(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2

Die Lebensmittel waren damals schon sehr knapp ge– worden und die Eltern konnten uns Kindern nur in den allerseltensten Fällen ein regelrechtes J ausenbrot in die Schule mitgeben. Nun kam es manchmal vor, daß einer der Bäcker oder Krämer des Städtchens auf irgendeinem Wege etwa eine Sendung Johannisbrot, ungesalzenes Dauerbrot oder dergleichen bekam, welche Köstlichkeiten ohne den Vorweis behördlicher Bezugsscheine abgegeben wurden. Sie fanden natürlich einen reißenden Absatz und wer nicht ganz ·schnell war, hatte das Nachsehen. Damit ich nun solche Gelegenheiten nicht versäume und mir dadurch wenigstens manchmal ein wenn auch bescheidener Zuschuß an Nah– :.-ungsmitteln zukäme, hatte mir die Mutter in einem klei– nen Geldtäschchen einen Betrag gegeben, der für zwei oder drei solcher Zufallskäufe reichen konnte. Ich hatte bisher Erfolg gehabt und war nur selten leer ausgegangen. Diese Gelegenheiten gaben mir die erste Möglichkeit, mit meinem Vorhaben zu beginnen. Ich kaufte nicht mehr, wenn auch die Lockung groß war und manchmal auch der Hunger, das erübrigte Geld aber legte ich mir in einem kleinen Holzkästchen, das versperrbar war, zusammen. Es war mir nicht ganz leicht, mich an die Mutter zu wenden, wenn das Geldtäschchen dergestalt leergeworden war, aber sie fragte nicht viel und ersetzte mir ohne Aufhebens, was ich als ausgegeben nannte. Als ich nach geraumer Zeit Nachschau hielt und das ersparte Geld überzählte, sah ich freilich, daß die Summe in keinem Verhältnis stand zu jener, derer ich bedurfte. Ich sah auch, daß es mir auf diesem Wege nicht möglich sein würde, der Mutter den geäußerten Wunsch zu erfüllen; so suchte ich nach neuen Möglichkeit•en. Die Jahreszeit kam mir zu Hilfe. Es war Sommer ge– worden und trotz des Krieges trafen auch in diesem Jahre wieder Kurgäste in meinem Heimatstädtchen ein, das ein bedeutender Kurort war. Sie nahmen die Bäder, die ihnen geboten wurden, wandelten in der Trinkhalle ab und zu, spielten auch Tennis, wenn sie noch jünger und beweglicher waren. Ich wußte, daß manche meiner Schulfreunde sich den Sommer über etwas Geld v•erdienten, indem sie diesen Spielern Dienste leisteten, ihnen die Bälle aufhoben und brachten, Besorgungen für sie erledigten und dafür m1t ein paar Hellern entlohnt wurden. Es ist mir heute uner– klärlich, warum ich die Mutter fragte, ob ich dies ebenfalls tun dürfe, es war gewiß nichts Schlechtes und ich hätte es tun können, ohne daß die Mutter je davon erfahren hätte. Als ich freilich gefragt hatte, sagte sie: ,Nein, Peter, das darfst du nicht tun. Es ist nicht notwendig und auch der Vater hätte es nicht erlaubt.' Ich sprach kein Wort ent– gegen, aber im Geiste beging ich den ersten Ungehorsam der Mutter gegenüber; ich dachte sofort und ohne Über– legung, daß ich es doch tun würde und hatte keinen Ge– danken, wie schwer und schmerzlich es die Mutter empfin– den mußte, wenn sie meinen Ungehorsam entdeckte, ohne seine Ursache zu kennen. Ich hatte auch den ganzen Som– mer über Glück; di-e Mutter erfuhr nichts, vermutete mich irgendwo im Bade oder bei einem Freunde, wenn ich nicht daheim war und meinem verbotenen Verdienste nachging. Im Herbste hatte sich mein Barschatz ganz ansehnlich ver– mehrt, machte aber noch immer einen Bruchteil dessen aus, was die Uhr kostete." Der Mann setzte einen Augenblick ab. Er sagte: ,,Sie werden vielleicht' von jetzt an gar nicht mehr verstehen, was ich tat; Sie werden sich vor allem nicht vorstellen können, wie ich die Liebe zur Mutter mit meinen Hand– lungen in Einklang bringen konnte; aber denken Sie, daß ich nur das Ziel vor Augen hatte, ein Ziel, das mir um so wertvoller dünkte, je größer die Schwierigkeiten wurden; denken Sie, daß ich fast Tag und Nacht jenen Augenblick vor mir hatte, in dem ich der Mutter das Geschenk über– reichen konnte. Ich sah alles so klar: Das Zimmer würde hell erleuchtet sein, der Christbaum brennen; ich hätte meine Geschenke bekommen und der Mutter die Hand dafür geküßt; aber nun nähme ich sie selber an der Hand und führte sie zu dem Platze, an dem ich mein