(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 5. Jahrgang, Heft 1/2, 1955

Er blickte zu dem alten Baum neben dem Wirtshaus auf, dessen erstes Grün schon zu erkennen war, und sagte: ,,Ein schöner Morgen, ein paar solche Tage noch, und alles blüht." Ich ging ein Stück die Straße entlang, sie steigt ein wenig an, und wo sie die Höhe erreicht, lagen zur rechten Seite einige Baumstämme. Ich setzte mich auf einen von ihnen und sog das warme Licht und die frische Luft begierig ein und lauschte den Kuckucksrufen. Von allen Gehölzen riefen sie, und auf den kaum ergrünten Wiesen funkelte der Tau der Nacht, und ich dachte, es ist, als ob die Erde, selber glücklich bestürzt über diesen Morgen, in Tränrn ausgebrochen wäre, als ob die Sonne sie jetzt von ihrem erwachten Gesicht trocknen müßte. Ich rechnete nach, wann ich zuletzt den See entlang und durch den Markt gekommen war, aber es war so lange her, ich wußte das Jahr nicht mehr. Nur nachts war ich einmal, vor einigen Jahren erst, vom Attersee her nach Mondsee gefahren. Es war eine mondhelle Nacht gewesen, der See schimmerte in einem zarten Lichte, und die Wälder standen schwarz und still, und ich hatte damals gedacht, wie das Leben an seinen Ufern ge- wesen sein mochte vor Jahrtausenden, wie die Menschen hierher gekommen sein mochten, wie sie ihre Pfahlbauten errichtet und auf Jagd und Fischfang gezogen waren, und welche Götter sie verehrt hatten. Kelten und Römer hatten an seinen Ufern gelebt und ihre Spuren hinterlassen, die wir der alles verhüllenden Erde zuweilen noch entreißen, germanische Stämme hatten sich angesiedelt, Mönche hatten die neue Heilslehre gebracht, Kirche und Kloster gebaut, See des Mano, Maninsee, hatten sie den See genannt; trotzdem stellte ich mir vor, daß eine Göttin, eine hellhäutige Mondgöttin, seine geheime Herrin sei, über die Jahrtausende hin nicht gealtert und mächtig bis ans Ende der Tage. Das fiel mir jetzt ein, und ich dachte, ob es der Wein gewesen war, der mich damals so verzaubert hatte. Ein Bauer kam zwischen den Feldern her auf die Straße zu, ein anderer aus dem Tal, ihre Gegenwart holte mich zurück, inke Seite oben: Mondsee, farrkirche. Plastik eines Bene- liktinermönches von Meinrad ;uggenbichler am Wolfgang- 1ltar in Vorchdorf. HI. Rochus ·on einem frühe ren Pesta lta r ·on Meinrad Guggenbich ler; lerzeit an der Epistelseite im :hor aufgestellt. inke Seite unten : Oberhofen, ' farrk irche. - HI. Rochus am lochaltar von Meinrad Guggen- lichler. - Zell am Moos, Pfarr- :irche. Ausgießung des Heiligen 3eistes . Spätgotisches Relief, rntstanden um 1500 ich blickte auf die Uhr und sah, daß es Zeit zur Abfahrt war. Der Chauffeur hatte nicht übertrieben, die Straße war erbärm- lich, aber die Baustellen der neuen kündigten eine breite, schöne Fahrbahn an. Wo der Wagen hielt, im Ort Oberhofen, in Weg- dorf, beim Uferwirt und in Zell am Moos, stiegen Landleute zu oder Schulkinder, Knaben und Mädchen, die nach Mondsee zur Hauptschule fahren. Der Schafberg, in seinen Hängen noch weiß vom Schnee, leuchtete lang schon vor uns auf, und zur Rechten spiegelten die Wasser des schmalen, langgestreckten Zeller Sees (er heißt auch Irsee) die besonnten Hänge und Wiesen. Ein Kahn zog gemächlich darauf hin und zerschnitt für eine Weile den glatten Spiegel. Als der Wagen auf dem Platz in Mondsee hielt, war er fast über- füllt. Es war halb acht und der Markt begann sich eben zum Tagewerk zu regen. Das Ländliche ist noch stark zu spüren, wohltuend gleich beim ersten Anblick. Hast und platte Manier haben den bäuerlichen, sicheren Charakter noch nicht erstickt. Das Langweilig-Mondäne ist noch nicht eingezogen. Die Stifts- kirche und das ehemalige Kloster der Benediktiner stehen erhöht, die Geschäftshäuser der Bürger haben in weitem Bogen würdigen Abstand gewahrt, so ist der Blick zur Stätte des Geistes und der Versenkung frei und das Portal offen und einladend für jeden, der den Ort besucht. · Als ich die Kirche betrat, ging der Morgengottesdienst gerade zu Ende. Der Mesner löschte die Kerzen am Altar, dann ver- sorgte er die vielen bunten Blumenstöcke mit Wasser, brach da und dort ein welkes Blatt oder eine abgeblühte Blume vom Strunk und entfernte sich so lautlos, wie er gekommen war. Einige alte Leute knieten noch in den Kirchenstühlen in Andacht versunken und vor einem der Seitenaltäre stand ein blasses Kind innigen Bitten hingegeben, unablässig bewegten sich seine Lippen, unhörbar leise aber dem irdischen Ohr waren seine Worte. Das Ungeheure des Raumes, dieser Einbruch des Universums, gebannt unter das hohe Gewölbe und das gewaltige Aufstreben der mächtigen Pfeiler, des Irdischen ins Himmlische, diese sicht- bar gewordene Ahnung der Berührung und des Aufgehens von hier und dort, diese Befreiung des Steins aus dem Stofflichen ins Geistige, sie lassen alles Laute mit sanfter Gewalt verstummen, das Wort dämpft sich von selbst, der Fuß bedarf nicht der Lenkung, von selbst tritt er leiser auf, wenn er das Portal überschreitet. Man denkt an keine Maße, man weiß sie, aber sie besagen nichts mehr, sie sind aufgegangen im Bau wie der Stein, aus dem er gefügt ist, wie das Holz, aus dem die Gestalt geboren, wie die Farbe, aus der das Bild lebt. Romanik, Gotik, Barock und Renaissance, Jahrhunderte haben zusammengewirkt zu jener Fülle, vor der wir Heutigen stehen, überwältigt, nicht im Stande, sie in unser flüchtiges Dasein gleich zu bannen, wie wir es versuchen möchten. Erst wenn wir uns im Raum gefunden haben, gelingt es uns, von Altar zu Altar zu gehen und zu verweilen vor den künst- lerischen Offenbarungen unbekannter und bekannter Meister der großen Epochen eines Jahrtausends. Immer wieder aber begegnen wir Meinrad Guggenbichler, der von Mondsee aus über das Mondseer Land und über die Grenzen Österreichs hinaus gewirkt hat, und wir kehren immer wieder zurück zu ihm, zu seinem heiligen Rochus am Sebastianaltar, zu den beiden Engeln am Heiliggeistaltar, zu den säulentragenden Engeln,

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2