(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 1/2, 1954
ter, den Ringelspielen und Schaukeln zu. Die Musik kreischte, das Treiben war ärger geworden, Gerda war auch hier nicht zu finden. Alfred dachte: Vielleicht ist sie schon heimgegangen. Dann muß ich laufen, daß ich sie erwische. Ich muß sie doch heimbringen.· Er verließ das Dorf und schlug den Weg e~n, den er mit Gerda gekommen war. Der führte erst am Flusse entlang, dann durch Wiesen und in den Wald. Die Abendsonne lag auf dem Wasser und ließ es im Lichte sprühen, sie lag auch auf den Fel- dern ,und v,erlieh ihnen satte, leuchtende Farben. Alfred be- merkte -es nicht. Er hatte einen Schritt angenommen, wie er bei den Freunden gebräuchlich war, wenn es galt, verlorene Zeit einzuholen, oder es einem begehrten Ziele zuging. Im Walde stieg der Weg an, und der Knabe mußte sich mäßigen. Er konnte nicht mehr die ganze Gegend übersehen, und es war möglich, daß Gerda irgendwo seitwärts wartete, abgekom- men vom Wege, der nur ein schmaler Steig war, vielfach ge- kreuzt von anderen. Alfred rief deshalb mehrmals Gerdas Na- men in den Wald hinein, ohne daß ihm freilich eine Antwort wurde. Auf dem Rastplatze, wo si-e das Mittagsmahl eingenommen hatten, war das Gras bereits wieder aufgestanden, und niemand hätte sagen können, daß noch vor! wenigen Stunden zwei Menschen hier gelegen seien. Alfred fürchtete um di,e verlo- renen Minuten und eilte zurück auf den Weg. Er dachte: Wenn ich jetzt n a c h Gerda heimkomme, wird der Vater viele Fragen tun: warum ich Gerda allein gelassen habe; warum sie nicht tanzen sollte, wo sie doch alt genug sei dazu; warum sie es nicht mit einem anständigen Menschen hätte tun dür- fen, der der Student doch sicher gewesen sei. Er würde fragen, ob der Ausflug nicht gemacht worden sei, Gerda, die im letzten Jahre viel arbeiten habe müssen, ein Vergnügen zu schaffen; oder was er eigentlich von ihr wolle. Die Fragen würden aber noch viel eindringlicher sein, wenn Gerda gar nicht daheim wäre. Dann würden sie heißen, was ihm nur eingefallen sei, sie in einem fremden Ort allein :zru lassen; ob er es nicht gefährlich dächte für ein junges Mädchen, allein durch den Wald heimzu- gehen; ob es nicht möglich wäre, daß sie sich verirrt hätte und in der Angst nun immer weiter vom Wege abkäme; ob er nid1t wisse, -daß ein gegebenes Wort zu halten sei, unter allen Umständen zu halten sei. Alfred geriet allmählich ins Laufen. Er nahm die Biegun- gen des Weg•es von der äußeren, weiteren Seite, um die fol- genden geraden Strecken besser übersehen zu können. Er lief stückweise durch den Wald, wo ,der Weg sich in langsamen Bogen krümmte und ihn so die kürzere Sehne schneller vor- wärts brachte. Der Schweiß floß ihm von der Stirn in die Augen, das Herz klopfte einen unheimlichen Takt, er hielt nicht an, tat es nid1t einmal, um den Bären, der unbequem im Arme zu tragen war, im Rucksack ziu verstauen. Erst an der Stelle, wo der Weg aus dem Walde auf die Wiese trat, wo der lange Hang hinunterleitete zum elterlichen Haus, stand Alfred still. Er hate nun wieder freien Blick und übersah den Weg in allen Teilen, bis zu der Brücke, die über den Bach und in den elterlichen Garten führte. Gerda war nicht zu erblicken. Das Elternhaus lag breit und ruhig inmitten der Blumenbeete und Baumgruppen, ein Teil der Fenster stand offen, und auf dem Dache wehte die Fahne, ein Zeichen, daß lieber Besuch im Hause sei. Alfred sah ,genauer zu, vor dem Gartenhäusd1en stand ein Tisch im Freien, vier Personen saßen um ihn, der Vater, die Mutter, ein unbekannter Mann und eine Frau. Die Gesichter waren nicht zu erkennen, der Mann war dunkel ge- kleidet, auch die Frau trug sich dunkel. Alfre,d dachte daran, daß Gerda ein helles Kleid .getragen hatte, es