(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951
unter den Hut geschaut, sie hätten es am Geflacker der Augen gemerkt, wie sehr der Arme dem milden, sanften Wahnsinn nahe war, wie es schon genügte, daß er nur mit dem kleinen Finger ganz leise an das verwunschene Pfört- lein knöchelte, und der Irrgarten sprang vor ihm auf. ,,Weitersuchen ... ", murmelte die Frau, sterbens- müde, draußen vor dem Tor. ,,Ich kann nicht mehr ", sagte sie zu ihrem heiter lächelnden Gatten. ,,Ich weiß", sagte dieser und stützte die Schwankende. „Es ist auch gar nicht nötig", flüsterte er. ,,Der Schein blieb hier stehen. Er steht hier immer noch." Er sah glücklich zu Boden vor seine Füße in den Schnee. Und er gestand ihr, daß vor ihm, seitdem es dämmerte, den ganzen Weg her und her ein Lichtlein zitterte , ein Schein wie aus einer Laterne. ,,Wir werden geführt", sagte er; und , da der Sd1ein nun wieder ein wenig zu wandern begann: ,,Ein paar Schritte nod1 !" Und er lenkte sie nach hinten um das Haus, von dem Schein geleitet und getröstet. Sie ließ kopfschüttelnd alles mit sich geschehen, ihr wäre jetzt auch ein Wunder recht gewesen. Durch ein n iedriges, wackeliges Lattentürchen und einen engen, von Büschen begrenzten Schlupf gelangten sie in einen winzigen, verschneiten Hof oder, wenn man wollte, Gasthausgarten; denn da stand auch, nahmen sie allmählich wahr, ein einziger, roh gezimmerter, fest in den Boden gerammter bretterner Tisch mit je einer ebensolchen Bank links und rechts an den Längsseiten. Ein Baum, ein Kastanienbaum wohl, beugte sich darüber, kahl, und man hätte durch seine Astkrone sonst in die Sterne schauen kön- nen, wäre dieser Abend nicht um und um bewölkt gewesen. Das Höflein war, bemerkten sie im Herumtappen, rings umbaut, war geschützt durch einen Schuppen und einen Stall oder was es war, alles dicht verschlossen, durch die offene Kegelbahn und einen riesigen Holzs tapel. In einer Ecke lag allerlei Gerümpel. Ein alter Pudel war zuvor aus seiner Hütte gekrochen, aber seltsam, er bellte nicht , ja wie der Mann ihm begütigend zuredete, stellte er sogar das Knurren ein, ließ sich das Fell beklopfen und verrollte sich wieder im Stroh. Dem Mann war unversehens em angelehnter Ruten- besen in die Hand geraten. Er begann die Bänke vom Schnee zu säubern. ,,Wir rasten hier die kleine Weile", sag te er. „Wie lang kann es noch dauern, und die Gäste drinnen müssen aufbrechen. Dann wird die Wirtin schon mit sich reden lassen." Der Schnee auf dem· Tisch war zu einer Platte zusammengebacken. Diese brach ihm unter der Hand in zwei Teile auseinander, in einen kleineren, einen größeren. „ Wie ein Polster", kicherte er listig in sich hinein. ,, Und das sieht aus wie eine richtige Tucfi:ent", sagte er zu sich selbst. Die Frau brauchte vom Rasten nur zu hören, und sie setzte sich schon hin, sie war zu allem bereit, aud1 war es nicht die erste Nad1t so, und sie hatten weit Schlimmeres über- standen. Nur niedersetzen wollte sie sich ein wenig , die Füße unter den Tisch strecken, ah, wie das wohltat ! Aber während er den Tisd1 sauber fegte und den Raum darunter und unter den Bänken und ein weiteres Stück rundum im Geviert, schon um sich warm zu machen, war sie bereits vornüber gesunken auf den Tischrand und fest, ganz fest eingeschlafen. Arme Frau, mußte er denken, ein Weild1en lasse ich dich so, aber bequem ist anders. Er legte das Wanderbündel vorn auf das Tischende. ,,Das gibt ein Kopfkissen", redete er mit sid1 selber. Dann fing er an, im Hof herumzukramen. Er fand ein paar zerl umpte Kohlensäcke, einen alten, löche- ri gen Pferdekotzen. ,,Fein!" Er ri eb sich die Hände, und ,vie in wohligem Vorgefühl gähnte er zum erstenmal. Hernad1 trat er hinter die Schlafende, hob sie ein wenig an und drehte sie - eine geringe Last - sachte auf den Tisch hinüber. Dann sd1wang er sich selbst hinauf. Er werde sie an sid1 ziehen, das Knäblein dazwischen, und wärmen. Er verpackte ihr und sich die Füße mit den Lum- pen, und über das ganze geballte Häuflein Elend schob der sd1on sanft Entrückte vorsichtig den löcherigen Kotzen. Die kleine Weile geht das gewiß an, dachte er, sie hatten ganz anderes mitgemacht, und einschlafen werde er selber nicht, nur etwas rasten. Wie lang könne es noch dauern , und die Gäste drinnen müssen aufbrechen; dann wird die \Xl irtin schon mit sid1 reden lassen. Von fern her hörte er einmal nod1 Musik von Bläsern und Geigen. Das erlustigte ihn. Er war red1t von Herzen froh und zufrieden. - Am nächsten Vormittag fand man sie. In der Nacht war Neusdrnee gefallen, weich und flaumig, ähnlich dem \XI atte- schnee, Wie er im Weihnachtskripplein verstreut herumlag , das in der Kirche aufgestellt war und es noch blieb bis zur Lichtmeß. Sie hoben die seltsam höckerige Schneetuchent ab - und da lagen die drei, auf dem Daunenpolster. Die fröhliche Weise, die der Mann noch gehört, hatte die Dorfbande , aus dem Nachbarort von einem Tanzfest heimkehrend, einer Schönen als Ständchen aufgespielt. Und das Lichtlein aus seiner Traumlaterne, das den j\fann hiehergeleitet, hatte sich wohl als Irrlichtlein erwie- sen. Oder es wäre ihnen so vorbestimmt gewesen, den näm- lichen Abend docn noch Barmherzigkeit zu finden, wenig- stens vom Schnee. Hatte der Unglückliche dann aber nicht recht gehabt, so still vergnügt aus dieser \'{/elt zu scheiden? Diese Erzählung stammt aus dem Geschenkband des Oberöster- reichischen Landesverlages: Friedrich Sacher - Die Schatulle, Ausgewählte Erzählungen, 172 Seiten, kiinstlerischer Buchsclnnuck ;md zwei farbiger Schutzumschlag, Gan z leinen, Goldprägung . S 43.50 3
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