(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

KURT · VAN C::i A & oa neue 6tifterbilb EI N FORSCH U J GSBERICHT Die viele n Aufl agen , die Stifters Did1tungen in Ein ze l-, Auswahl - und Gesamtau sgaben und illu stri erten Festgeschenken zu Lebzeiten und nod1 ein Jahrzehnt nad1 seinem Tode erfahren haben, bekunden dod1 offensid1tlich deren en t - sprechende \Virkungskrafc. Es ist heute kaum mehr fe stzustellen, wie viel von di eser regen \'f erbung au f Kosten der nicht nur literarischen Freundsd1aft des von Stifter reich lid1 bean - spruduen Verlegers Gu stav Heckenast zu setzen ist, dennod1 mag die Nachfrage im gegebenen Zeitraum nod1 lebhaft genu g ge- \\' esen sein. Ob sich aber das Interesse weiter- hin nur au f den begren z ten Leserk reis der Alm an ad1- , Taschenbuch- und Kalenderliter atu r beschränk t oder dar über hinau s weite Sd,id1te n des Volkes erfa ß t hat, da s m (ißte erst eine in diesem Fall seh r aufsd1lu ßrei d1e literatursozio- logi sd1 e U n tersudrnng kl ären. Fest steht, daß gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaum mehr nad1 Stifter gefragt wurde und er in Jugend- sdwiften und Lesebüd1ern ein r edu kümmer- lid1es Dasein fri sten mußte . Erst um die Jahr- hundertwende sdiien es anders zu we rden. Der Ablau f de r Schutzfri st (1 898) und die lG0. Wiederkehr seines· Geburtstages (1905) , im Schatten der rausd1enden Sd1ill er-Feiern, brad1- ten nicht nur eine st attlid1e Zahl vo n Einze l- und Auswahlausgaben , sondern 1901 den ersten ( = XIV.) Band der vo n Au gust Sau er begrün- deten Prager hisc.-krit. Gesamtau sgabe und i\i04 die Stifter-Biographie von A. R. Hein . Das ungemein breitangel eg te Werk mugte zur Ze it überraschen. (Es ist sehr zu begr(ißen, daß der wagemuti ge Wi ener Verlege r Kri eg noch dieses J ahr , im Anh ang ergänz t vo n Otto Jun gmair, ein e fr eilid1 un veränderte Neuauf- lage dieses noch immer braud1baren Werkes he rau sbringt! ) Es wä re nun ir ri g, zu glauben , daß in di esen Jahren eine Art Stifter-Renais- sance eingesetz t hätte. Es blieb bei den wissen- schaft!id1en Benüihungen und einigen weni gen festlich en Gelegenheitsau sgaben. - Und wenn auch Jahre spät er (1911 ) dank Gu scav W il- helms Ein satz Stifter m it einer vo rbildlid1 textkritisdien Au swahl in di e Reihe der Gol- denen Klassiker-Bibliothek aufgenommen un d damit eine wohl verst andene Stifter-Kenntnis weitesten Kreisen zu vermitteln versucht wurde, aud1 der erste Weltkrieg raste über Stifter hinweg und ni chts hatte sich geändert. Stifter blieb auf weiten Strecken ein Unbe- kannte r. Nun aber, der We ltkrieg war k aum zu E nde, schien doch so etwas w ie ein e Stifterrenaissance zu kommen. Gewiß, die seeli sd1e Sirnation war dem Wiederaufleben eines Dichters, dem di e Ordnung wie die Sanftheit Gesetz wa r , günsti g, abe r nid1c die Lesergemeinde wuchs, so ndern die Wi ssen schaft vo rnehmlich dran g Sd1ritt für Schritt in das bi sher wen ig betreten e Neul an d ei n. Ernst Bertrams Niet zsdi e-Bud1 (191 8\, an- knüpfend an des Philosoph en seith er wieder- !'