(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, Heft 4, 1951

Als der erste Stern kommen wollte, hüllte sich Gabriele in ein Tuch und ging aus dem Hause. Sie hörte nicht, was Mutter ihr nach- 1·ief: daß noch Kerzen zu holen seien, zwö lf weiße Kerzen. Sie huschte an den Zäunen ent- lang und brach fast die Eiszapfen weg, die wie wunderliche Tränen von den Traufen hingen . Auch das se ltsame Sinnen, das um die Häuser war, das Warten, ob das \'v'under denn auch gesd1ehe und Herz und Auge sich ihm öffneten, rührte Gabriele heute nicht an . Sie zog nur, als vermöchte sie so ihr Geheimnis zu hüten, das Tud1 nod1 enger um den Leib und lief einen \'v'eg, der hinter dem letzten Hau se nicht aufhörte. Ein Heger kam aus dem \'v'alde. Er trug eine Tanne, die aud1 ohne Kerzen und Krone ein Stück Weihnacfit war. Und als wollte er den HANNS GOTTSCHALK und wohl auch, was das Herz lei se sagt. Aber und hinauf: ohne Mühe, ohne Schwere, mit der das Reh ist zurückgekommen, arm, allein . . . Leichtigkeit eines \'v'indhauches fast. ohne did1 ." Sie verlüelt eine Weile und hord1te, um dann das Letzte zu sprechen . ,,Du mußt kom- men, Stephan", sagte sie wie fordernd in die Stille. ,,Hast du den Heger nicht gehört? De11 Heger glaubt nich t, daß du kommst. Und was so ll id1 ihm sagen? Hörst du, Stephan? Was soll ich ihm sagen? " Da traten die Tannen zur Seite. Ein Weg lief wie aus der Ewigkeit her, und auf dem \'fege kam eine Gestalt. Sie schritt langsam, so als mühe sie sich, den unendlichen Weg zu gehen. Einige Tannen stehen. entfernt blieb die Gestalt Nun war er oben. Das mochte dort se in , wo der Himmel beginnt und die Ewigkeit, denn Gabriele sah, daß Stephan nun nicht mehr allein war, sondern daß ihm Gestalten ent- gegenkamen, in eine lichte Helle ge taud1t wie er. Und sie hörte, wie die Gestalten jetzt, als hätten sie auf Stephan nur gewartet, zu singen begannen. Wie aus seligem Kindermund klang es, das Lied von der Heiligen Nacht. · Da lief Gabriele nicht mehr weiter. Wie selig müde geworcfen, schloß sie die Augen , und der Weg zog sie zu sid1 herab. ßaum dem ihm liebsten Menschen geben, ging „Du hast mid1 gerufen, Gabriele", sag te die Afs sie, in den Schnee des Weges gebettet, erwachte, war es Tag. Eine Glocke rief, erst leise, dann voll zu ihr herüber, aber sie kannte die: Stimme der Glocke nicht. Auch den Weg und die Fichten, die um sie waren, kannte sie er auf Gabriele zu und frag te: ,,Wi llst du die Gestalc. 1·anne?" Gabriele wich ihm nid1t aus. Sie sag te: ,,Wie sollte ich sie wollen! Drüben wa rtet ein ganzer W~ld." ,,Aber es wa rtet kaum eine Seele dort ." ,,Wie willst du es wissen?" Der Heger stellte den Baum auf den Boden. „Id1 möchc dir nid1t weh tun, Gabriele. Aber aud1 in der We ihnacht we rden Tote nicht lebendig. " Das kam stockend, fast sd1eu heraus, und als ihm dabei die Tanne aus der Hand glitt und in den Schnee rausd1te , wa r er allein. Gabriele, ihrer inneren Stimme nun nod1 stärker folgend, war bis an den Saum des \'v'al- des gekommen. Wenn sie in die Lid1tung trat, dort wo die einsame Tanne ein Leben träumte, mußte der Himmel den ersten Stern anztinden . Es gesd1ah. Gabriele sah den Stern. Und da er ihr so nahe sdüen, als sei er auf der Krone der Tanne angezündet , vermeinte sie, daß Stephan jetzt wohl kommen und zu ihr spred1en werde: Hier, an demselben Ort, wo er ihr beim Abschied damals seine Liebe gesagt hatte. Und hier, wo die Tanne jetzt so still und fast an- däd1tig stand, als wtißte sie nod1 um das liebste Geheimnis. „Du mußt kommen, Stephan", sagte