Geschenk 52 verborgen hatte; sie würde die Hülle abnehmen und einen Ruf des Erstaunens ausstoßen; würde sich freuen an dem edlen Holze und dem guten Metalle, würde dann die Uhr an die Wand hängen und sie schlagen lassen, achtmal, viel– leicht neunmal, wieviel es wohl gerade war; sie würde sich an dem Klange •nicht satthören können und doch dann zu mir kommen, meine Hand nehmen und ein warmes Wort sagen, vielleicht: ,Du bist ein guter Junge, Peter', oder irgendein anderes, das mein Herz rascher schlagen ließ und in das ich mich einhüllen konnte für lange Tage." Der Mann sagte: ,,Vielleicht haben Sie Ihre Mutter nie so geliebt. Aber ich erzähle die reine Wahrheit." Er fuhr fort: „Zu Schulbeginn mußte eine Menge newer Hefte und Bücher gekauft werden. Die Mutter gab mir das Geld dafür, aber ich behauptete in der Schule vor den Lehrern, sie könnte nicht soviel aufbringen, der Vater sei doch gefallen und wir hätten gar nicht viel zum Leben; ich bat um Armenbücher, die gegen eine geringe Leihgebühr aus– gegeben wurden. Die Lehrer taten zwar erstaunt und sahen sich gegenseitig an, aber ich blieb bei meiner Behauptung und Bitt·e und setzte mich durch. Ich zahlte ein Viertel des Geldes, das ich von der Mutter bekommen hatte, für Leih– bücher und gab den Rest, der allerdings der größere Teil war, in mein Holzkästchen. Was am Ende des Jahres ge– schehen würde, wenn ich die Bücher abgeben mußte und • also kein einziges mein eigen nannte, darüber machte ich mir keine Gedanken; dann war Weihnachten längst vor– über und mein Sinnen und Trachten reichte nicht über diese Zeit hinaus. Es mag auch sein, daß ich in diesen Tagen weniger Hefte einkaufte, als ich der Mutter angab. Ich tat es nicht mit dem festen Vorsatz, das davon erübrigte Geld in mein Kästchen zu sperren, sondern wollte sie später kaufen, wenn ich nicht mehr anders konnt•e, weil die Lehrer darauf drangen; aber wenn die Zeit gekommen war dafür, dann ging ich doch zur Mutter und bat sie wieder um Geld. Mein Barschatz nahm durch diese Praktiken in einem Maße zu, wie ich es mir nicht erträumt hätte; er schwoll auf ein gutes Viertel der Summe an, die ich brauchte. Aber noch fehlten die anderen drei Viertel und ich konnte nicht sehen, woher ich sie in der kurzen Zeit bis Weihnachten nehmen sollte. Da wurde mir ein Plan zur Gewißheit, den ich sicher längst im Unterbewußtsein getragen hatte, ohne ihn frei– lich klarzudenken und in seinen Einzelheiten zu überlegen. In der Nähe unseres Hauses war der Besitz eines ge– wissen Dr. Majus, ein altertümlich gebautes Haus in einem finsteren und verwilderten Garten. Der Mann stand, wie ich noch von Vater her wußte, bei seiner Umgebung und auch der Behörde in keinem guten Rufe; man wußte nicht recht, wovon er lebte, und sagte ihm allerhand dunkle Geschäfte nach, ohne ihm freilich je solche nachweisen zu können. Ich war dem Manne im Laufe der Jahre öfter begegnet und hatte ihn als Nachbar gegrüßt, wenn ich auch ein leises Unbehagen bei seinem Anblicke niemals hatte unterdrücken können. An diesen Mann dachte ich nun und wollte mich an ihn wenden, von ihm Geld zu erhalten. Ich wußte natürlich, daß er mir solches nur geben würde, wenn ich ihm einen Gegenwert bieten konnte und hatte auch hiefür einen Rat. Die Lebensmittel waren, wie schon gesagt, sehr knapp geworden; wir hielten nun in unserem Garten einige Hühner; die Haushälterin und auch die Mutter betreuten sie und sie versorgten uns derart ausgiebig mit Eiern, daß wir Sommer und Winter genug davon hatten. Ich wollte nun von Zeit zu Zeit eines der Eier an mich nehmen und es Dr. Majus bringen; er würde mir sicher ein annehmbares Stück Geld dafür geben, da Eier im freien Handel überhaupt nicht mehr zu erhalten waren und also einen desto größeren Wert besitzen mußten; und die Mutter, die würde zwei oder drei fehlende Eier in der Woche sicher nicht merken; sie würde sie auch im Haus– halte nicht vermissen. Es war schon im Oktober, an einem trüben, finsteren Tage, da ich den ersten Weg zu Dr. Majus tat. Ich hatte die Mutter gebeten, noch ein Heft einkaufen zu dürfen,

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