(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1951 , Heft 2

waren, und sagte: ,Wir haben eine gute Mutt,er gefunden, Peter. Du mußt immer lieb sein zu ihr und darfst sie nie– mals kränken.' Es fiel mir ja nicht schwer, dies zu ver– sprechen, und es wäre nicht notwendig gewesen, daß der Vater fortsetzte: ,Du bist ein guter Junge, Peter, ich habe keine Sorge um dich.' Als kaum ein Vierteljahr vorüber war, brach der Krieg aus. Der Vater wurde sofort einberufen und ging als Re– serveoffizier an die russische Front. Die Mutter weinte beim Abschiede, daß auch mir, der ich doch nicht verstand, was vorging, die Tränen in die Augen traten. Die Tage n.ach dem Weggange des Vaters gab es viel Arbeit im Hause: Die Gesellschaftsräume wurden geputzt und dann gesperrt, einzelne Möbelstücke in die Zimmer getragen, die wir nunmehr bewohnen sollten, auch dem Dienstpersonale wurde gekündigt; nur eine alte Haushälterin blieb bei uns. Es vergingen der Herbst und der Winter, manchmal traf eine Karte vom Vater ein oä.er auch ein Brief, die berich– teten, daß es ihm erträgli ch gin ge und daß wir uns nicht um ihn sorgen sollten. Im folgenden Sommer kam er auf einen kurzen Urlaub und ging dann auf den südlichen Kriegsschauplatz. Dort traf ihn das Sprengstück einer ita– lienischen Granate und tötete ihn. Die Mutt,er war wochenlang wie von Sinnen. Sie nahm das Goldkettlein vom Halse und die Ringe von den Fin– gern und trug nur mehr schwarze Kleider, ob sie im Zim– mer blieb oder auf die Straße ging. Ihre Augen waren meist gerötet vom Weinen, sie magerte ab und verlor im Gesichte die Farbe. Für mich hatte sie nur mehr selten ein WOrt übrig und schien auch dann auf eine Erwiderung nicht zu warten; da wurde ich ganz still und scheu und begann mich fast zu fürchten. Doch eines Tages, es war ein milder Spätherbsttag, wurde alles gut zwischen uns. Ich war nach der Schule nicht gleich heimgegangen, sondern hatte mich im Parke, der am Heimwege lag, auf eine Bank gesetzt; dort war ich eingeschlafen, müde von der Sonnen– wärme und wohl auch dem Jammer, der mich nun seit Woch,en bedrängte. Plötzlich erwachte ich vor der leisen Berührung einer Hand und als ich die Augen öffnete, sah ich das Antlitz der Mutter ganz nahe bei mir. Sie hatte sich niedergebeugt und flüsterte: ,Peterle, was ist denn, bist du krank?!' Sie hob mich auf und sagte: ,Wenn du auch noch fortgehen willst, kann ich nicht mehr leben.' Da brach ich in Tränen aus, faßte ihre Hände und küßte sie in ·derart heißer Inbrunst, daß sie mich fast erschrocken ansah und mich wil1enlos gewähren ließ. Wir gingen nachher mit– sammen heim, sie hatte meinen Arm in den ihren genom– men und ich wußte vor unbändigem Glücke nicht, wie ich ihr danken sollte. Beim Tee, den wir dann einnahmen, erzählte die Mutter von einem Besuche, den sie bei einer bekannten Familie gemacht hatte; sie erzählte in freund– lichem, angeregtem Tone, wie ich es lange nicht mehr gehört hatte, sprach von der Frau des Hauses, dem Manne, der ebenfalls an der Front stehe, den Tieren und Blumen, welche die Frau und ihre zwei Töchter hielten; sie sprach, ganz gelegentlich und nebenbei, von einer Pendeluhr, die im Wohnzimmer hänge, einen vierfachen Schlag besitze und mit ihrem weichen Klange den ganzen Raum erfülle; .sie sprach davon, daß sie sich einmal, wenn ·der Friede