräume. Der Vergnügungsreisende und -der Geschäftsreisende, all e Menschen, di,e unterwegs sind, suchen menschlichen Kontak t. Sie haben ja ihre Verwandten und Freunde zu Hause gelassen und brauchen -dafür Ersatz, denn man w1ill ja seine Erleb- nisse mitteilen und .diskutieren. Der Beherbergungsbetrieb soll die Gelegen- heit dazu bi.eten. Auch ein Gasthof kann im sauberen, freundlichen Früh- stücksra um, im gemütlichen „Stüber!" und im einla·den.den Speisesaal die Gäste einander näherbringen. Eine geschickte P.!acierung der Pens.ionsgäste wird .das erleichtern. Und ,der Gastwirt kann daraus auch für sich Vorteil ziehen. In einem Haus mit aufmerksamer Bedienung und persönlicher Betreuung wird man lieber bleiben, als in einem ungemütlichen. Was von ,den Gesellschafts- und Speiseräumen gesag t wurde, gilt in glei- cher Weise auch für di·e Wohnräume. Nicht der Luxus und nicht der Kom- fort allein veranlassen den Gast, zu bleiben, sondern der Raum mit .der persönlichen Note. Wenn es gelingt, dem Gast ein Zimmer zur Verfügung zu ,stellen, -das se in en persönlichen Wünschen und Neigungen ·entgegen- kommt, wi rd er der beste Propagandist. Das Einfühlungsvermögen d~s Gastgebers - vom „groß·en" Hotelier bis zum „k leinen" Ga·stwirt - 111 d ie Psyche seiner K und en wird aussch laggebend sein . Dem Gasc-gewerbe kommt deshalb e-ine entscheidende Rolle in der Frem- denverkehrswirtschaft ei nes Landes z u, weil dort die soziologische Aufgabe ansetzen muß. Wenn der Fremdenverkehr sich seiner Sendung bewußt wird, die menschlichen Beziehungen der In div ~duen zu fördern, und somit hi lft Einzelmenschen zu einer Menschhei t zusammenzuführ.en, dann wird er a~s der rein wirtschaftl ichen Sphäre zu einem wichtigen soz,iologischen und eth ischen Faktor wer.den. ..., man raur heu~r,r../ O§TERREit:;H ISt:;HE T4B4.KRE6IE IERWARENFAB (J §(fili WIEN 7. BURGGASSE 311 tüte. _(]3/f.Le.tauS!.S!.tattlUUJ D AS QUAL I TATSBRIEFPAPIER

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2