(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 5. Jahrgang, Heft 1/2, 1955
Spannend wie ein Roman: Ein Stück Elektrizilötsgeschichte Oberösterreichs VON JOSEF GÜNTHER LETTENMAIR Der griechische Philosoph Thales aus Milet (ca . 640 bis 585 v. Chr.) war der erste Mensch, von dem man weiß, daß er sich mit den elektrischen Eigenschaften des Bernsteins beschäftigte. Aber erst beinahe zweitausend Jahre später, um das Jahr 1600, gab der englische Arzt William Gil- bert der merkwürdigen Eigenschaft des Bernsteins (der, wenn man ihn reibt, leichte Körperchen anzieht), nach dessen griechischer Bezeichnung „Elektron", den Namen „vis electrica", woraus sich das Wort „Elektrizität" entwickelte. Obgleich sich von dort an immer mehr Gelehrte mit der geheimnisvollen Kraft „Elektrizität" beschäftigten, war noch ein weiter Weg zurückzulegen, ehe die Elek- trizität jene Bedeutung erlangte, die ihr jetzt zukommt. Wenn es 1843 gelang, mit einem aus einer Batterie von 200 Kohle-Zink-Elementen gespeisten Bogenlicht einen Brunnen am Place de la concorde in Paris anzustra.hlen, so kam dem noch kein praktischer Wert zu, denn diese Beleuchtung kostete für vier Stunden Betrieb 12.000 Franken, damals so viel wie ein schönes Haus. Die Frage der Beleuchtung mit Elektrizität war auch zwanzig Jahre später noch nicht gelöst, als man schon die „Differential- bogenlampe" kannte. Für die Innenraum- beleuchtung war die von dem Hanno- veraner Göbel im Jahre 1854 erfundene primitive Glühfadenlampe ebenfalls noch keine brauchbare Lösung; erst Edison hat diese Lampe um das Jahr 1880 technisch ausgebildet und ihre allgemeine Verwen- dung möglich gemacht. Die einschneidendste Umwälzung in der Erzeugung von Elektrizität brachte die Entdeckung des dynamo-elektrischen Prin- zips durch Werner von Siemens im Jahre 1866; durch diese „Dynamomaschinen" konnten nun wesentlich größere Strom- mengen erzeugt werden als bisher, und in kurzer Zeit verdrängten die neuen An- triebsmotoren, die Elektromotoren, die damals in handwerklichen, gewerblichen und industriellen Anlagen zum Antrieb der Transmissionsvorrichtungen stark ver- breiteten Dampf- und Druckluftmaschi- nen. Als dann Werner von Siemens im Jahre 1879 auf der Berliner Gewerbe- ausstellung die erste elektrische Schienen- bahn vorführte, begann der Siegeszug der Elektrizität auch auf dem Gebiete der Fortbewegung. Von all diesen Fortschritten zog aber auch die Chemie viele Vorteile, wie etwa den der Reindarstellung von Natrium, Kal- zium und Bor, die Erfindung der gal- vanischen Vergoldung, die elektrolytische Kupferraffinade, die Gewinnung von rei- nem Sauerstoff und Wasserstoff durch elektrolytische Zerlegung des Wassers, 71 weiter die Gewinnung des bis dahin un- gemein kostbaren Aluminiums durch Elek- trolyse. Aber nicht nur in Großprozessen der In- dustrie hat die aus Elektrizität gewonnene Wärme Bedeutung errungen, auch im Haushalt (Bügeleisen, Kochplatte, Tauch- sieder, Strahlofen, Heizkissen usw.) er- oberte sich die Elektrizität immer mehr Boden. Diese zunehmende Verwendung der Elek- trizität stellte die Techniker ab 1890 vor immer größere Aufgaben: Setzte imJahre 1892 eine Dampfmaschine mit 1000 PS Leistung in der elektrischen Zentrale am Schiffbauerdamm in Berlin die technische Welt in Erstaunen, so sind heute Strom- erzeuger von 100.000 PS Leistung kaum noch etwas Besonderes. Die geradezu beispiellose Entwicklung des Verbrauches an elektrischem Strom ist vor allem auf seine besondere Eigenschaft der „Fortleitung" zurückzuführen: man kann ihn durch Fernleitungen ohne hohe Ver- luste auf weite Strecken hin an die Ver- brauchsstellen bringen. