(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 1/2, 1954

Überraschungen. Der dritte Engel hingegen - der linke d es Agapitusalta r es - sieht Go tt m itten ins Antlitz , von den völlig entrückten Zügen ist alles Irdische abgefallen , nichts mehr zwischen sich und dem Ewigen , und in ihm lebt nur noch der Himmel. Sein Gegenüber schließlich hat Go tt schon geschaut, das heitere Antlitz ist wieder der Erde zugekehrt, aber d as Lächeln des Engels birg t noch a lles Entzücken , alle ihm teil- haft gewordene Gnaden , und di eser Ausdruck macht ihn unserer M einung nach zum K o tbarsten, d as di e süddeutsche Barock- p lastik ü berha up t j e hervorgebra,ch t ha t. Michael Z ürn d . J. t ri tt a lso mit einem M eisterwerk in das künstlerische Geschehen seiner Zeit und es fällt schwer, seine fo lgenden \i\/erke daran zu messen . Schon bei den weiteren Ar- beiten für Kremsmünster - obwohl a us gleichem Ma teri a l ge- scha ffen - fa llen die ma nieristischen Ges ta ltungsmittel stärker ins Auge. Der nervöse, abe r doch eigentlich ausdruckslose Fal- tenwurf der Gewänder, der die K örper mehr beengt als befreit, und die gla tten, von j edem Ereignis unberührten Gesichter kennzeichnen einen Wandel im Formdenken , der von nun a b bis zur Grenze der Formauflös ung, bis zu r Erstarrung führen wird. Zunächst gilt es aber noch eine R eihe von Arbeiten zu nennen , di e fast an di e unerreichba ren Schöpfungen zu Krems- münster hera nreichen und Zürn auch als einen M eister der Holzplas tik offenbaren . Dabei fa ll en in erster Linie di e R oc h u s- und S e b as ti a n s t a tu e n a u s M a tt see auf, d ie von H ein rich D ecker - seinen Namen wird di e Zürn-Forschung immer wieder mi t Dankbarkeit zitieren müssen - zum erstenma l nachge- wiesen werden konnten u nd wohl aus der Zei t um 1685 stammen. Beide Ges ta lten künden von höchstem Ausdruck und vermitteln überdi es wertvolle Vergleiche mit den bes ten \,Ver- ken helleni stischer Plas tik. Während das Antlitz und der ent- blößte Oberkörper des hl. Sebas ti ans nur Leid, Demut und brennende No t ausdrücken , lebt in der Ges ta lt d es hl. R ochus di e wissende Kraft d es Sta rken, der keine Verfolgung zu fürch- ten braucht, weil ihm di e Gnade d es Himmels teilhaftig ist. K aum minder wertvoll erscheint uns di e Sc hm e r ze n smu tte r, di e gleich fa lls von H einrich D ecker ers tma lig nachgewiesen wurde. Die e twa eineinhalb Meter große H olzplas tik ist der Aufnahmen von M ax Eiersebner Mi tte lgruppe eines Kreuzalta res entnommen und vermit telt einen schä tzenswerten Einblick in Zürns früh es te Schaffens- periode. Die von fass ungs losem Schmerz gekrümm te Ges ta lt, di e in wildem Gebe t verkrampften Finger und der stürmische, vielfac h überlappte Faltenwurf des Gewandes zeugen von einem Meister, der von Beginn seiner La ufbahn an einen durchaus eigenwilligen Weg vor sich sah und der das H er - kömmliche, wo es a nging, ablehn te. Das Antlitz der Gottes- mutter freilich ist besonders in der Kinnpa rti e wieder typisch ma nieristisch geformt. All diese Vorzüge, der geni ale Will e zur persönlichen Aus- sage, de r kühne, abe r im letzten aussich tslose Versuch, M anie- rismus und Barock zu einer Synthese zu bringen und dami t ein Einziges zu schaffen, und schließlich der für j ene Zeit be- wunderungswürdige M ut, eigenes Erl eben u nd Leid kund- zu tu n, beginnen j edoch nach 1685 zu verblassen . Die in diesem J a hre wieder f ür Kremsmünster gearbeite ten E ngelsges ta lten zeigen nicht mehr einen d ramatisch gesteigerten Vorgang oder j enen unbeschreiblichen Glanz höchsten Künstler tums, sondern repräsentieren sich a ls problem- und spannungslose Figuren, kühl und kla r ü berscha ubar. Trotzdem vermögen sie den \,Vis- senden tiefer zu erschüttern a ls Zürns Ivi eisterwerke, denn es ist unverkennbar geworden: die einsam glühende Flamme ist erloschen, di e K raft gebrochen, und d as, was fo lgt, wird nie mehr der A tem des U nsterblichen umwehen . Die eindrucksvollsten Beispiele fü r di esen Spä tstil vermitteln di e H o l z pl as tik e n in der Gm u n d ne r P fa rrki rc h e und die F igure n vo m e h ema li ge n Hoc h a lt ar z u A ltmü n- s t er. Diese Gestalten sind nich t mehr na turna h, sondern na- turfern geworden , ihre Gesichter sind en tweder banal oder er- schreckend wi e Masken, und die Gewandformen erinnern a n den weichen Ü bergangss til um 1400 . Die Grenzen des Ges ta l- tungsfähigen sind lä ngst überschrit ten oder weiten sich zu einem Wagnis, aus dem sich das Auge die Merkmale der 19

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