wieder eingekehrt sei, eine solche Uhr vielleicht kaufen werde und sprach nachher noch von den verschiedensten anderen Dingen." Der Mann machte eine Atempause, dann fuhr er fort: „Ich kann es heute v·erstehen, warum die Mutter mir damals von solchen Belanglosigkeiten so viel erzählte; sie begann sich allmählich zu erholen von dem schweren Schlage, den der Tod des Vaters für sie bedeutet hatte; sie begann wieder Interesse an der Außenwelt zu nehmen, an den Menschen und Dingen, und es war so für sie, als wäre sie neugeboren und sähe alles zum erstenmal; es blühte darob eine warme und schöne Freude in ihr auf, ,die erste Fr,eude seit langer Zeit, und die verlieh ihr auch den Mut, an kommende Tage zu denken, an ihre Gestaltung, auch den Mut, einen Wunsch dafür zu äußern. Es war dieser Wunsch sicherlich nur der oberflächlichst,e Ausdruck einer zutiefst im Innern sich vollziehenden Wandlung, er war ohne Zweifel bei seinem Lautwerden bereits wieder ver– gessen, dies hinderte aber nicht, daß er auf mich mit einer nahezu unglaubhaften Stärke wirkte. Sie müssen denken, ich hatte die Mutter vom ersten Augenblicke an verehrt, sie war mir als etwas unendlich Schönes und Liebenswertes erschienen, ich hatte ihr in Wahrheit mein Herz ganz zu eigen gegeben, bis dann der Tod des Vaters kam und ich nicht nur diesen verlor, sondern auch die Mutter für mich gestorben schien. Nun aber lebte sie wieder, erzählte, lachte, liebkoste mich ... und tat einen Wunsch! Ich machte mir ja keine Gedanken über seinen Ernst und seine Notwen– digkeit, ich dachte nicht, daß wir Uhren genug im Hause hatten, schöne, wertvolle Uhren aus altem Familienbesitz, ich hörte nur den Wunsch der Mutter und ich wußte, daß ich ihn ihr erfüllen müßte. Eine Uhr sollte sie haben, wie sie die bekannte Familie besaß, eine Uhr mit vierfachem Schlage, deren weicher Klang den ganzen Raum erfüllte, daß sie sich freuen konnte auf jeden Stundenschlag und sich jede Stunde auch an mich erinnern mußte." Der Mann brach wieder ab; er sagte: ,,Halten Sie mich nicht für töricht. Es ist mir alles noch so deutlich •im Ge– dächtnis und auch im Herzen. Ich werde versuchen, mich wieder zu fassen." Er fuhr fort: „Ich ging mit voller Überlegung an die Durchführung meines Werkes. Ein Uhrmacher, den ich noch von Leb– zeiten meines Vaters her kannte, schenkte mir einen seiner Kataloge und darin fand ich auch unter einer Fülle von abg,ebildeten und beschriebenen Uhren jene, die ich suchte. Sie war in der Abteilung ,Für das vornehme Heim' ein– gereiht, die Beschreibung zählte eine Menge von Vorzügen auf, Güte des verwendeten Werkscoffes und Ausführung betrefEend, der Preis stand in Fettdruck dabei; er schien mir für den ersten Augenblick unendlich hoch und die Geldsumme, die zu seiner Begleichung nötig war, uner– schwinglich. Doch schon nach wenigen Stunden hatte ich den Mut wiedergefunden; es waren ja nur ganz kleine Beträge, die ich sparen konnte, immer nur einige Heller, die da und dort übrig bleiben würden, aber ich hoffte im stillen und ohne es mir selber einzugestehen, auf irgend einen Zufall, der mir helfen würde; woher er kommen sollte, das hätte ich freilich keinem Menschen zu sagen ver– mocht. Für alle Fälle jedoch begann ich zu sparen, wo sich nur eine Gelegenheit bot. 51

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2