(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1950/51 , Heft 1
20 WILHELM JENNY Bilbtuerhe ber Gotih unb ben Borodin Ou t; ObRr·o·rtl\[[Rt·dJ Rüchbliche auf Die Aua(tel lung ,,1000 Jat,re l.J . t t t ct,riftlict,e Kunft" im 0., 0. LonDeamufeum in Linz Wenn eine Ausstellung ihre Fforten schließt, wird in der Regel kein Nachruf gehalten. Im Falle der Aus– stellung „1000 Jahre christliche Kunst in Oberösterreich" mag ausnahmsweise von dieser Übung abgegangen werden. Denn diese anläßlich des Heiligen Jahres von der Diözese und dem Land Oberösterreich gemeinsam veranstaltete Schau war nicht nur einmalig und unwiederholbar in ihrem Umfang; sie war auch einzigartig in den Möglichkeiten zu qualitätsvergleichender Betrachtung, die sich aus dem engen räumlichen Nebeneinander, ja aus der unmittelbaren opti– schen Gegenüberstellung von Werken ergaben, die sonst an weitgetrennten Aufstellungsorten verwahrt sind. Diese Möglichkeiten sind :mit der Auflösung der Schau unwieder– bringlich -dahin; sie werden von keinem Katalog festge– halten, der immer nur das einzelne Objekt registriert, nicht aber jene Eindrücke verzeichnet, die sich aus dem Beisammensein der Denkmäler im Raume ergeben. Um ein Wichtiges gleich vorweg zu nehmen: wir sehen die besondere Bedeutung der Ausstellung nicht darin, daß sie eine erhebliche Anzahl bekannter Spitzenwerke des heimischen Kunstbesitzes in den Räumen des Landes– museums versammelte. Wesentlicher erscheint uns die Tat– sache, daß sie viel wenig Bekanntes, ja Unbekanntes brachte. Der Rundgang durch die Ausstellungsräume wurde dadurch nicht nur für den Kunstfreund, sondern auch für den Fachmann zu einer wirklichen Entdeckungs– fahrt, von der er jedesmal mit neuem Gewinn heimkehrte. Ein entscheidender Eindruck, den jeder Besucher von der Ausstellung mitnahm, mag der gewesen sein, daß unser Land neben den allbekannten Zimelien des heimischen Kunstbesitzes eine Reihe von Werken sein Eigen nennt, die hinter jenen an Rang und Bedeutung in keiner Weise zurückstehen. Deutlich zeichneten sich im Denkmälerbestand der Aus– stellung die beiden großen Blüteperioden des heimischen KU:nstschaffens ab: die Zeit der Gotik und die Zeit des Barocks. In diesen beiden Stilperioden fließt nicht nur der Beitrag unseres Landes zum gesamteuropäischen Kunst– schaffen am reichsten; in ihnen findet auch der künst– lerische Gestaltungswille die reifsten und eigentümlichsten Formen des Ausdruckes. Und sowohl in der Gotik wie im Barock ist es nicht die vorwiegend von auswärtigen Kräften getragene Architektur und Malerei, sondern in erster Linie die Plastik, im besonderen die Holzschnitzerei, die zur bevorzugten Ausdrucksform für die bodenstän– digen künstlerischen Triebkräfte des Landes wird. So bil– deten auch die vier Säle gotischer und barocker Skulpturen einen besonderen Höhepunkt der Ausstellung; hier war die schöpferische Leistung des Landes vielleicht am un– mittelbarsten zu erfühlen. Es sei daher im Folgenden kurz auf die bedeutendsten Werke zurückgekommen und zu– gleich einiges von jenen Eindrücken festgehalten, die sich durdi ihr Beisammensein im Rahmen der Ausstellung er– gaben. Die im österreichischen Donauraum erst gegen 1300 einsetzende f r ü h e s t e G o t i k war auf der Ausstellung durch eine Monumentalplastik hohen Ranges vertreten, die internationale Bedeutung beanspruchen darf. Es ist dies die überlebensgroße steinerne Sitzfigur einer Mutter Got– tes, die sich ursprünglich in der Kirche von Lorch befand, dann in den Kunsthandel geriet und vor wenigen Jahren für das Landesmuseum erworben werden konnte. Die in der feierlichen Strenge ihrer Haltung fast noch romanisch anmutende Figur stellt uns hinsichtlich der Frage ihrer Werkstatt vor ein ebenso schwer lösbares Problem wie