(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1950/51 , Heft 1

HEINRICH DECl<ER l<UNST IN ALT-BRAUNAU Braunau ist in seiner Gesamtanlage noch heute eine gotische Innstadt von stark persönlichem, aus Geschichte und Lage der Siedlung erwachsenem Gepräge. Besonders eindrucksvoll ist die Monumentalität seines weitgedehnten Marktplatzes, der, von glatten geschlossenen Mauerfluch– ten begrenzt und einst allseits von wuchtigen Toren ab– geschlossen, nur enge Gäßchen zu den Häusern des Klein– gewerbes und zu der abseits stehenden Stadtpfarrkirche St. Stephan entsendet, aber in seiner Raumweite das wo– gende Marktgetriebe und den: Handel mit den hier gesta– pelten Gütern der einst blühenden Innschiffahrt umfaßte. - In den oberbayrischen Innstädten, wie Wasserburg, Mühldorf und Neuötting, stehen an den Marktplätzen breitgelagert die giebellosen, waagrecht abschließenden Häuserstirnen mit versteckten Grabendächern. In den Er,d– geschoßen öffnen s,icli kühlschattende gewölbte Bogen– gänge gegen den sonnigen Freiraum. Nicht ~nders war es in Alt-Salzburg, und noch an der Innseite des alten Passau klingt diese Baugesinnung nach. - Hier in Braunau aber Lichtbi!.der: H. Decker, St. Konrad b. Gmunden. gibt sich im Stadtbild schon niederbayrische Art kund. Keine Bogengänge umziehen den Platz, d1e geschwungenen oder zackenden Gipfel lassen in freiem Anste,ig•en den Höhendrang der einzelnen Häuser sich entfalt,en, ähnlich wie in Landshut oder dem stillen, einst Passau zugehörigen Nachbarmarhe ObernbergJ am Inn. Wi,e für den von fern– her Kommenden d:ie Staidt sich um die reckenhaft wuchtige, von feinster Bauzier zu Schlankheit gesteigerte Bauform des Turmes der Sta.dtpfarrkirch,e sammelt und in ihr gipfelt, das redet von Braunaus größter Zeit, vom spätmittelalter– lichen Bürgerstolze Niederbayerns, der sich in den unver– geßlichen weitschauenden Türmen von Landshut und Burghausen, von Sch,ildthurn und Taubenbach verkörpert. Als Braunau . sich zu Füßen der altbayrischen Pfalz Ranshofen entwickelte, hielt es Brückenwacht für den Handelsverkehr aus dem Mattigtale nach Niederbayern, stapelte es die Reichtümer der Innschiffahrt und sah in sei– nen Mauern ein blühendes Tuchmachergewerbe heranwach– sen; doch die junge Stadt mußte sich zwischen älteren, mächtigeren Nachbarstädten behaupten. Da.her stand auch das Kunsdeben Braunaus fast dau– ernd neben der künstlerischen über– macht der niederbayrischen Fürsten– residenzen Landshut und Burghau– sen und der alten Kunsttradition der geistlichen Metropolen Salzburg und Passau. Braunau errang auch nicht die kulturelle Vormacht über ihr natürliches Hinterland, das west– liche Innviertel, diese Heimat stol– zen, schwerblütigen Großbauern– tums. Die Stadt wurde aber der ehr– würdige Schatzbewahrer alpenländi– scher Kunst, die bei aller Vielfalt ihrer Herkunft kraft der persön– lichen Eigenart der Stadt sich zu einer überzeugenden Einheit zusam– menschließt. Unmittelbare Anregung empfing das Kunstleben Braunaus durch das benachbarte Stift Ranshofen, welches das Erbe der dortigen Pfalz. angetre– ten hatte, in der Karl der Dicke und namentlich Arnulf der Deutsche oft geweilt hatten. Das Hauptwerk der erhaltenen hochmittelalterlichen Kunstschöpfung Ranshofens befindet sich in der Bibliotheca Bodleiana der Universität von Oxford: ein Evan– geliar mit herrlichen Miniaturen, die Liutold, der Schatzmeister des Stif– tes, 1178 vollendet hat, eine der wertvollsten Schöpfungen der Buch– malerei des Mittelalters. Die sakrale Baukunst Braunaus und seiner Umgebung gewann im frühen 15. Jahrhundert überragende Bedeutung und ausgeprägte Eigen– art durch die Tätigkeit oder zumin– dest durch den Einfluß des aus Burghausen stammenden Hans Stet– haimer, eines der kühnsten Raum– denker oberdeutscher Kunst, des Schöpfers der bayrischen Hallen– kirche. Stethaimer selbst wurde als Baumeister des kleinen Meister- Innenraum d. Stadtpfarrkirche St. Ste– phan in Braunau. 1439-1514.

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