(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 7. Jahrgang, Heft 1, 1957

\t\Tenn j emand ein schönes Daheim hat, führt er Gäste, die Augen haben, die sehen können, gern durch seine Räume, weist mit ein er Handbewegung auf das gute Stück, auf das schöne Bild, und freut sich , wenn die anderen daran sich mit freuen können. Er führt sie auf den Balkon, von dem aus sein weiter Garten zu überblicken ist. Ich habe ein schönes und weites Daheim, durch das ich schon manchen geführt habe. Es liegt unter zahlreichen Balkonen ausgebreitet. Man muß sich nur di e :Mühe nehmen, einen Balkon zu ers teigen . Nlühe? \ t\T enn einer Beine hat, die er nicht nur zum Ein- und Aussteigen in und aus einem Auto be- nü tzt, wenn einer sich gesunden Beinen, offenen Augen, frohem Herzen übe rläßt, d er weiß nichts von Mühe. Vom schönsten Balkon aus möchte ich verständnisvolle Gäste auf mein Daheim schauen lassen. Der H erbst schenkt ni cht nur di e reifen Früchte d es Gartens, er schenk t auch solch e der Landschaft. Der laute, lebhafte Strom der Fremden ist verronnen, die überfülle des Lichtes verstrahlt; es wird still , m ild wärmt und leuchtet di e Sonne, der \ t\Tanderer gibt sich besinnlicher Muße hin und lächelt in di e von Traulich- keit umsponnene Natur. Der vergangene Herbst gab uns eine lange R eihe kostbarer Tage. Zum Oktobervollmond stand ich in U nterach am U fer des Attersees . Ehe der Kranz der Berge in Dunkelheit versank, schickte der aufgehende Mond seinen wachsenden Lichtbogen voraus über den Breitenberg, schob dann erst den R and seiner Scheibe über den Berg, glitt langsam hinter den am K amm stehenden Bäumen, sie in Stamm und Zweig sichtbar machend , hoc h, löste sich und stieg. Die Berge standen schwarz oder waren vom m ilden Licht überflossen, der See begann zu schimmern und zu flimmern. ,, \t\Tas die Sonne kann , kann auch ich", läc helte der Mond, ,, die Landschaft aus dem Dunkel heben. Mein Lichtklei d gibt ihr freilich ein anderes Ausseh en. Willst du es schauen , mußt du mit m ir wandern! " Schon oft bin ich dieser Einladung gefolgt. Ich ging he im, legte mich für ein paar Stunden hin und wachte, durch meinen \ t\Tu nsch geweckt, zur rechten Zeit auf. Nach kurzem trat ich aus dem Haus. Unser Brunnen , aus dessen 11und in stetem Fluß das Wasser in d en steinernen Kranter fällt , singt mir verstärkt sein wo hl- ver trautes Lied , das in der Nachtstille sanft durchs Fenster dringt. Der Mond steht hoch , in seinem Lichtkreis sind di e Sterne er- trunken, doch beleben sie den übrigen Himmel. Die Lampen der Straßenbeleuchtung stören. Außerhalb des Ortes wandere ich im Mondschein. Auf der Brücke verwe ile ich, betrachte die freundlichen Lichterspiele, die der Mond auf dem Wasser der Ache vollbringt, dann schreite ich bergwärts. Bald umfäng t mich dichter Wald, durch den kaum ein Schimmer dringt, doch kann ich das Band des beki esten Weges ausnehmen. Der ganze Zauber, selber von der Dunkelheit verschlungen, förmlich körperlos, mit hellwachen Sinnen, offenen Augen, scharfen Ohren, aufgetanem I nneren, langsam, lautlos Schritt für Schritt zu tun, erfüllt mich . J eder Zug der Nachtluft ist köst- liche Erfrischung, das Blut pulst kräftig durch den Körper, das Rieseln des kleinen, überbrückten Bächleins ist freundlicher Gruß. Di e Freude und Dankba rkeit, zu leben, zu erleben, ist n irgends wacher als beim nächtlichen Alleingang auf den Berg. Im Hochwald wird es lichter, durch Kronen und Gezweig fa llen Strahlen , die in stets wechselnder Folge Bilder h inleuchten, di e jubeln machen und zugleich ergreifen. Doch hütet sich der 11und, di e Stille der Natur durch einen Ruf zu stören . Die Lichtung gibt den Ausblick auf den steilen Hang frei, über den in K ehren der vVeg gelegt ist. Bei der ers ten Ruhebank ve rweile ich, nicht um auszuruhen, ich kann von den Bildern nicht los : d er am Ufer, am Fuß des sich dahinter aufschwingenden Hollerberges lang- ges treckte Ort liegt im Schlummer. Schräg schüttet der Mond sein Licht über die Berge, es zerfließt auf dem See zu abertausend Funken, und drüben, aus dem Wasser, aus breiter Sohle zu Wand und Gipfel hochgewachsen, ragt das Höllengebirge. D er Wald wird schütter, er gibt immer neue Ausblicke frei. Auf der Bank beim Eustachiusbild ist mein nächster H alt. Nun l iegt auch der östliche T eil des Mondsees unter meinen Füßen. Dort unten, an dessen