(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 1/2, 1954

FRA.NZ LIPP lObcröftcrrcidiß lractitcnfrüti ling ,,Lebe wohl, du Heimattracht!" ... Dieser Seufzer, ent- rungen einem tieferripfundenen, echten Schmerz über das Schwinden der heimatlichen Tracht, hier als Refrain eines volkstümlichen Liedes wiederkehrend, ist nur eine von den zahllosen Stimmen, die seit einem Jahrhundert (und länger! ) den Verlust, Niedergang und Untergang der angestammten, lieb gewordenen Volksart Oberösterreichs' beklagen. Noch 1845 konnte Matthias Altmann, Bauer auf dem Nigl- gute bei Taufkirchen, der Verfasser des „Oberösterreichischen Georgikons", die Tracht seiner Landschaft besingen: . . . Sieh an unsern rüstigen Großknecht, Wie der feine Kastorhut das runde Gesicht ihm beschattet; ... Ein schöner franzblauer Janker Reichlich mit silbernen Knöpfen besetzt! Er trägt auf dem Leibe Eine buntseidene Weste; seine Lenden umschließet Ein grünlederner Gürtel; ... Die lederne Hose ausgenäht nach ung'rischer Weise, Glänzend gewichste Stiefel, -zischmenartig geschnitten, Mit schwerseidenen Quasten, vollenden den ländlichen Anzug. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verändert sich das Bild der Volkstrachten Oberösterreichs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt im Sinne einer immer stärkeren Angleichung an die bürgerliche Kleidung. Nur das Salzkammergut und die übrigen Gebirgs- anteile Oberösterreichs, das Stoder-, Steyr- und Ennstal, die ,,Eisenwurzen", wo die Hämmer der Sensen-, Nagel- und Zeug- schmiede erklangen, beschreiten einen eigenen Weg. Hier be- ginnt die Tracht kräftig zu blühen, sie erhält erst jetzt ihre besondere Prägung und ihr eigenständiges Gesicht. Die sogenannte „steirische", grau-grüne Tracht bildet sich mindestens im gleichen Maße auf oberösterreichischem wie auf oberste_irischem Boden. Hallstatt, Ischl, das Stodertal, Spital am Pyhrn, Micheldorf und Steyr werden zur selben Zeit Ent- wicklungszentren der grau-grünen LodeI;ltracht wie Aussee, Admont, Eisenerz, Judenburg und Leoben. Im Flachland ver- liert sich um die Jahrhundertwende die Männertracht völlig, im waldigen Mühlviertel reicht sie jedoch in Ausläufern noch bis in die Vierzigerjahre dieses Jahrhunderts herein. Trotzdem ist die Tracht selbst im verkehrsoffenen Land nicht tot. So ent- wickelte sich die spezifische Tracht der Oberösterreicherin, das Kopftuch, erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, und erst um 1900 bilden sich die besonderen Unterscheidungen der Kopftücher in den einzelnen Landschaften heraus. Um 1925 kann man in Oberösterreich etwa 30 verschiedene Bindungs- arten des Kopftuches feststellen. Von einem wirklichen Verfall der Tracht kann man erst seit dem Beginn entscheidender sozialer Umschichtungen spre- chen. Zu dem Zeitpunkt, als sich der ständische Aufbau der Bevölkerung Oberösterreichs von der bäuerlichen zugunsten der städtischen und Industriebevölkerung immer mehr zu ver- schieben beginnt, werden die Volkstrachten naturnotwendio- . h b immer me r zurückgedrängt. Eine weitere Ursache des Ver- falls ist allerdings auch der fehlende Nachschub der erforder- lichen Trachtenstoffe. Die Industrie konnte oder wollte die bäuerliche Bevölkerung z. B. nicht mehr mit dem großen sei- denen Kopftuch versorgen. Es wurde mehr und mehr zur Totentracht der Bäuerinnen Oberösterreichs. An Stelle der edlen Seidenstoffe und Seidentücher lieferte das spätere 19. Jahr- hundert immer mehr billigen Baumwollersatz mit oft künst- lerisch flachen, naturalistischen Musterungen. Einen Tiefpunkt in der trachtlichen Entwicklung des Lan- des stellten jedenfalls die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg dar. Einerseits waren die alten Trachten so gut wie tot, da sie keine Entwicklungstendenzen mehr erkennen ließen und nur mehr „ausgetragen" wurden, andererseits wucherte der Kitsch der sogenannten Dirndltrachten, die als Surrogat echter