.o lt zitiertes Lob des „N achsommers", und Hermann Bahr (1919 ) eröff nen mit ih re r „Ent- deckung" Stifters den Rei gen der unzähli gen ernsthaften Untersudiungen . Nur eini ge der gewiditigsten Forscher seien hier genannt: Augu st Sauer, Gustav Wilhelm, Ern st Bertram, Josef N adler , Adolf v. Grolmann, Paul Han- kamer, Max Stefl, Franz Hüll er , Wilhelm Bietak, Giinther \Veydt, Joad1im Müller. Da- neben ging nun auch die große Prager Aus- gabe in lebhaftem Fortschritt zu End e, manch e in zwisd1en vergriffene Bände sd1on in zweiter Auflage. Eine einzige Stimme erhob sid1 da- mal s gegen Stifter. Friedrid1 Gundo lf sah sid1 bemüßigt, 1931 in einem vergeblid1 beredten Essay Stifter vom Piedestal seiner George- Gei sti gkeit h erab zu schulmeistern (im gle ichen Jahr aud, Grillpa rzer). So al so stand es mit Srift er vor dem zwe iten Weltkrieg. Die nun fol gende Auseinanderseczun g mi t der seit 1945 ersdiienenen Stifter-Lite~ rnr wird zeigen , daß die gegenwärtige mit der vo rdem skiz zierten Lage manche .i-'i.hnlichkei c zei gt . Dod1 möd1te ich hier, wenn aud1 nid1t vor - sdinell, das nidit bloß für den Wit iko gülti ge prophetische Wort des Diditers, man werde ihn erst in hundert Jahren ve rst ehen, bekräftigen . Zur Zeit ist es nod1 imme r so, daß die Be- mühungen um eine Verbreitung des Werkes hinter dem Eifer der wissensd1aftlid1en For- schung weit zurückbleiben. Der Prager Au s- gabe, heute sd10n in der zwei cen Auflage ver- gri ffen , fehlen noch immer der 13. und 25 . Band. Die 1926 um den „Nachsommer " e r- weiterte Au sgabe \Vi lhelm s in der Golden en Klassiker-Biblio thek ist aud1 ni cht mehr greif- bar und ebenso steht es mit der vo rtrefflicl1en Inselau sgabe Max Srefl s (1939/40, 6 Bände) . Der um di e ös terrei chi sd1e Literatu r so sehr verdiente Wiener Sd1ro ll -Verl ag hat sid1 bis heute nid1t dazu entschlossen, in se in e vor- bil dli che Reih e österreid1isdier K lass ik er in kri t i- sdien Gesamtau sgaben (Grillparze r, Raimund , Nestroy, An zengruber ) den noch fehl enden Stifter aufzunehmen. Wir ve rmi ssen also bis heute sdimer zlid, eine wissen sd1aftlid1 einwand - freie Gesamtausgabe des Diduers. Es wäre frei - li ch unrecht , wenn w ir die sonst er fo lgreid, en ,· (·rlegerischen Bemühungen der letzten Zeit nicht anerkennen würden . Soweit w ir ersehen können - mir liege nur der „Witik o" mit einer Verlagsan zei ge vor - hat der Scientia- Verlag Zürich die ein zige vorrätige Ausgabe d~s gesamten did1teri sd1en Werkes in 9 Bänden herau sgebradn, nad1 dem einen Band zu sd1ließen textrein , zum Teil in sauberem Dünn- dru ck un d YOrnehmer Geschenkau ss tattun g. Nach ~ne r An zei ge im „Börsenbl att " (1951 / 71) plant der Mündrner Verl ege r \Vinkler ein ähn- li d1es Unternehmen (wenn aud1 nid1t angefi.ih rr, ist doch zu ho ffen , daß die „Erzählungen" mit einbezogen we rden ). Bedauerlid, in be iden Fäl - len ist der für unsere Verh ältni sse un t ragbare Prei s. Hier bietet die zweibändi ge Dünndruck- auswahl der bewährten Berglandbu ch-Kl ass ik er (Sal zburg. Verlag „Das Berg landbud1 " . 