fiel ihm ein, daß sie es wechseln, das dunkelblaue Pensionatskleid anziehen hätte können. Dann mochte der Fremde der Student sein! Alfred begann langsam abwärts zu schreiten. Er war müde und verwirrt. Nun würden die vielen Fragen kommen, auf die er antworten müßte; es wäre den Eltern manches nicht ver- ständlid1; sie würden nod1 einmal fragen, und er könnte doch nicht alles beantworten, schon gar nicht, warum er weggelau- fen sei. Er blieb stehen und sah z•urück. Wenn er umkehrte, im Dunkel noch nicht ,daheim wäre und dann selbst gesucht würde? Wenn er angebe, immer auf Gerda gewartet zu haben? Würde nicht die Sorge um ihn die Fragen zum Verstummen bringen? Würde nicht die Freude, ihn wiedergefunden zu ha- ben, stärker sein als alle Gedanken, daß er seine Pflicht ver- nachlässigt hätte? Er ging einige Sd1ritte den Hang bergauf und kehrte dod1 wieder um. Weit war der Weg zurück! Er würde in die Dunkelheit kommen und dann warten müssen, bis je- mand käme, müßte die Unsicherheit um Gerda noch stunden- lang tragen. Er ging wieder abwärts, versuchte nicht mehr zu denken, was nun in kurzer Zeit geschehen würde, und geriet in schnellere Gangart. In einer Mulde, die durch eine schwache Gegensteigung des Hanges gebildet wurde, fand er Gerda. Sie saß im Gras und trug noch das lichte Ausflugskleid. Es hätte nicht festgestellt werden können, wer zuerst das andere erblickte und seinen Namen rief, aber Ge.rda faßte sich vor Alfred. Sie sprang auf, streckte ihm die Hände entgegen und sagte: „Nun wirst du sehr böse sein auf mich, Alfred. Aber ich warte seit einer Stunde hier auf dich." Der Knabe blieb ruhig. Gerda sagte: ,,Ich hätte nicht tanzen sollen." Alfred antwortete: „Warum hättest du nicht tanzen sollen? Du bist alt genug dazu, und ich hätte es doch nicht gekonnt." Gerda fragte, auf den Bären weisend: "Hast du den g e - f und e n?" Sie wartete keine Antwort ab und sagte: "Wenn du ihn behalten willst, werde ich ihn dir morgen zusammen- richten. Er sieht abscheulich aus." Alfred nickte: ,,Er ist :im Wasser gelegen. Ich möchte ihn schon behalten." Sie gingen den letzten Teil des Weges, den Hang hinunter, über die Brücke in den Garten, und waren wieder daheim. Eine Stunde später wurde das Nachtmahl eingenommen. Es war im Freien bereits kühl geworden, und das Mädchen hatte im kleinen Speisezimmer gedeckt. Die Gäste der Eltern waren noch anwesend, ein Studienfreund des Vaters und seine Frau. Die Freunde hatten sich jahrelang nicht gesehen, es gab viel zu besprechen zwischen ihnen, und auch die Frauen hatten an- einander Gefallen gefunden. Sie sprad1en, soweit sie nicht dem Gespräch der Männer lauschten, von Dingen der Wirtschaft oder Büchern, wie es sich gerade ergab. Die Eltern richteten ge- legentlich auch eine Frage an Alfred und Gerda, es geschah mehr aus Höflichkeit und dem Wunsche, die beiden nid1t ganz von der Tischrunde auszusd1ließen, denn aus wirklichem In- teresse. Einmal wandte sich der Vater an Alfred und teilte ihm mit, daß Kurt und Richard am späten Nachmittag gekommen seien und sich entschuldigt hätten, ihn nicht abgeholt zu haben; Max wäre verhinden gewesen und es hätte keinen Zweck ge- habt, den Radausflug zu unternehmen; si,e bäten Alfred, mor- gen mitzlukommen. Der Vater sagte: „Wenn du Kurt nod1 verständigen willst, fährst du am besten gleich jetzt. Du kannst für alle Fälle meine Lampe neh- men." Alfred verabschiedete sich hierauf von den Gästen, den Eltern und Gerda, er nahm sein Fahrrad aus dem Schuppen und fuhr zu Kurt, ihm mitzuteilen, daß er zur bestimmten Stunde bereit sein werde. Illustrationen; Peter Kubovsky Entnommen dem Erzählband August Karl Stöger: In den dunklen Nächten, Wien, Wancura, 1953 '?9
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