(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

F R-1 EDRl CH 5/\CH ER 0 0 Das einsame Grenzdorf auf der Hochfläche, mitten rn den \X'äldern, steckte zwar noch tief im Schnee. Doch war gewiß der strengste, grimmigste Winter vorüber. .Ja, er neigte sich wohl überhaupt , merklich und ungewöhnlich früh, dem Ende zu. Manchmal blies nämlid1 schon ein Lüft- chen, so mild, so voller Ahnung und Verheißung, daß das Herz leise zu hoffen, ein wenig zu hüpfen begann; und wenn Neuschnee fiel, fühlte er sich bereits daunenweich und flaumig an und ähnelte etwas dem Schnee aus Watte, wie er im Weihnachtskripplein ~erstreut 0 herumlag, das in der Kirche aufgestellt war und es noch blieb bis zur Lid1t- meß. Man konnte ein zeitiges Frühjahr gut gebrauchen. Jen- seits der Genze zwang ein hartes Gesetz Tausende und aber Tausende von Menschen, außer Landes zu gehen. Sie wu rden fortgeschafft - oder die Unglücklichen flüchteten selbst. Solche Flüd1tlinge sickerten immer wieder einmal auch durch das Grenzdorf hindurch , bettelarm, aber heil- froh darüber , nicht n1ehr gejagt zu sein, sondern gebo rgen , geborgen bei Leuten der gleichen Zunge. Dem ersten Flüchtling hatte man, selbstverständlid1, gern und reid1lich gegeben von allem, was man hatte; dern zwanzigsten reichte man um Christi willen aud1 noch ein Schnittlein hin; für den fünfzigsten fand sich wundervoller- weise irgendwo dod1 noch ein Teller Suppe. Aber als von den Vertriebenen immer mehr und mehr, als sie häufiger und häufiger kamen (auch mochte manchmal ein grober, undankbarer Flegel oder gar ein Dieb unter den Heischen- den gewesen sein), da wurden die Seßhaften bald stumpf und stumpfer, wurden schroff und unwirsch und sagten sich, nun sei es genug und si·e hätten ihr Teil getan; da schlossen sich vor den Heimatlosen immer mehr Türen ab, vor den Sd1weifenden zu, bald waren die letzte Scheune, der kleinste Schlupf ver rammelt und vernagelt, die Riegel an den Toren wurden dicker und dicker, und selbst die Hofhunde dahinter an den Ketten kläfften giftiger, immer giftiger, so einer das Ohr dafür hatte . Um diese Zeit ging auch ein noch junges Handwerker- ehepaar mit einem Säugling von wenigen \V/ ochen über die grüne Grenze. Sie hatten sich den Tag über durch den tiefen \'{Tald und Sdmee, über Steinblöcke und Baumstämme hin- weg müd und hungrig, ja - nach allem, was hinter ihnen lag - halbtot gestapft, und es war ihre Freude zu ver- 5tehen, als sie, auf eine \X'aldblöße heraustretend, vom Dorf her die ersten Lichter durch den nebeligen Dämmer scheinen sahen. Der Frau, mit dem leise wimmernden Kindlein vor der .Brust, wäre es freilid1 anzumerken gewesen, daß sie die letzten Kräfte hergab, daß sie jetzt, verhältnismäßig in Sicherheit, nur mehr den einen \X'unsch und Gedanken 2 hatte, nicht so sehr zu essen, einiges hatten sie noch, nein , sondern zu ruhen, endlich zu ruhen, fest und tief zu schlafen. Der Mann, vom Krieg her noch an einer Kopfwunde leidend und notdürftig verbunden, war gleichwohl auf- geräumt, ja seltsam heiter gestimmt, er lächelte der jungen Mutter Trost und Mut zu, er war voll guter Hoffnung , aber die Frau vermochte diese nicht recht zu teilen, apathisch geworden nad1 so viel Grauen und Schrecken. Sie kamen ins Dorf und pochten da und dort um Her- berge an für eine Nacht. Es blieb alles vergebens. Sie wurden abgiewiesen oder es wurde ihnen gar nicht geöffnet. Es bedeutete schon viel, daß die junge Mutter bei einer armen Ta.glöhnersfrau ihren Säugling versorgen durfte und daß sie ein jedes ein Näpflein warmer Ziegenmild1 vor- gesetzt bekamen. Die Leute hatten selber nichts, nur die eine Stube und diese voller Kinder. Wie hätten sie hier um mehr bitten sollen! Das Wort wäre ihnen noch im Mund abgestorben, und sie hatten beide nicht die Ellbogen, um jemanden zu drängen oder gar zu verdrängen. So gingen sie. Ob es nid1t doch einen Gasthof gebe hier im DoEf, fragten sie einmal einen Vorüber-kommenden auf der Straße. Ja, das wohl, einen einzigen, und der sei dort und dort. Also stapfte das junge Paar mit dem Kindlein schon im Stockfinstern zum Gasthof und bat die Wirtin um Herberge für eine Nacht. Aber die hatte große Gesellschaft nach einem Bauernbegräbnis, alle Räume waren brechend voll, und sie hatte, so wenig es aud1 noch zum Verzehren gab, dennoch beide Hände voller Arbeit in der Küd1e und hinter dem Schanktisch, da sie mit einer Magd allein war. Die Flüchtlinge kamen ihr gar nicht gelegen, waren ihr höchst unbequem, und da sie den Säugling erblickte, be- fürchtete sie obendrein Scherereien. Es ginge heute nicht , wirklich nicht, sagte sie, sie sähen es selbst. Ja schon, meinte der junge Vater, aber sie wollten gewiß nichts umsonst haben; etliches Geld hätten sie noch, und morgen wolle er sich, wieder bei •einigen Kräften, im Haus nützlich machen durch Holzschneiden oder was die Wirtin wolle, er sei Tischler. Nein, nein, bedauerte die Wirtin und wies ihn ab, es täte ihr leid, aber sie sähen es selbst, hier ginge es heute nicht; doch irgendwo würden sie schon unterkommen, sie müßten eben weitersuchen. Und da der junge Mann, schien rs ihr, sich immer noch recht fidel und munter zeigte, schlief ihr Gewissen, rasch beruhigt, gleich wieder ein, es werde alles so schlimm nicht sein, und schob sie zur Tür hinaus. \Xfäre freilich der Arzt zugegen gewesen, oder es hätte ernst ein Kundiger, der Pfarrer etwa, dem Mann schärfer

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