(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

HANS HEIDENWAG Großstadtproblem und Städtestatistik (Am Bei s p i e I de r La n des h a u p t stad t Li n z) Als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Städte im Zuge der Industrialisierung sprunghaft zunahmen, wurden in diesen neuen Großstädten in schneller Folge städt-estatistische Amter gegründet. Großstadtprobleme und Städtestatistik stehen in engem Zusammenhang. Beinahe zwangsläufig ergab sich in der Städtestatistik aus der zahlen- mäfügen Beobachtung des städtischen Lebens auch die Er- forsehung der sozialen Struktur der Bevölkerung und der wirtschattlichen Grundlagen der Stadt. Eine plötzliche und starke Zunahme der Bevölkerung stellt eine städtische Verwaltung immer vor außerordent- lich schwierige Probleme. Es ist leicht einzusehen, daß eine wachsende Bevölkerung auch eine Zunahme der städtischen Verwaltung verursachen wir,d. Wer jedoch annimmt, daß die Bevölkerung und die städtische Verwaltung in gleichem MaiSe zunehmen, daß z. B. eine Verdoppelung der Bevöl- kerung auch eine Verdoppelung der städtischen Verwaltung erforderlich mache, der befindet sich in einem großen Irr- tum. Es gibt städtische Dienststellen und A.mter, die auch durch e.ine Verdoppelung der Einwohnerzahl kaum berührt werden und in dem alten Umfange weiterarbeiten, z.B. die städtische Finanzverwaltung, Schuldenverwaltung. Diesen langsamer als die Bevölkerung wachsenden Dienststellen stehen andere gegenüber, die proportional mit der Bevöl- kerung wachsen. Eine dritte Gruppe von Dienststellen wächst schneller als die Bevölkerung. Eine vierte Gruppe von Dienststellen muß schließlich neue Aufgaben erledigen, die bisher .in der kleineren Stadt entweder gar keinen oder einen nur gänzlich unbedeutenden Aufwand erfordert haben, in einer Großstadt aber nur mit einem unverhältnis- mäßig hohen Personal- und Materialaufwand bewältigt werden können. Hierher gehören insbesondere z. B. die Umwandlung der Freiwilligen Feuerwehr in eine Berufs- feuerwehr, die Anlage städtischer Zentralfriedhöfe an Stelle der kirchlichen Friedhöfe, der Bau von Schlachthöfen, die Einrichtung einer Müll- und Kehrichtabfuhr, Desinfektions- anstalten, Abwässerbeseitigung, Alters- und Kinderheime, Krankenhäuser usw. Es ist eigentümlich, daß die meisten Großstädte am Beginn der Industrialisierung von der Bevölkerungs- zunahme überrasd1t werden und die Konsequenzen, die sich für die städtische Verwaltung daraus ergeben, nur müh- sam ziehen können. Eine Verwaltung wird in der Regel traditionsmäßig geführt. In einer stationären Stadt wird ein Jahr weitgehend dem anderen gleichen, wodurch die Verwaltung gleichförmig wird. In einer Stadt mit plötz- lichem starkem Bevölkerungszugang verändern sich fast alle Aspekte. Die persönlichen Erfahrungen versagen. Maß- nahmen, die im vergangenen Jahr richtig waren , sind plötz- lich unvollkommen, unzureichend oder sogar falsch ge- worden. Die städtische Verwaltung muß alle Maßnahmen viel sorgfältiger überlegen und die veränderten Grundlagen studieren. Die Informationen hierfür muß das s t ä d t e - s t a t i s t i s c h e A m t liefern. Das Arbeitsgebiet eines städtestatistischen Amtes ist aus diesen Gründen ziemlich groß. Die Statistik der Bevöl- kerung ermittelt laufend den B e v öl k er u n g s s t an d. So wichtig die Einwohnerzahl ist, so kommt es für eine städtische Verwaltung fast noch mehr auf die Struktur der Bevölkerung an, also ihre Gliederung nach Familien, Haus- haltungen, nach Männern und Frauen, Schulkindern und Greisen usw. Manche unerklärlichen Mißerfolge oder Schwierigkeiten finden ihre Aufklärung lediglich durch un- zureichende