1951. 990 und 1007 Seiten) einen recht willkommenen Ersatz. Nad1 einer an spruch slosen Einleitung, d ie nod, immer die heute redit merkwürdi g anmutende Anekdote vom „Geistesd ruck " des Metternid1sys tems wiederkäue, kommen eini ge Briefe, das Fragment der Selbstbiogrciphie und danad1 das didnerische Werk zum Abdruc.:k. ,.Das alte Siegel " und „Zwei Sd,western " sind nid1t aufgenommen, und - der sehr empfind- .li ehe Man gel dieser Ausgabe! - der ,, \Vitiko" nur mit dem ersten Bud, . Man denkt hier un - ' '- ·illkürlich an das unsinnige \Xfort von Emi l Kuh , der den „Witiko " und den „Nad1som- mer" einen Steinbrud, genannt hat, den man entsprediend bearbeiten mu ß. Es wäre wohl au f Kosten der Einleitung, des Bilderteils und der zuletz t abgedruckten Auszüge aus den ,.Vermisd1ten Sd,riften " und mit etwas mehr verlegerisd1em Fingerspiczengefühl unsd1wer möglid, gewesen, d ie hod,herzige T at einer ersdl\vinglichen Gesamtausgabe weni gstens des diditerisd1en \Verkes zu setzen. Das hätte dem Verleger zur hohen Ehre gereid1t. So mü ssen wir uns mit dem Geleisteten begnügen , wollen aber die gute Absid1t vollauf anerkennen. - Eine entsd1eidende Bereicherung erfuhr die Stifter-Forschung durch Max Stefl und Fran z Hüller. Stefl hat von 1922 bi s 1936 mit der ~.ähen Hingabe des echten Philologen die vor- h andenen Urfassungen herausgegeben , die so-- eben im Adam-Kraft-Verlag, Augsburg, in einem schmucken Neudruck er sd1einen (vorliegend: Condor , Feldblumen, Heidedorf - Der Hoch - wa ld - Di e Mappe meines Urgroßva ters ). Und Fr anz Hülle r hat uns neben einem Neudru ck (Freiburg. 1949. Alber) der al s Bel . 12 der Pr~.ge r Ausgabe erstmali g 1939 ersdiienenen !erzten Fas~un g der „Mappe" die erste nad1 der Handsd1rift beso rgt e Au sgabe der frühe sten Stifte r-Er zählung „Julius" gesd1enkt (Au gs burg. 1951. Adam Kraft ). Wir können nun auf Gr und der Urfassungen , besonders ansd1aulid1 an den dre i Gestaltungen der „Mappe " (die dritte, nur in den Variati onen der Prager Au s- gabe vorhandene in ihrer gesd1lossenen For - niung zu edieren , wäre z u erw ägen! ), den Wan - del des Sprach- und Baustils , mehr noch : den ge isti g-seelisd1en Tiefengang des Diditers ver- fol gen. Vom „Juliu s" wäre zu sagen , daß er i.iber die romantisd1en Bezüge hinau s stärkste Beachrnng finden muß al s .durchaus eigenwer- ci ges Zeu gni s frühen Können s und al s ein e nicht blo!1 thematische oder motivi sd1e Vor- formung späterer Dichtungen. Gerade bei Stifter ist wie bei seinem kon genialen Zeit- genossen Gotthelf das intensive ve rgleichende Studium für ein möglid1es Eindringen in die ,.Ge heimnis se des E rzählers" unerläßlid1. So sind diese Arbeiten Stefls und Hül lers gar nicht hod1 genug zu werten. - In dem Zusammen- hang wären noch lobend zu erwähnen die sehr verständi ge (und überdies woh lfeile!) ßrief- 2uswahl , di e Mo ri z En z in ger beso rgte (Inn s- 29

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