(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2

LINUS KEFER KUNST und ihF-eF- (ßedeulun[J in lllLteF-tF- i!Zeü Wo viel und oft von einem Ding oder Zustand gespro– chen wird, geschieht es meist, wie wir wissen, weil das, wo– mit man sich in Gedanken und Worten so lebhaft beschäf– tigt, nicht vorhanden ist, weil es noch nicht erreicht oder weil es verlorengegangen oder in Gefahr ist, _verlorenzu– gehen. In Zeiten des Nahrungsmangels wird überall vom Essen geredet, in Zeiten der Dürre vom Wasser, in kalten Regen– wochen von der wohltuenden Wärme der Sonne. Wenn heute mehr denn je von Menschl,ichkeit, von Frieden und Kultur ge~chrieben und gesprochen wird, so wi~sen wir alle gut genug, woher das kommt, Es ist gewis– sermaßen ein Alarmschrei, das Bedrohte oder Verlorene zu retten oder wiederzugewinnen. Er zeigt uns aber, daß wir den Ma:1.gel spüren, daß uns etwas fehlt, was wir zum Leben brauchen. Dabei drängt sich uns unwillkürlich die Frage auf, wie es denn so weit kommen konnte, wie wir denn retten oder widergewinnen könnten. Wir sind, unser Jahrhundert und besonders unser eige– ner Lebensabschnitt lassen es uns deutlich erkennen, zu weit in die Irre gegangen. Wir haben die Quellen verloren und uns einer einseitigen Entwicklung hingegeben, die das bloße Wissen, die äußere Wirklichkeit der Dinge und die Gewalt allein in den Vordergrund des Daseins stellte. Wir haben die alte Ordnung verlassen und eine neue nicht ge– funden. • Es zeigt sich uns täglich aufs neue, wohin höchster In– tellekt, wohin größtes Wissen und hervorragendes Können führen, wenn nicht tiefere Erkenntnis und sittliche Ent– wicklung Schritt halten. Aus den großartigsten Leistungen der Forschung und Wissenschaft wird anstatt Wohltat und Segen Fluch und Marter für die Menschen, wenn Gewissen und Verantwortung fehlen. Jenes Gewissen und jene Ver– antwortung, die auch den vorwärtstreibenden Forscher und Gelehrten abhalten müßten, Ergebnisse seiner Arbeit, die geeignet sind, zu töten und zu zerstören, der unreifen, ver– worrenen Menschheit auszuliefern. Das Fehlen dieses Gewissens fällt aber zusammen mit dem Verlust des Bewußtseins der großen Zusammenhänge im Dasein, mit dem Verlust des Bewußtseins, daß die Welt ein Ganzes, Unteilbares ist. Wo der Mensch dieses Gefühl, dieses Wissen und die Verbindung mit dem All verliert, verliert er zugleich den Boden unter den Füßen und gerät ins Chaos, das seine innere und äußere Existenz bedroht und vernichtet. Die Ge– schichte der Menschheit zeigt dies im Schatten der Völker erschütternd auf. Die moderne Wissenschaft selbst ist vor dem Abgrund jäh zur Erkenntnis gekommen: Nicht den Stoff gilt es zu meistern, sondern die Kraft. So auch muß das Kräftefeld in uns neu geordnet und in einer tiefgreifenden Weise auf ein Menschentum aus– gerichtet werden, das sich seiner Stellung in der Schöpfung bewußt ist und die große Einheit des Seins erkennt und damit d:e ewigen Sittengesetze der Menschheit wieder zur Geltung bringt. Wir sind übersättigt mit Programmen, Theorien und Weltanschauungen und sie alle müssen fruchtlos bleiben, solange wir uns nicht selbst besinnen und damit beginnen, 6 die Welt mit eigenen Augen anzuschauen und uns derart in des Wones schlichtester und höchster Bedeutung zu– gleich eine Weltanschauung zu gewinnen bemühen.. Erst dort, wo wir die Verbindung mit den schöpfenschen Kräften im Sein wieder hergestellt haben und über unseren engen Kreis hinausgestoßen sind, haben wir den ersten Schritt getan. Schcpferisch ist die Natur, die Religion und die Ku~st. Ihre Herkunft und ihre Geheimnisse zu enthüllen, wird niemals gelingen. Wir können sie weit zurückverfolgen bis zu jenen Anfängen, bei denen s~ch uns pl~tzlich die Spuren verwischen und wir in Verwirrung oder m Ehrfurcht nur mehr das Wirken unfaßbarer Kräfte erkennen. Das Walten der Natur, die religiösen Vorstel~ungen und Ahnungen und die Kunst sind und waren bei allen Völkern der Erde zu einer innigen Gemeinschaft verwach– sen. Die Funde aus vorgeschichtlicher Zeit_, die Ü~erliefe– rungen und Mythen der Menschh_eit und d1~ Z~ugmsse der lebenden Völker bewei~en, daß die Kunst em emgeborenes Bedürfnis und ein wichtiges Element im Le?en des Men– schen ist. Die Ergebnisse der Forschung zeigen uns, d~ß noch bei den primitivsten Naturvölkern und herauf 111 allen Abstufungen ihrer Entwicklung bei den Buschm~n– nern Afrikas, bei den Bewohnern der Südsee, wie bei den Indianern Amerikas, bei . den Kire:isen · oder Schamanen Sibiriens oder bei.den· Eskimos Nordamerikas, daß bei allen die schöpferische Kraft der Kunst zu finden ist, wenn_ au_ch in Anfängen, deshalb aber nicht minder stark und mmg, lebendiger vielleicht als bei den zivilisierten Nationen. Da– mit erkennen .wir, daß Kunst nicht ein schmückendes Bei– werk, nicht Spielerei und Luxus im Leben hochentwickelter Kulturvölker ist, .sondern daß sie ein wichtiger Bestandteil ihrer Existenz ist. Die Kunst hat da:s Bedürfnis, mitzuteilen, das Erlebnis sichtbar oder hörbar zu machen, sie gibt die innere Schau, die Vision, die Erkenntnis in der Seele des Künstlers wil'3der, und zwar auf die vollendetste We-ise, die dem Künstler kraft seine·s K.önnens möglich ist. Je bedeutender d1eses Können, um so einfacher und selbstverständlicher, ja kunst– los•er möchte ich fast sagen, wird uns das Werk erscheinen. wie auch die Dinge der Natur uns selbstverständlich und einfach erscheinen, ohne daß wir ahnen, welche Fülle von Kräften und Zellen und Zusammenwirkungen notwendig s~nd. So geht auch im Künstler ein langwieriger Prozeß vor sich, bis sein Werk vollendet ist. Von der ersten inneren Schau, die ihn nicht wieder losläßt, in der sich das Kom– mende, wie aus dem Nebel tretend, schon andeutet, bis zum letzten Stich oder Str:ich oder Ton, fordert ihn das Werk unerbittlich. Er kann ihm nicht entfliehen, er kann nicht Feierabend machen oder Urlaiub nehmen, es verfolgt ihn noch in den Traum hinein und fordert seine Arbeit. Das Kunstwerk, ob Musik, Malerei oder Plastik oder Dichtung, rührt an die letzten tiefen Erlebnismöglichkeiten des Menschen wie Geburt und Tod, wie Liebe, Schmerz oder Freude. Es trifft ihn dort, wo das eigene Erlebnis un– sagbar geblieben ist. Es läßt ih"n di,e Wirklichkeit hinter den Dingen schauen und erkennen, es kann erheben und er– schüttern, aufwühlen, erfreuen und beglücken oder ankla– gen, immer aber ruft es den Menschen zur Teilnahme auf.

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