(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951
über den Flug hinüber zur Mitte der Stadt und öffnet ihr monumentales, mit Statuen geschmücktes Tor der flüchtigen 'v',T elt. Barock und Rokoko wechseln in ihrem Inneren. In den Mauern des einstigen Jesuitenklosters, das sich 9er Kirche· anschloß, holen Knaben und Mädchen sich heute \'Vissen und Bildung im öffentlichen Bundesrealgymnasium. So ist das Alte immer wieder mit neuem Leben erfüllt und wohin wir uns wenden, tritt das Vergangene aus Toren und Gassen in mannigfaltiger Form hervor in unseren Tag. Glück und Elend, Wohlstand und Not klingen nach in den grauen, behauenen Steinen, über die Kriege und Feuer und entfesselte Flüsse hinwegbrandeten, auf die auch di e Sonne friedvoller Zeiten herabsah und sie erwärmte mit der wahren Frömmigkeit gläubiger Herzen, mit Kunst und Gesang und aufgeschlossenem Geiste. Jeder Schritt führt zu neuen Zeugen dahingegangener Kultur und Größe. überreich ist die Stadt an stummer Sprache und kaum gibt es in Österreich eine, in der so viele mittelalterliche und barocke Bürgerhäuser in solcher Geschlossenheit erhalten sind wie in Steyr. Die Lage der Stadt in den Armen der Flüsse gab den neuen bedeutenden Industrien, wie sie am Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahr- 10 ,,.. 37EYft 'YnE..MMS OB. OE.~T. .. .. hunderts heraufkamen, keinen Raum, sie mußten hinaus- bauen an die Ränder der Siedlung und so ist es dieser schönen Lage zu danken , daß uns das Bild der Stadt fast rein erhalten blieb. Die FüHe der schönsten Bauten birgt der älteste Teil der Stadt: Enge, Stadtplatz und Grünmarkt. Und darüber, das Bild beherrschend, das Gegenstück zur weltlichen Macht der Burg, die Kirche zum heiligen Agid und Koloman, die Pfarrkirche der Stadt. Wo wir von Zwischenbrücken aus die Hauptverkehrs- ader zur inneren Stadt, die Enge Gasse, betreten, rücken die hochgiebeligen Hä,user nah zusammen und werfen ihre ,düsteren Schatten heute wie vor bald einem Jahrtausend auf den sich durchzwängenden Strom des geschäftigen Le- bens, mit dem wir, vorbei an der ehemaligen Schloßtaverne, dem Stadtplatz zutreiben, der sich linsenförmig vor uns ausbreitet. Das Licht flutet jetzt frei und voll herein und das Herz einer mittelalterlichen Stadt liegt offen da. Verbirgt die Enge Gasse dem Flüchtigen ihre barocken und Renaissance-Kostbarkeiten, so kann hier kein Hau s übersehen werden und jedes ladet ein. Hier, wie in den übrigen alten Teilen der Stadt, stammen die meisten Bauten aus spätgotischer Zeit, zumindest in ihren Hauptmauern, aber zum großen Teil auch in der gesamten Gliederung. Verändert hat sich an dem häufig dreistöckigen gotischen Wohnhaus Steyrs, das raumbedingt in die Tiefe gebaut ist, meist nur die Ausstattung der schmalen Fassade und die Einteilung im Innern des Hauses. Zum Schönsten gehört hier das aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhundert s stammende und in seiner ursprünglichen Gestalt voll- kommen erhaltene Bummerlhaus. Ein edles Maßwerkband am ersten Stock und Blendarkaden an diesem und an der Giebelmauer des abgewalmten Satteldaches, zwei Höfe mit Säulen- und Bogengängen und eine reizvolle Dachgestaltung ver leihen diesem Bauwerk ein einzigartiges Gepräge. Laubengänge mit reichgezierten Säulen und Bogen, ver- träumte Fenster mit schmiedeeisernen Gittern und uralte , kunstvoll geschmiedete Wirtshausschilder und köstliche Türbeschläge haben den Wandel der Zeiten überstanden und sind uns Zeugnisse, wie die Bauwerke selbst , einer starken Gesinnung und Kunstfreudigkeit. Das Atufblühen der Renaissance um die Mitte des sech- zehnten bis Anfang des siebzehnten Jahrhunderts verändert das Stadtbild mit nur wenigen Neubauten, die gewöhnlich den alten Haustypus beibehalten, kaum. Dafür erfahren die Hofseiten der Häuser nicht selten eine neue Gestaltung. Ist der gotische Hof noch schmal und eng, so erweitert die Renaissance ihren Hof, macht ihn geräumig und hell , liebt den quadratischen Grundriß, die Regelmäßigkeit und be- nützt gern die Verbindung zweier gotischer Häuser, um ihr Ziel zu erreichen. Sie verwendet die reinen, halbkreis- förmigen Bogen und leicht geschwellten Säulen in den Arkaden und Galerien und schenkt uns ihre schönsten Höfe im Schönthanha•us, im alten Stadthaus und im Hause des einstigen Stadtrichters Madlseder. Aber die Zeiten sind ruhelos und wechselvoll. Kriege 1111d Seuchen, Hunger und Not in ihrem Gefolge, suchen Europa heim und beginnen die Herzen und Hirne zu ver- Steyr, Rathaus. A rchitekt 11rzeichnrm g aus Friedrich Ohmann »Architek- tur und Kunstgewerbe des Rokoko und Empire ans Böhmen und anderen österreichischen Ländern. " .
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