(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2
Und da sie, die wahre Kunst, die Lüge nicht kennt, versöhnt und ver– bindet sie und spornt die positiven Kräfte im Men– schen an. Sie lenkt ihn nicht ab, sondern sie führt ihn tiefer in das Leben und Erleben hin~ ein, sie macht ihn hell– si chtiger und feinhöriger, erkennender und verste– hender und veredelt ihn in seinem Fühlen, Denken und Handeln. Sie kann das Schöne und Edle dar– stellen wie das Häßliche und Gemeine, wenn sie damit auch das Häßliche und Niedrige 111 uns überwindet, uns erschüt– tert und zur Besinnung und Läuterung zwingt. Gerade die christliche Kunst der Jahrhunderte zeigt uns das. Denn ein Mord ist pichts Edles und Erhebendes, trotzdem ge– hören diese Werke der großen Meister zu den gewaltigsten Schöpfun– gen der abendländischen Kunst, weil sie ihre hohe Aufgabe erfüllten und erfüllen. Wie die Natur sich in ihren Geschöpfen ewig wiederholt, wie sie immer dieselben und doch nie– mals die gleichen hervor– bringt, so mag auch die Kunst sich wiederholen und doch wird sie immer neue Schöpfungen zeu– gen, weil ihre Schöpfer nie die gleichen, weil die Erlebnis- und·Ausdrucks– fähigkeiten immer wieder Margaret e Pausinger: Aus dem Zyklus „ Hermann und Dorothea" (Foto R. Stenzel). andere sein werden. Freilich verlangt die Kunst auch, daß wir ihr entgegen– kommen, daß wir sie aufsuchen, immer wieder, und uns bemühen, in sie einzudringen, daß wir ihr unsere Bereit– schaft bringen. Dann wird sie uns immer neue Schönheiten, Gedanken urid Erkenntnisse offenbaren und unser Leben bereichern. Ein Kennzeichen wahrer Kunst ist ja, daß sie nicht aus– schöpfbar ist, daß sie immer wiede_r zu neuen Aussagen bereit ist. Wenn heute die widersprechendsten Strömungen in der Kunst und d~n Künstlern sichtbar sind, so ist das nichts Neues. Es ist ein Zeichen für Erregung und Bewegung. Bewe– gung aber führt zur Entwicklung, zum neuen Leben. Daß so gewaltige seelische Erschütterungen, wie sie in den letzten Jahrzehnten über die Menschheit hereingebrochen sind, auch in der Kunst wirksam werden müssen, ist nur natürlich. Sicher ist jedoch, daß aus allen Verworrenheiten immer wieder das Rechte , das der werdenden Welt Gemäße ersteht. Wichtig und notwendig ist nur, daß die Kunst Wider– hall und fruchtbaren Boden, daß sie Aufnahme und Pflege findet, bei uns findet, denen sie sich mitteilen will und soll. Ober den Verstand allein führt kein Weg zur Kunst, wohl aber über das Herz. Nehmen wir uns die Worte Adalbert Stifters mit, wo er sagt: Meinten doch auch viele, die Kunst sei dem Ernste und der Größe der Zeit gegenüber unbedeutend und auf viele Jahre hin würden sich die Menschen mit dieser Spielerei nicht mehr abgeben. Ich sagte darauf: die Kunst sei nicht nur höher als alle Welthände!, sondern sie sei nebst der Religion das Höchste, und ihrer Würde und ihrer Größe gegenüber seien die eben laufenden Dinge nur törichte Raufhändel; wenn die Menschen nicht alles Selbstgefühles bar geworden sind, werden sie sich bald von dem trüben und unreinen Strudel abwenden und wieder die stille, ein– fache, aber heilige und sittliche Göttin anbeten.
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