(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 5. Jahrgang, Heft 1/2, 1955

den Engelsköpfen, zu dem gesenkten Haupt des heiligen Benedikt und zu dem durchgeistigten Antlitz des heiligen Bernhard am Heiliggeistaltar, und vor ibm bleiben wir lange, ehe wir noch einmal die achtzehn Stufen hinauf zum Hochaltar Hans Wald- burgers schreiten, um noch einmal den gewaltigen Raum von hier zu überblicken, ehe wir aus der Kühle des steinernen Schiffes zurückkehren auf den sonnenüberfluteten Marktplatz, auf den schon die mittagliche Glut sich herabsenkt. Durch Jahrhunderte bin ich gegangen, dachte ich, als ich, von der Kirche kommend, über den großen Stiftsplatz schritt, der Marschall-Wrede-Platz heißt, durch Jahrhunderte voller Ge- schehnisse, voll Wechsel mühsamen Strebens und Schaffens, voll Vernichtung und Mord, voll Liebe und Leid, voll mensch- licher Großtaten 1md kleinlichem Zank, voll Weisheiten und Irrtümer, was aber ist geblieben von allem? Einzig das, wo Geist und Kunst und Gläubigkeit darüber hinausgewachsen waren. Alles andere, noch so leidenschaftlich erstrebt und erkämpft, ist hingewelkt und abgefallen wie Laub im Wind, und wie Laub im Wind kommt und schwindet es, der Anruf des Ewigen, die fruchtbare Tat des Geistes überdauert sie. Auf dem Weg zum See, die herrliche alte Lindenallee entlang, überholten mich Radfahrer, junge Leute, Burschen und Mädchen mit leichtem Gepäck und sommerlich gekleidet. Am Ufer des Sees, auf den Bänken der Parkanlagen sah ich sie wieder. Sie hielten Rast und verzehrten ihre Butterbrote, und die Mädchen schlüpften aus Schuhen und Söckchen und ließen die Beine im Wasser baumeln. Die Sonne stand jetzt steil im Mittag. Der See lag regungslos, wie ein blaudunkles Tier sonnte er seinen glat- ten, glänzenden Rücken. Wo ein dünnes, glasklares Gerinne in den See rieselte, stand ein Wildentenpärchen im seichten Uferwasser auf dem Kiesel, die H älse nach hinten gebogen und den Kopf im Gefieder verborgen, schlief es. im wärmenden Lichte. Ein Schwan zog den Strand entlang und weiter draußen trieb ein Haubentaucher sein munteres Spiel. Die jungen Leute scherzten und lachten und einige mieteten eines der Ruderboote und ruderten gegen St. Lorenz hinüber. Ein kleines Motorboot jagte fast lautlos vom unteren See herauf und pflügte eine silberne Spur. Lange noch kamen die Wellen in zierlicher Flucht an die Ufer gelaufen. Ab und zu, wie erste Zugvögel, kamen ein Auto, ein Roller, ein Motorrad auf der Seestraße gefahren. Dann geschah es, daß das Geräusch der Motoren plötzlich verstummte und die Fahrer und ihre Reisegefährten sich im Schatten des Parkes niederließen, den leuchtenden Gipfel des Schafberges betrach- teten, daß sie ihre Kamera zückten, und manchmal kam es vor, daß sie die eilig unterbrochene Fahrt nicht gleich wieder fort- setzten, die Musik und der ruhige Atem des Landes hatten sie gefangen, vielleicht begriffen sie in diesem Augenblick, wieviel ihnen verloren ging, wo sie vieles in raschem Fluge einzuheimsen glaubten. Gönnten sie sich mehr Zeit noch als eine flüchtige Stunde und strichen den Rest ihres Fahrplanes, wanderten sie rund um den See, gingen sie auf die Höhen, überblickten sie das Land um den See von Norden und Süden auch, nähmen sie sich Muße, zwischen Gehölzen und Wiesen, vorbei an den alten Dörfern und Höfen zu wandern, es eröffnete sich ihnen wunderbar die Vielfalt und die großartige Symphonie dieses Stück Landes, von der herben Ödlandschaft bis zur Anmut der Siedlungen am See, von Wald und Fels der Gebirge bis zu den feuchten, abseitigen Sumpfwiesen, uraltes, ungebrochenes Wesen der bäuerlichen Bezirke und die Gipfel deutscher Hochkultur im. Zentrum der Landschaft träten vor ihnen zutage. Woran aber liegt es, daß sie es nicht vermögen? Woran liegt es, daß sie weiterfahren müssen, immer weiter, was treibt sie, wohin treibt es sie? Was treibt uns ·alle? Die Schwäne ziehen noch immer in Gelassenheit und Anmut ihre Bahn, das Wildentenpärchen schläft noch immer im Licht, sie versäumen nichts, sie leben. Die Wolken, die sich am Nachmittag über den Bergketten zeigten, schneeweiße, seltsame Tiere, zogen sich gegen Abend wieder zurück. Und als ich, auch mein Tag am See war zu Ende gegangen, zu meinem Ausgangspunkt, zur Bank, wo das Geriesel in den See strömt, zurückkehrte, lagen schon lange Schatten auf dem Wasser und die Wildenten waren fort. Nur der Schwan schimmerte fernher in reinem Weiß. In den Kronen der Linden bewegte sich das schwellende· Gezweige und im Innern der Kirche dämmerte schon das Dunkel herauf. 20

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