(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 4. Jahrgang, Heft 1/2, 1954
Der Bilbbauer Mid]ael Zilrn ber Jüngere EINE STUDIE VON RUDOLF WALTER LITSCHEL Im Frühling 1681 wendet sich der etwa fünfzigjährige Bild- hauer Michael Zürn d. J. - seit geraumer Zeit in Gmunden am Traunsee ansässig - an den „hochwerthen Rath zu Wasser- burg am Inn" und bittet „zum Zwecke häuslicher Anrichtung" um die Ausstellung eines Geburtsbriefes. Einige Monate später, am 23. Juli 168 1, stellt das Wasserburger Ratsprotokoll fest, daß „Michael Zürn, eines Bürgerssohn a llhier und seines er- lernten Handwerks ein Bildhauer, den achtzigjährigen Schnei- der Wolf Dionysi und den siebzigjährigen Metzger Adam Pa- lauf a ls Zeugen seiner eheligen Geburt stellte, welche vor dem Rathe bezeugten, daß des Michael Zürns eheleiblicher Vater David Zürn, im Leben gewester Bürger und Bildhauer zu Was- serburg sei. , sich anno 1635 m it Barbara seiner gewesten Ehe- wirtin, noch im Leben, verehelicht, im U. 1. Frauen-Gottshaus am Platz von Stadtpfarrer Dr. Johann ,,Volf getraut wurde und in dieser Ehe seinen Sohn Michael ehelich gezeugt habe". Damit ist die Herkunft Michael Zürns d. J. geklärt. Er stammt aus jener weitverzweigten Bildhauerfamilie, die von Hans Zürn und seiner Gattin Barbara Väthin Ende des 16. Jh. in der vorderösterreichischen Stadt Waldsee im württember- gischen Donaukreis begründet wurde und mit Jörg Zürn - dem Schöpfer des berühmten Überlinger Hochaltars - ihre künstlerisch bedeutsamste Persönlichkeit stellte . Nach Jörg er- langten - besonders hierzulande - die Brüder Martin und Michael Zürn einen großen Wirkungskreis. Ihre Arbeiten in der Stadtpfarrkirche zu Braunau und in der Pfarrkirche Eggels- berg sowie die Altäre der Heiligen Georg, Martin und Sebastian in der Filialkirche zu St. Georgen a. d. Mattig zählen zu den bemerkenswertesten Schöpfungen heimischer Barockplastik. In den von dem heißblütigen, strei tlustigen Brüderpaar geschaf- fenen Figurengruppen erhält der mit dieser Epoche neu ge- wonnene Formensinn seinen merkbaren Ausdruck, und der Mensch in seinen mannigfaltigen Erscheinungen wird zum Endziel alles Schaffens. Als beste Beispiele sollen nochmals die S t.-Georgener Altäre genannt werden, die mit Recht als die Hauptwerke der Brüder Zürn gelten und die ihre ganze Meisterschaft in gleichsam konzentrierter Form widerspiegeln. Die bewegten, von einem Ideenstrom überfluteten Gestalten zeigen Heilige, die nicht in stiller Duldung ihre Aufgabe er- kennen, sondern in dem wechselvollen Spiel des Lebens, in Kampf und offener Auseinandersetzung. Lediglich der hl. Mar- tin scheint sanfter gestimmt, obwohl auch er durchaus krie- gerisch anmutet und eigentlich nur wenig mit einem Heiligen herkömmlicher Vorstellung gemein hat. Dennoch öffnet er mit seiner nachdenklichen Erscheinung das zweite Tor zum Schaf- fen der Brüder Zürn, das sich nicht nur in der Entladung barocken Temperaments erschöpfte, sondern das auch - und dem verdanken die Künstler ihre bis in die Gegenwart gültige Bedeutung in ungleich höherem Maße - a llen Vorgängen eine geistige Deutung zugrunde legte. Diese Schöpfungen erwiesen sich überdies bald als stark genug, um eine künftige Kunst- entwicklung anzubahnen, die das Geistige voranstellte, ohne daraus starre Forderungen oder Formen abzuleiten. Aber immer mischt sich eine Spur Unwirklichkeit in die sonst so reale Auf- fassung, ein abstrakter Hinweis, der durch das oft allzu bunte Kolorit den Werken einen märchenhaften Reiz verleiht . Mit Martin und Michael Zürn kündet sich in unserem engeren Kunstkreis ein neuer, zu j ener Zeit keineswegs schon in seinem ganzen Volumen erkennbarer Zug an, der in dem Schaffen ihres Neffen Michael Zürn d. J. in wahrhaft