Mündung, kann man an hellen Sonnentagen unterm vVasser noch zahlreiche Pfähl e der Bauten aus der jün- geren Steinzeit im Seegrund stecken sehen . Vor vier J ahrtausenden haben dort Menschen nicht nur gelebt, nicht nur vVerkz eug und Gerät gemacht, vVohnung und K ah n gebaut, gej ag t und gefischt , gewiß hat sie di e milde Mondnacht schon sanft beweg t. Gleich daneben, im Gasthof See, hat Gottfried Ke ll er mehrere Sommer verbracht und, angeregt von der schönen Landschaft und freund- licher Gesellschaft, an seinen Novellen gearbeitet. Am H ang dort drüben, halben Weges zwischen Atter- und 11ondsee, hatte ein großer österreichischer Erfinder se inen \!Vohnsitz; er ruht j etzt unweit davon am \ t\Taldrand im 11ausoleum : Viktor Kaplan. Das schöne H aus am Mondseeufer, Pension Marienau, war die Villa, die d er Erforscher der Pfa hlbau ten sich errichtet ha tte, der Prähistoriker Much. Bei Scharfli ng war eine zweite, am Attersee ni cht weniger als zwölf Pfahlbaustationen gefunden worden. Was sind viertausend J ah re? In der hellen Nacht kann man sich vorstellen, daß ein Pfahlbauer seinen Einbaum über d en See treibt. Ein verspätetes oder verfrühtes Auto brummt durch das Tal, fi ngert mit seinem Scheinwerferstrahl voraus. Ein Stück weiter und eine andere \ t\T el t tut sich auf. Der erste Aufschwung auf dem vVeg zum Schafberg, die Seeleiten , ist über- wunden , die Almenmatten der Eisenau breiten sich schlaftrunken , silbrig überglänz t. Die Schindeldächer der Almhütten schimmern . D er Brunnen sprudelt seinen Strahl in den langen Trog, in d em Lichtflecken fangen spielen. Hoch und dunkel baut sich aus neuem Aufschwung die Schafbergwand auf. Brei tenberg und Zimnitz sind wahrzunehmen. Noch ist es Nacht. Es scheint der Mond, die Sterne funkeln. Der von hier an nich t so schön gebahnte \ t\Teg beeinträc htigt nicht di e Köstli chkeit der nächtlichen Wanderung. J eden Schritt, j eden Ausblick, j edes Bild genießend steige ich we iter. Als ich bei der Suißena lm bin , di e keine Alm mehr, nur ein dürftiger Unters tand ist , dämmert der Tag. Im Südosten ist es hell geworden, der Lichtschein wächst, der Silbergla nz erlischt, das T al, der Attersee liegen grau in der Tiefe, das Suißenkar und di e Schafbergwand dahinter sind bleigrau. Ü ber dem 11oos und Schwarzensee zerfla ttern dünne Nebelschleier. Da ich vor Sonnena ufgang nicht auf dem Gipfel sein könnte, warte ich hier, verfolge das ewig schöne Gleichnis der Weltschöpfung, den T agesanbruch. Auf Gipfeln und im Tal legt die Erde das Nach tgewand a b, sie liegt erwartungsvoll. Als der Goldball überm Höllengebirge hochsteigt, schlüpft sie in ih r buntes, herbstliches Tageskleid und lacht. Eine lange Kehre führt aus dem Kar hinaus und unter di e Scha f- bergwand, unter der ein langer, waagrechter Auss ichtsweg hin- führt. Wir wären auf dem Balkon, von dem sich Attergau und Mondseeländchen überbli cken lassen . Doch wer brächte es fertig, unter dem Schafberggipfel sitzen zu bleiben und nicht den Weg aufzusteigen, der 1884 vom Verschönerungsverein Unterach , d en früheren Anstieg über den „H engst" seitwä r ts lassend, angelegt wurde? Schafwand hieß fr üher das K ar, das von Nordwesten bis knapp unter den Grat führt , Schafl och di e kleine Einschartung, di e ausgesprengt und zu der eine Steintreppe angelegt wurde. Dr. Nicoladoni schrieb in der Linzer Tagespost vom 9. Juli 1884 am Ende eines begeisterten Berichtes über di esen Weg: ,,Himmels- pfor te soll te besser dieses Schafl och heißen. Denn in demselben Augenblicke, a ls wir dasselbe durchschreiten, tut sich d em trunkenen Auge die volle H errlichkeit der südlichen Schafberg- aussicht, die ganze Kette der Alpen auf. Ein unbeschreiblich überraschender Eindruck, der a llein es lohnte, einmal vom All- tagsgetriebe abzuweichen und dem österreichischen Rigi vo n der nördlichen Seite sich zu nahen." Das \!Vort war ausgesprochen, ist geblieben und von allen für richtig empfunden , die durch di e ,,Himmelspforte" schritten. \ t\Tie oft wir auch auf d em Schafberg steh en, immer bes taunen , bewundern wir d ie Schöpfung in der Großartigkeit d er Alpen , die sich dehnen, so weit das Auge sehen ka nn , und den Freund- lichkeiten, Lieblichkeiten, die um unseren Berg liegen: Wolfgang- see, Krotten- und Fuschlsee im Süden und Südwesten, in seiner 9

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