die ungefähr gleichzeitige Großplastik des Gunthergrabes in Kremsmünster. Ein Zusammenhang mit einer der damals in Osterreich tätigen Baµhütten muß wohl für beide Figuren angenommen werden. Das 14. Jahrhundert - die Zeit der eigentlichen H o c h g o t i k des Donaugebietes - war auf der Aus– stellung gleichfalls durch zwei Werke ersten Ranges ver– treten. Von ihnen mag die lebensgroße hölzerne Steh– figur einer Mutter Gottes aus dem Kreuzgang des Klosters Schlierbach (S. 21) noch dem erst•en Drittel des Jahr– hunderts angehören. In ihrer fast rundplastischen Auf– fassung und der ruhigen Ponderation klingt deutlich die große westdeutsche Kathedralplastik des 13. Jahrhunderts nach. In wenigen ruhigen und klaren Falten fällt das Ge– wand zur Erde herab; das von zahlreichen Kräusellocken umrahmte Antlitz zeigt in der Bildung des Mundes mit den hochgezogenen Winkeln noch einen leisen Nachklang jenes „archaischen" Lächelns, wie es uns bei den Jungfrauen des Straßburger oder Basler Münsters entgegentritt. Von fast antik anmutender Größe der Auffassung ist die Gestalt des Jesuskindes, das in der Linken die Weltkugel trägt, während es die Rechte zu einem Segensgestus erhebt. Man glaubt, in dieser Plastik ecwas von der Atmosphäre höfi– scher Kunst zu verspüren; die Madonna erscheint wie eine fürstliche Frau, die dem Gläubigen in freundlicher Würde entgegentritt. Die Stilzusammenhänge dieser Plastik wei– sen ausgesprochen nach dem südwestlichen Deutschland. Vielleicht wurde sie von einem schwäbischen Meister ge– schaffen. Zwei Generationen später · als die Schlierbacher Madonna - um 1370 - mag die Stuccoplastik eines sitzenden Apostels Petrus aus der Filialkirche St. Georgen bei Fischlham entstanden sein. Es handelt sich um eine der hervorragendsten Arbeiten des „weichen Stiles", die wir überhaupt aus Osterreich besitzen, und ich stehe nicht an, dieser Figur den Vorzug vor dem etwas älteren „Ritter" (St. Georg) der St. Florianer Sammlung zu geben. Leider mußte die Plastik auf der Ausstellung in einer schwer ent– stellenden Fassung des 19. Jahrhunderts gezeigt werden, die ihren hohen künstlerischen Rang nur dem geschulten Auge erkennbar werden ließ. Doch sind bereits die Mittel bewilligt, um die Figur in einen_würdigen Zustand zu ver– setzen. Soweit die erste Untersuchung erkennen ließ, dürf– ten unter dem Anstrich des 19. Jahrhunderts noch größere Teile der Originalfassung erhalten sein. Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt die durch Karl Oettingers Buch allgemein bekannt gewordene lnzersdorfer Mutter Gottes, die gleichfalls zur Spitzen– gruppe gotischer Plastiken Osterreichs zählt. In starkem Stilgegensatz zu der Schlierbacher Figur ist hier die reine Vorderansicht zur einzig maßgeblichen geworden; sie allein gibt den malerisch bewegten Umriß, auf den es dem Künstler ankam. Der plastisch-körperhafte Gehalt der Figur ist im Schwinden; die Gestalt versinkt, verflüchtigt sich gleichsam in dem weiten Mantel, der mit seinen tiefen, stark bewegten Schaukel- und Hängefalten nunmehr zum mitbestimmenden Träger des künstlerischen Ausdrucks– willens geworden ist. Dementsprechend zeigt auch die Ponderation ein stärkeres Ausschwingen der Hüfte. Der Ausdruck des Antlitzes aber ist gegenüber der Schlierbacher Mutter Gottes weicher, beseelter, inniger geworden. Der Blick scheint trotz des weit geöffneten Auges mehr nach innen als nach außen gewandt zu sein. Links ob1e>n: Mutter Gottes a. d. Stift Schlierbach. Um 1325. Links unten: Mutter Gottes a. d. FriedhofkapeUe in Lambach.. Um 1500. Rechts oben: Schmerzhafte Mutter Gottes. Pfarrkirche Lochen i. I . Um 1709. Rechts unten: Mutter Gottes a. d. Fil.iulkirche St. Konrad b. Oberwang. Um 1600,
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2