Gabriele in die Andacht. Und als es we iter still blieb und sid1 am Himmel der Sterne so viele ver- sammelten, daß es sd1ien, als drängten sie sich a!ie um den einen, den hellen Stern, sagte Gabriele: ,,Schau nur, Stephan, was ich dir mit- gebrad1t habe! Du hast doch immer die Rehe so gemocht. Und da habe ich dir eins geschnitzt, damals, in den langen und einsamen Nächten, als der Krieg war in der Welc. Im Advent dann habe id1 es dir geschickt, es sollte zu dir kommen in der Weihnad1t und dir erzählen Y0 n unse rm \'v'ald , vo n der T anne, dem Stern ,,Rief id1? Id1 habe nur geglaubt." „Und id1 kam diesen weiten Weg. Sie ten mich nid1t gehen lassen, drüben die. sie feiern We ihnacht." nicht. Was war das für ein Wald? Und wie woll- kam sie hieher? Auch ,,Wo ist das: Drüben? Und we r sind die, die dort feiern?" „Komm, Gabriele", winkte die Gesta lt. ,,Ich will es dir zeigen. Denn zu sagen ist es nid1t." ,, Ist es weiter als eine Nacht zu gehen? " „Komm!" mahnte die Gestalt. ,,Zu sagen ist es nid1t." „Du sprid1st, als sei es dort, wo der Wind :.ufhört und der Himmel beginnt. " ,,Und wen n es so wäre : Zu sagen ist es nicht. Komm!" Den ganzen Tag mußte sie gehen, Hänge erklettern und Täler durchlaufen, bis sie in ihrem Wald die Pantinen fand und das ge- sd111itzte Reh. Und jetzt erst, wie von einer unsichtbaren Hand hingewiesen, sah sie, daß nur ihre Spuren im Schnee waren, aud1 zwö lf Tannen entfernt und weiter . Da hüllte sie sid1 in das Tuch und ging, ein Großes und Geheimes erkennend, aus dem Walde des Wunders. Kurz vor dem Orte kam der Heger. „Id1 habe auf dich · gewartet, Gabr iel e, die Gabriele spürte, von ihrem Kopfe ganze Nacht." wie das Tud1 sid1 plötzlich löste und an den Sd,ulrern „Du hast gewartet?" lächelte sie. ,, \'v'arum herabglitt. Aber sie rührte sich nidu, um es aufzufangen, wie sie aud1 nid1t darüber nad1- clach te, warum Stephan wohl so weit entferne von ihr stehengeblieben und sie ihm nid1t ent- gegengegangen war, ja ihn nicht einm al beim Namen genannt hatte. Nun aber, da er sich zum Gehen wandte, lief sie die zehn oder zwölf Tannen weiter, aber Stephan war, obwohl er im Sd1ritt zu gehen schien, deren sd10n hundert und mehr voraus, und je sd111eller sie ihm folgte und im Lauf, ohne es za merken, das ge- sch nitzte Reh verlor, desto we iter blieb sie zurück. ,,Wo bist du, Gabriele? " Es klang wie eine Stimme aus der Ewigkeit. Und Gabriele lief, die Tannen liefen, der \Vald, die Sterne, der ganze Himmel. ,,Wo bi st du , Gabriele?" Sie warf die Holzsd,uhe weg, sie lief, ja sie sd1webte, als habe sie jemand an den Händen gefaßt und über den Weg gehoben, einen Weg, der jetzt steil anging. Aber Stephan sd1ritt voran hast du gewartet?" „Weil Tote nicht warten können ", sagte der Heger bestimmt. „Wohl", nickte Gabriele. ,,Sie sind schneller als wir. Wir haben noch zu v iel Erde an den Eißen." ,,Erde?" mühte der Heger sich zu begreifen . „Glaub's nur ", sagte Gabriele. ,,Auch ohne Pantinen holen wir die Toten nid1t ein. Id1 weiß es, seit dieser Nad1t. " Der Heger drehte an seinen Fingern. ,,Und was war in dieser Nacht?" Gabriele antwortete nid1t gleich. Als über- lege sie, wie sie es ihm am besten sage, blickte sie eine Weile nach dem Walde, um sid1 dann langsam zum Gehen zu wenden. ,,Komm", lächelte sie. ,,Zu sagen ist es nid1t. Aber ze igen will id1 es dir." Da fragte der Heger nid1t weiter . Wie an- gerü hrt von einem Wunderbaren, gin g er neben Gabriele, und sein Schritt, so schien ihm, war ,vie der ihre. 5

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