(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 5. Jahrgang, Heft 1/2, 1955

ES IST MEHR ALS EIN GLEICHNIS, DASS Stifter la ngsam und spät zu seiner eigentlichen Sendung heranreifte, sich d ann aber mächtig, geheimnisti ef, vielfältig und einfach wie der Wa ld entfaltete - es ist die Wirklichkeit jenes sanften Gesetzes, das zu verkünden ihm auf- ge tragen war . D erselbe große Atem, derselbe Puls aus der Mitte der Erde bes timmte sein \tVachstum in seinem Leben und im Bewußtsein seines Volkes . Wenn uns heute dieser Atem heil- krä ftig belebt, so mag uns ein Schauer über- kommen vor den l\.1ächten des Werdens , di e sich uns an seinem \tVerk und an seinem Leben dartun. Wir schauen , wie ein Volk sich den Genius gebiert , damit er es läuternd, ordnend und mit Innenkräft en waffnend näher zu dem Bilde führe, das es meint. Wenn wir uns heute nach so reinen Quellen beugen, so wird uns erschütternd bewußt, wie sehr wir ihrer Kraft bedürfen, wie sie uns durchdringt mit ti efer \tVä rme, wenn uns Erstarrung und Untergang drohen. K a um ein anderer Mund hat Weihe und Macht wie der seine, uns wieder zu lehren, da ß a ll e Erneuerung von innen und nur von innen kommt. Nur was noch nicht abgetrennt von allen tiefen \tVassern lebt, gewinnt immer wieder a ufs neue Kraft zu sich selbst. Stifters Stern hat nichts vom Kometen an sich. Er flammt nicht plötzl ich auf, um plötzlich zu ve rsinken. Daß es so lange währte, bis sein Strahl uns traf, d a ß es so wenige gab, die den Lebenden schon erkannten, darf uns kein Anlaß zu billigem Beda uern oder gar zu rückgewand- tem Mitl eid we rden. D as a ll es gehört zu seinem Gesetz . Man mußte ihn mißverstehen, mußte ihn a btun wie irgendeinen der belanglosen Heimatdichter seiner Zeit. Diese Stimme war mit halbem Ohre nicht zu hören. Sollte sie ihre ganze Wirkung tun, so mußte a lles T au be, a lles was ihr nich t gewachsen war, sie überhören, daß di e Hellhöri gen um so tiefer lauschten. Besser a ls die gerechten Zipfelmützen, die seinen Blick, der im Kleinen d as Große sah, nicht er- maßen und dankbar für Spielerei nahmen, was heiliger Ernst ist, begriffen oder ahnten ihn viel- leicht die Gegner. H ebbels Hohn zum Beispiel: war ein Blümchendichter denn des Hohnes wert? Fühlte d a ni cht einer wohl die Kraft, ohne aber zur Bej a hung vorzudringen? Gab er sich viell eicht dem 1Viderstande hin , den sie i 'im, dem Andersartigen erregte, ohne sich d er Gründe bewußt zu werden, aus d enen Abwehr a ufsprang? Wollte oder konnte er sich dies ni cht eingestehen, weil seine \!Ve it zu sehr geri chtet, spannungsvoll , eben wesenhaft drama tisch war? Aber ist nicht gerad e seine Gegnerschaft und seinesgleichen in tieferem Verstande a ufschluß- reich, wie sehr eine scheinba r so sanfte, das heißt zur Ruhe gebändigte Flamme des offenen und geheimen Widerspruches bedarf, um desto tiefer einzuleuchten ? Dem Blick des geborenen Epikers ist jedes Ding und jedes 1,Vesen gleichermaßen bedeutsam, er scha ut im Vergänglichen das Dauernde, das Gleichmaß, ni ch t das Ü berma ß, die ewigen Ordnungen, ni cht Wandel und Gewalt . Der Seele gil t a ll es so viel, a ls es in ihr bewirkt, das scheinba r Kl eine mehr, a ls das scheinbar Große. Der Vorwurf behäbiger Kl einli