genialer Weise zur Vollendung gelangen sollte. Die weitesten Strecken im Leben dieses m semem Wesen und Werk bis heute nicht ganz erfaßbaren Künstlers liegen im Dunkeln. Alles, was vor seiner Niederlassung in Gmunden im Jahre 1681 geschah, stützt sich auf Vermutungen und Annahmen. Diese Versuche beginnen mit seinem Geburts- datum, das trotz emsiger Forschung noch immer nicht ein- deutig geklärt werden konnte, und gelten auch für seine Lehr- und Wande1jahre, die er wahrscheinlich teils in der väterlichen Werkstatt, teils in Italien verbrachte. So ist dieser Bildhauer, a ls ihn im Oktober 1682 das Stift Kremsmünster mit der Auf- gabe betraut, acht große steinerne Engelsfigu ren für den Aga- pitus- und Candidaaltar zu schaffen, schon ein reifer :tviann und ein bewährter Künstler. Fast drei Menschenal ter früher vollendet sich jene Stilepoche, die trotz a ll er Hemmungen viele bedeutsame plastische Schöp- fungen hervorbrachte: der Manierismus. Seine eigentliche Ge- burtsstunde war die Reformation und die Überwindung mittel- a lterlicher Lebensformen. Der Mensch, der durch seinen Drang nach neuen Zielen und letzten Entscheidungen ein neues Welt- bild geschaffen glaubte, stand neuen Auseinandersetzungen gegenüber, die ihn nun - nach Aufreißen eines schier endlos scheinenden Raumes - mit neuen Kämpfen und Qualen be- drohten. Die Kunst - wollte sie noch Wesentliches vermitteln - mußte sich dieser Stellung anpassen und mit einem Schlage a uf a ll e jene Werte verzichten, die etwa die Gotik bereits für immer gewonnen glaubte. Die Folge davon war eine Flucht des Manierismus in das Abstrakte, in das „Weit-über-die-Erde- Schwebende", die zeit- und leidlose Form wurde zum Idol und das Kunstschaffen zu einem fast mathematischen Problem. In der Praxis frei lich ergab das eine künstlerische Arbeit, die zu- tiefst unschöpferisch war und erst um 1590 neue, eben barocke Kräfte gewann . Vierzig Jahre später war der Geist des Manie- rismus durch den Triumph dieser Kräfte überwunden, die ab- strakten Gestaltungen nahmen neue Züge an, und „die leiden- den, den formenden Kräften hingegebenen Gebilde verflacker- ten zu Gespenstern". Michael Zürn d. J. , mag er auch gemeinhin a ls Barock- künstler gelten, war nun Manierist und blieb es auch, obwohl er damit - in einer barocken Umwelt a rbeitend - sich selbst in arge Konflikte stieß. überdies kam er aus einer Familie, die fast aussch ließlich mehr oder minder bedeutsame Künstler h er- vorgebracht hatte und bei der die gemeinsame Arbeit trotz persönlicher Zwistigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zur Tradition gehörte. Als der Rat von Überlingen 1613 dem Jörg Zürn die Gestaltung des Hochaltars für das Münster übertrug, holte der junge Meister sofort seinen Vater aus Waldsee zur Hilfe, und als die jungen Bildhauer Martin und Michael Zürn nach Wasserburg kamen und dort mit dem seit über dreißig Jahren ansässigen Berufskollegen Jeremias Hartmann in Kon- flikt gerieten, so kämpften sie gemeinsam um ihre Stellung. Selten scheint eine Nachricht auf, nach der ein Zürn a llein oder von seinen Angehörigen isoliert arbeitete, zumeist sind es zwei Namen, die sich mit einemWerk verbinden. Auch Michael Zürn d.J. schien vorerst kaum an eine Trennung von seiner Familie ge- dacht zu haben. Dennoch zeigte sich sein einsames Wesen und sein starker Drang zur Unabhängigkeit schon frühzeitig. Er war zweifellos einer von jenen ganz Einsamen, denen gerade wir Österreicher - man denke nur an Ludwig van Beethoven, Franz Grillparzer oder Daniel Gran - die wertvollsten künst- lerischen Beiträge verdanken. Wir besitzen zwar für dieses in düsteren Farben gehaltene Zürn-Porträt praktisch keinerlei Be- 1?
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