(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2

Ich nahm in der folgenden Woche noch einen Ring an mich, einen schweren, goldenen Siegelring aus dem Nach– lasse des Vaters, und brachte ihn Dr. Majus. Er wog ihn in der Hand, lachte ein wenig und sagte: ,Gute, alte Ware. Noch zwei oder drei solcher Stücke und du kannst die Uhr kaufen.' Vor weiteren Zugriffen in das Eigentum der Mutter bewahrte mich dann allerdings ein Ereignis, welches mir zunächst als ein großes Unglück erschien, in der Folge sich aber als ebenso großes Glück erwi,es. Die Mutter wurde krank, so krank, daß sie sich zu Bette begeben mußte und die Haushälterin den Arzt rief. Ich lauschte an der Türe, als er kam und hörte ihn nach geraumer Weile sagen: ,Unterernährung, gnädige Frau, ganz gewöhnliche und ge– meine Unterernährung. Essen Sie viel Milch, Reis und Schokolade und alles gibt sich von selber wieder.' Ich hörte die Mutter leise weinen und mit klagenden Worten er– widern, daß doch die Beschaffung dieser Dinge unmöglid1 sei, da sie nicht mehr zu bekommen wären; was der Arzt darauf antwortete, konnte ich nicht verstehen, doch ging er schon nach wenigen Minuten weg. Ich stürzte in das Zimmer und fand die Mutter totenblaß im Bette liegen; sie winkte mid1 zu sich heran und strich mir über Haar und Gesicht, ich fühlte, wie ihre Finger und ihre ganze Hand eisigkalt waren. Da brach vor dieser nackten Not und der Furcht, die mir daraus um das Leben der Mutter erwuchs, der ganze Wunschtraum von der Uhr in ein Nichts zusammen; ich sah, daß die Mutter andere Dinge brauchte, Dinge, wie sie der Arzt genannt hatte, und brauchte, um das bloße Leben zu erhalten. Ich hatte mein Antlitz in ihre Hand gedrückt und küßte sie unaufhörlid1 und heiß, aber in meinem Gehirne jagten währenddessen die Gedanken durcheinander und klammerten sich immer mehr an einen einzigen Entschluß: Ich mußte der Mutter die Nahrungsmittel verschaffen, die der Arzt empfohlen hatte; ich mußte sie um Geld beschaffen oder, wenn dies nicht möglich war, mußte ich andere Dinge geben als Geld, 54 Dinge, die mehr Wert hatten, wie ich bei Dr. Majus ge– sehen hatte. Ich ging noch am gleichen Tage, es war spät am Nach– mittag, zu Dr. Majus. Er kam auf mein Läuten und führte mich in sein Zimmer, als ich ihm sagte, daß id1 nichts mit– bringe, wohl aber mit ihm zu sprechen hätte. Im Zimmer klagte ich ihm meine Not und bat ,ihn, mir die Ohrringe und den Si,egelring zurückzugeben, daß id1 der Mutter Milch, Reis und Schokolade kaufen könne, da sie doch um Geld nicht mehr zu bekommen wären. Dr. Majus ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, wie es seine Gewohnheit war, dann sagte er: ,Ich habe sie nicht mehr; weder die Ohrringe noch den Siegelring.' Ich erinnerte ihn daran, daß er mir versprochen hatte, sie nicht wegzugeben, um mir vielleid1t einmal den Rückkauf zu ermöglichen, aber er hatte keine andere Antwort, als daß er nicht mehr im Besitze sei. Ich wurde in meiner Not und Angst lauter und schrie, daß ich ihn anzeigen würde, wenn er mir das Eigentum der Mutter nicht zurückgäbe, da nahm aber sein Antlitz einen derart häßlichen, ja teuflischen Ausdruck an, wie ich ihn seither niemals mehr in einem Menschenantlitze erblickt habe. Er trat ganz nahe auf mich zu, faßte mich an den Schultern und zischte mir entgegen: ,Du willst mich anzeigen? Weißt du denn, wais ,du bist? Bin Dieb, ein ganz gemeiner Dieb, der seine Mutter bestiehlt, wo er nur kann, der angibt, sie lieb zu haben und ihr eine Freude machen zu wollen, das Geld aber vertändelt und vertut!' Ich schrie einige Male ein verzweifeltes ,Nein' in seine Rede. aber er hörte nicht auf und beschimpfte mich weiter. Mit einem Male wurde er still und sagte in ganz ruhigem, aber schar– fem Tone: ,Nun weiß ich noch etwas für ·dich! Wenn du mir nicht versprichst, hier und jetzt noch versprichst, morgen wieder etwas ZU bringen, dann komme ich heute nachts in euer Haus und erzähle deiner Mutter alles, was ich weiß.' Ich sank vor dieser Drohung in die Knie und bat ihn mit aufgehobenen Händen, dies nicht zu tun; ich ver– sorach ihm, niemals und keinem Mensch,en zu sagen, wohi,n die Ohrringe und der Siegelring gekommen seien, aber ich könne nid1t noch einmal etwas bringen. Ich saP;te: ,Wenn Sie kommen, dann stirbt die Mutter!' Aber er hatte keine andere Antwort, als daß er ganz sicher kommen werde, wenn ich ihm nicht verspreche. was er wolle. Er sagte nod1, als er mich durch den Garten füh rte und beim Tor hinaus– ließ: .Verlaß dich drauf, heute nacht komme ich. Wenn alles finster geworden ist, dann werde ich an das Fenster deiner Mutter klopfen und ihr alles erzählen.' " . Der Mann machte eine Pause: er war ganz blaß ge– worden und sah nicht nach seinen Zuhörern, sondern deut– lich in sich hinein. Es wurde kein Wort und kein Laut rege; da fuhr er fort: „Ich verlebte die folgenden Stunden in unsäglicher Angst. Oft und oft war ich nahe daran, das Zimmer der Mutter zu betreten, mich vor dem Bette auf die Knie zu werfen und ihr alles zu gestehen, aber immer, wenn ich die Hand auf die Klinke der Tür legen und niederdrücken wollte, tauchte da:s furchtbare, schreckliche Wort vor mir auf, das mir Dr. Majus entgegengerufen hatte: ,Dieb! Ganz gemeiner Dieb!' Es hatte mich dieses Wort wissend ge– macht, id1 sah meine Tat, wie sie wirklich war, und konnte nicht daran glauben, daß die Mutter mir verzeihen würde. Und dann war noch der Gedanke, daß Dr. Maius trotzdem kommen würde; und die Mutter würde sich vor ihm fürchten wie ich, sie würde keinen Augenblick der Nacht Ruhe finden und immer auf sein Kfoofen warten, sie würde vielleicht ,davor und vor seinem häßlichen Antlitz zu Tode erschrecken ... da wußte ich mit einem Male, was ich zu tun hatte. Als es finster geworden war, vom Fenster aus auch nicht mehr ein Schein der Bäume und Sträucher zu sehen war und Mutter und Haushälterin schon zu Bette gegangen

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