(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

L1nu5 /{EfER Die Erde, auf der wir leben, hat Dauer; sie war, ehe wir waren und wi1,d sein, wenn wir nicht mehr sind, sie bringt unsern Leib hervor und riimmt ihn zurück und so ist sie Mutter von ungezählten Geschlechtern. Ihre Kinder aber, wie sie kommen ufld gehen, wirken an ihr und prägen ihr Antlitz, ver- leihen ihm Züge, die über Jahrhunderte hin Zeugnis von ihnen ablegen, vom Geiste, au s dem sie leben oder vom Dämon, dem sie verfallen. Sie roden und pflügen und pflanzen, säen ,das Korn in den Acker , zähmen die Wasser, legen die Straßen an in den Tälern und krönen ihr 'Werk in der türmepran- genden Stadt mit dem Aufschwung zu höherem Fluge. So wächst eine Stadt, aus vielen Wurzeln weither gespeist , über die Geschlechter hinaus, die sie zeugen, ein Widerhall ihres Herzschlages, ihres Wirkens und ihrer Sehnsucht im Tage der Gegen- wärtigen und der Zukünftigen. Viele Wege führen in eine Stadt wie Adern zum Herzen eines Leibes, das sie ja auch dem Lande ist, aus dem sie gefügt und gebaut ist . So auch gelangt, wer sie sucht, in die Stadt an den Flüssen: nach Steyr. Am Saume waldreicher Vorberge und grünwehender Hügel, im Süden die Mauern und Gipfel der hohen Gebirge, ist sie ge- wachsen, umarmt von den Flüssen Enns und Steyr. Wer erstmals sich hier eine Heimat ge- wann, wissen wir nicht. Wohl bauten Men- schen Häuser aus Holz oder Stein an den Ufern der schnellen Gewässer, stellten dem Wild nach , legten die Schlinge und fingen im Netz den Fisch, aber erst Funde aus späterer Zeit verraten, daß Kelten hier wohnten, als die römischen Kaiser das Land an sich rissen und die Provinz Norikum. nannten. Das war im Jahre fünfzehn vor Christus. Ein halbes Jahrtausend währte die Herr- schaft der Römer, dann zerbrachen ger- manische Völker, hellhäutig und blond, vom Norden kommend, die alte Macht und das Reich und siedelten selber im Lande und verschmolzen mit den Resten des Urvolkes und denen der Kelten zum neuen Bewohner. Jetzt blühte das Land wieder auf und lockte die Bayern und vom Süden die slawischen Wenden herbei und schon imReicheKarls des Großen war die Enns Grenzfluß gegen die avarischen Horden wie später gegen die raubenden Ungarn. Vielfältig raunt die Sage von der Gründung der Stadt, erstmalig aber , eh das Jahrtausend erfüllt war, erscheint um neunhundertfi.infundachtzig in einer Ur- kunde Pilgrims , des Bischofs von Passau, die Styrapurch auf, da er den Zehent begehrt. Damit tritt Steyr zum ersten Male in unser geschichtliches Blickfeld, wie es dem leiblichen Auge sich ausbreitet, wenn 1 wir vom Feuerwachtürmchen „am Tabor", einem Rest der einstigen Stadtbefestigung, über Dächer und Giebel, Höfe und Tiirme hinabschauen auf die Stadt , in der das schaf- sende Leben pulst, heute wie einst. Ein gewaltiges Felsenriff, steil aus den grünen Wellen der Steyr aufstoßend, hebt sid1 da'S mächtige Schloß stolz hinweg ül;>er das Brausen der Fli.isse, die unten zusammen- strömen, und schenkt vom Römerturm aus den Rundblick über die heute weitausge- dehnte Stadt . Wir aber, die wir noch auf der Höhe T cVbor stehen, vergessen einen Augenblick lang die eisernen Brücken unten im Tale und sehen jetzt über die alten, hölzernen die Herren von Steyr und Steiermark reiten , die Ottokare, traungauische Grafen, die ihrer Stadt den weißen Panther im grünen Feld zum Wappen geben. Im wehrhaften Schat- ten der Burg sehen wir die Werkleute bauen, sehen, wie sie den Fluß spalten und seine Fluten über die Räder ihrer Kornmühlen und Hammerwerke zwingen, wie Flöße und Schiffe und feste Wagen, schwer mit Eisen beladen, aus dem Steirischen her in die Stadt einziehen, wie die Speicher sich füllen, wie Rauch und Funke aus Essen und Schmieden fliegt und die Geräte und Waffen der tüch- tigen H andwerker den Ruhm ihrer Stadt Stadtpfarrkirche St eyr, N ordportal. Oben : H l. A gnes. - Unten: Johannes Evang f'li st .

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