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann wohl die „ Internationale elektro- technische Ausstellung" in Frankfurt a. M. ( 1891) bezeichnet werden, wo erstmalig die Leistung einer Wasserkraft von 200 Kilo- watt mit Hilfe einer 15.000-Volt-Fern- leitung über die damals verblüffend lange Strecke von 175 Kilometer übertragen wurde. Diese erste elektrische Kraft- übertragung, deren Spannung, Leistung und Entfernung uns heute freilich klein anmuten, wurde aber zum Vorbild der modernen, länderumspannenden Energie- versorgung. Die Anfänge in Oberösterreich Die vielen Flußläufe, die in Oberösterreich vom Nordabhang der Alpen und von den Südhängen des Böhmerwaldes der Donau zustreben, legten den Menschen dieses Gebietes schon frühzeitig die Nutzung der Kräfte des strömenden Wassers nahe. Geschah dies anfänglich nur durch die Anlagen kleiner Mühlen, bescheidener Sägewerke oder Schmiedehämmer, so entwickelten sich an den Flußufern in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in zunehmendem Maße regelrechte Indu- strien, deren Maschinen vom Wasser an- getrieben wurden. Im Jahre 1881 gab es in Paris die „Erste Internationale Elektrische Ausstellung". Im Jahr darauf zeigte man in einer Aus- stellung zu München die Fortschritte der damals noch so jungen Elektrotechnik, und im August 1883 konnte in Wien Kronprinz Rudolf die großartige „Inter- nationale Elektrische Ausstellung" eröff- nen. Auch Kaiser Franz Joseph 1. besuchte die Schau. Auf seinem Rundgang blieb er überrascht vor den Anlagen der Waffen- fabrik Steyr stehen: hier strahlte ihm, ge- bildet aus 300 Glühlampen, sein Namens- zug entgegen. Der Monarch ließ sich alles genau erklären, auch die Dampfmaschine besichtigte er, die den Dynamo antrieb. Und plötzlich, so erzählt man, fragte er: „Wie ist das, könnte man einen solchen Elektrizitätserzeuger nicht mittels Wasser- kraft antreiben?" Die in seiner Begleitung befindlichen Fachleute verneinten und sie zählten Gründe auf, warum sie eine Licht- erzeugung durch Wasserkraft in der Theorie zwar für möglich, in bezug auf praktische Durchführung jedoch für un- möglich hielten. Doch sie irrten! Die Elektrizitätserzeugung mit Hilfe von Wasserkraft war nicht nur theoretisch möglich, sondern sie wurde um diese Zeit bereits praktisch durchgeführt, und zwar in Steyr! Josef Werndl, der Generaldirektor der Waffenfabrik, hatte am 3. Februar 1883 mit den Firmen Schuckert in Nürnberg und Krizik-Piette in Pilsen Verträge abgeschlossen, die auf die Errichtung einer „electrischen Fabri- cation" in der Waffenfabrik Steyr zielten. In unglaublicher Schnelligkeit wurden Objekte der Waffenfabrik elektrisch ein- gerichtet. Schon am 4. Juli 1883 (also noch vor Eröffnung der Wiener Ausstel- lung) erlebte die kleine, damals kaum 10.000 Menschen zählende Stadt die erste elektrische Beleuchtungsprobe: Josef Werndl hatte seine damals noch unvollen- dete Villa, das neue Glashaus und das Schloß Engelsegg mit elektrischen Lam- pen ausstatten lassen. Der elektrische Strom wurde mit Hilfe einer Wasser- turbine, System Curtis, gewonnen, die man in der Heindlmühle eingebaut hatte. Die Turbine betrieb zwei Dynamo- maschinen. Der erzeugte Strom diente nicht allein dazu, verschiedene Objekte der Waffenfabrik zu beleuchten, sondern er trieb auch schon an die 50 Maschinen an, teils für die Waffenherstellung, teils aber auch zur Anfertigung elektrischer Apparate. Denn Josef Werndl war daran, elektrische Maschinen und elektrische Lampen aller Art zu erzeugen. Ab Jänner 1884 stellte er in Steyr schon Glüh- lampen nach verschiedenen Patenten her. Zugleich bereitete Josef Werndl für Steyr eine „Elektrische Ausstellung" vor. In der am 26. November 1883 stattgefundenen Versammlung des Komitees für diese Aus- stellung machte der Verwaltungsrat der
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