Beachtung der B e v öl k e r u n g s s t r u k - t u r. Es ist sicherlich für weite Kreise überraschend, daß die Wohnungsnot weitgehend durch eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur (die Verkleinerung der Haushaltungs- größe) verursacht wird. Man kann an diesem Beispiel die zentrale Bedeutung der Bevölkerungsstatistik für die Be- urteilung von großstädtischen Verwaltungsproblemen er- messen. Mehr oder weniger findet die Bevölkerungsstruktur ihren Niederschlag in allen städtischen Verwaltungszweigen. Das Studium der Bevölkerungsstruktur ist deshalb dringend notwendig. Ebenso wichtig wie die Bevölkerung ist das S t a d t - g e b i e t. Ein Verwaltungsbeamter mug Land und Leute genau kennen. Unter „Land" darf man hiebei nid1t nur das Stadtgebiet verstehen, sondern die natürlichen Grund- lagen der Srndt, ihre Verkehrslage, die Standortverhältnisse von Gewerbe und Industrie, ihre Bedeutung innerhalb des Bundeslandes und Staates, ihre Verflechtung mit der Welt- wirtschaft . Denn davon sind in hohemMaße ihreKrisenfestig- keit und Steuerkraft abhängig, ebenso aber der Beschäfti- gungsgrad der Bevölkerung und Arbeitslosigkeit. Unter „Land" sind auch die Erforschung des Wohnungsmarktes und das gesamt,e lokale Kolorit der Bevölkerungsstruktur und der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einer Stadt zu verstehen. Eine wesentliche Voraussetzung für <lie Erforschung der besonderen Verhältnisse e.iner Stadt ist der Vergleich. Die v e r g l ,e i c h e n d e S t ä d t e s t a t i s t i k ist deshalb besonders aufschlußreich für jeden Verwaltung sbeamten. Sie gibt einen Überblick über die Verhältnisse in anderen Städten und schärft dadurch den Blick für die Besonder- heiten der eigenen Stadt. Die vergleichende Städtestatistik erfordert große Sachkenntnis und Kommunalpraxis, weil die Städte als Selbstverwaltungskörper sehr differenzierte Verwaltungen aufgebaut haben und ein mechanisd1er Ver- gl eich von Zahlenreihen ganz falsche Vorstellungen er- wecken könnte. Der vergleichenden Städtestatistik ist das in diesen Tagen herausgegebene „Statistische Jahrbuch österreichi- scher Städte" gewidmet. Es wird vom Dsterreichischen Sta- tistischen Zentralamt unter Mitwirkung des Osterreichi- schen Städte:bundes herausgegeben und enthält tabellarische Übersichten über Fläche und Bevölkerungsstand, Ehe- schließungen, Geburten, Sterbefälle, Krankenanstalten, Fremdenverkehr, Bodenbenutzung, Viehstand, Schlachtun- gen, Infektionskrankheiten, Kraftfahrzeuge, Schulstatistik, Wahlen, Ju,gendfürsorge, Heime für Blinde, Taubswmme, Körperbehinderte, Alters- und Siechenheime, Wohnbau- tätigkeit, Straßenwesen, Kanalisation, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Straßenbeleuchrtung, Verkehrs- betriebe, Verkehrsunfälle, den städtischen Personalstand, d1e städtische Finanz- , Steuer- und Schuldenverwaltung. - Mit einer Erweiterung und Einbeziehung andeiier Verwal- tungszweige in den nächsten Jahren ist zu rechnen. Das „Statistische Jahrbuch österreichischer Städte" hat eine große Bedeutung für die Vereinheitlichung der österreichi- schen Städtestatistik erlangt . Zum Aufgabengebiet eines stä•dtestatistischen Amtes ge- hört die Erledigung der A u f t r a g s s t a t i s t i k, die auf Grund von Gesetzen und Verordnungen angeordnet wird. Die Gemeinden haben dabei in der Regel nur die Durchführung der Erhebungsaiibcit zu leisten, während die statistische A'llfbereitung, die Tabellierung und Publikation vom Dsterreichischen Statistischen Zentralamt besorgt wird. Zur Auftragsstatistik gehören insbesondere die Volks- und 51

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