Volks- 26 trachten von den Zentren des Fremdenverkehrs, zumal im Salzkammergut, ihre Impulse empfingen. Das verkitschte Dirndl a la „Ischl" oder „ Salzburg", ,,Semmering" oder „Henn- dorf" blühte. Selbst wohlmeinende „Trachten"- und „Heimat- pfleger" hielten für Volkstracht, was in Wirklichkeit im besten Fall nur die Erscheinungsweise der Kleidung einer einzigen Gelegenheit (z . B. sommerliche Berufskleidung) und eines ein~ zigen Standes (z. B. der Sennerin oder der Stalldirn) wär. Diese Kleidung, modisch abgewandelt und in den Farben ver- süßlicht, machte als „Dirndl" das alpenländische Rennen. In dieser Lage trat ·die Trachtenerneuerung auf den Plan. Ihr ging es darum, zusammen mit all den anderen Werten der Volkskultur auch die Volkstracht zu erneuern, nicht von außen her oder mit bestimmten Nebenabsichten, sondern aus dem Gesetz und Leben der Volkstracht. Vorausgegangen war also ein Wandel in der Einstellung auf die Tracht, die nun nicht mehr nur als „ pittoreskes Nationalkostüm" aufgefaßt wurde, das wert war , von Malern und k. u. k. oder königl. bayr. Hof- photographen verewigt oder von Trachtenvereinen erhalten und bei gelegentlichen Festen gezeigt zu werden, sondern die nun tatsächlich wieder von der breiten ]\fasse des Volkes ge- tragen werden sollte. Tirol machte auf diesem Wege den Anfang - wenn man die früheren Versuche einer erfolgreichen Belebung der Tracht, auf die schließlich die Existenz der so kraftvollen oberbayrischen und Salzburger Tracht zurückzuführen ist, schon Geschichte sein läßt. In Tirol bewies die Kustodin des Volkskunstmuseums, Gertrud Pesendorfer, daß man auf die immer noch anspre- chende Pracht der Farben, Formen und typischen Einzelheiten überlieferter Trachten nicht zu verzichten braucht, wenn man nur den Schnitt zeitgemäßen Anforderungen anpaßt . In Zu- sammenarbeit mit einheimischen Kräften hat Frau Gertrud Pesendorfer auch die Trachten von Salzburg und Kärnten er- neuert. Das Beispiel und der Erfolg dieser Länder waren eine Ermutigung, auch in dem von Trachten schon so entblößten Oberösterreich den Weg der Erneuerung einzuschlagen. Aber mehr als dieses Beispiel bedeuteten das eingehende Studium der Trachtengeschichte des Landes und der Stachel, den der Volkstumsforscher und Heimatpfleger bei einem Vergleich der Lebendigkeit des Volkstums zwischen Alpenrand und Donau- raum empfand. Waren drei Viertel des Landes oder noch mehr ohne stamm- haft eigenes Kleid, sollten sie, da aller trachtlichen Eigentüm- lichkeit bar, imstande sein, wieder Träger einer ganzheitlichen Volkskultur zu werden? Dabei war der Wille zur Tracht und zum Volkstum in allen Landesteilen da und die Jugend sehnte sich nach Farbe und Besonderheit. Sie hatte das uni- forme und oft auch weichliche Einerlei des Modischen nie als ihr Eigenes empfinden können. Erst im Sommer 1950 konnten die ersten Vorlagen für erneuerte oberösterreichische Trachten erscheinen. Sie um- faßten mit den Variationen etwa 50 verschiedene Frau~n- und Männertrachten, und zwar zunächst solche, die im ganzen Land Gültigkeit hatten. Berücksichtigt wurden alle Gelegen- h eiten, von der Stall- und Feldarbeit bis zur hochfestlichen Abendveranstaltung, alle Altersstufen, alle .Jahreszeiten und selbstverständlich auch beide Geschlechter. Es sollte nicht so sein, daß nur die Frauen Trachten tragen, während sich die Männer nur mit der vom volkskundlichen Standpunkt aus nicht vollkommenen „Landestracht" begnügten. Der Devise: mehr Farbe und mehr Abwechslung kam auch der Geschmack der Zeit, kam auch die Mode entgegen, die sich überhaupt in manchem als Schrittmacherin der Tracht erwies . 1952 folgte die zweite Vorlagemappe, ,,Innviertel", die für diesen einen Landesteil weitere 50 Trachtenvariationen vorschlug. Inzwischen hatten aber die wissenschaftliche Unter- mauerung, die methodische Exaktheit und die Erfolge der ober-

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