chkeit, die um den Menschen nicht weiß, konnte einer Er- scheinung wie Stifter auf die Dauer keinen Schaden tun. - Der Epiker schaut das Men- schengeschöpfnicht losgetrennt von seiner Land- schaft (etwa als Träger einer Idee in den Span- nungen eines H andlungsablaufs), schaut \tVelt und Sch icksal nicht im Gegeneinander der Kräfte, sondern gleichsam von oben her und mißt a ll e Dinge mit einerlei Maß. Seine Vlelt ist nicht pyramidisch geordnet wie die jüngere, männlich -geistige des Dramas, sondern sphä- risch . Horizont schwingt sich aus Horizont , und jeder Punkt ist gleichermaßen wichtig. Nicht die Grenze, das verneinende Gebot, sondern Gesetz und Raum ist das Bestimmende ; ni cht T a t, sondern Schau, nicht Zwiespa lt, sondern hohe Einfalt. Nicht in der Richtung des Ge- schehens, sondern im Umkreis liegt das Wesent- liche a uch der Stifterschen Kunst. Alles Innere verrät sich ihm im Bild, das Messer der Analyse ist ihm verhaßt. Wohl ist das Menschenherz di e bewegende Mitte, auf die alles bezogen er- scheint, aber der R a um, in dem es lebt, um- schließt es wie ein atmender Leib . Alles Außen ist innen und j eder Baum und jeder Stein - durch ta usend geheime Beziehungen geweiht - träg t ein T eilchen des göttlichen Atems , wie jeder Tropfen Blut es trägt. Es ist erschütternd, zu sehen , wie Stifter, ein tief leidenschaftliches und äußerst empfindliches Gemüt, sich selbst und seine Welt in Zucht und Ma ß hä lt, zur Sti ll e bändig t, alles Drohende und Dröhnende verbannt und ächtet. Hier aber ist Fassung das Ufer, das den Strom, je mächtiger er anschwillt, desto strenger zähmt, so daß er breit und sanft da hinzieht, immer leiser, tiefer , größer, bis er mündet im Unendlichen. - Bruckner durfte die Verzückung wagen, er er- trug sie mit der Demut des Gefäßes, wenngleich auch er fast zerbrach. Ihm mündet die Woge in die Generalpause des Himmels, ins Schweigen ein. Stifter hätte sie nicht ertragen. Alle Erd- gewalten lagen auch ihm von Vätern her im Blut. Ti ef ri chtig und ehrwürdig war sein Weg, wenn er auch zuletzt dem Blute kämpfend erl ag, anstatt dem sanften Gesetz wartend zu gehor- chen. Auszudulden bis ans Ende ging über seine Kraft. Dennoch, wie alles Tieferfüllte, berührt uns sein \tVerk und sein L eben als eine voll endete Melodi e, in der a lle Dissonanzen - sogar der herbe Ausklang - notwendig um des Ganzen willen sind. Wir glauben, daß sein Wachstum sinnvoll Ring um Ring gedeihen mußte, um di ese Breite des Lebensgefühls, di ese Tiefe der Ahnung und diese Höhe einfältiger \tVeisheit zu umschließen, und daß er - wie auch immer - doch zu seiner Stunde starb. Der T od der geliebten Mutter, der Tod lieber Verwandter kurz nacheinander, ein gespenstiger Totentanz hatte immer dichtere Schatten um sein Gemüt geschlungen. Nach und nach , während d er Arbeit am Witiko, war ein spät erkanntes, schweres Leiden immer mehr ge- wachsen. 1Vie ein verwundetes Tier hatte er sich abgeschieden, hat te nichts mehr hören wollen vom Lä rm und dem Wirrsa l der Welt. - Über seinen Heimgang sank die lautl ose Musik reichen Flockenfalls. Mit der sanftes ten Gebärde neigte sich d er Himmel. besinnung auf adalbert stifter kar1 kleinschmidt 12

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