(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1950/51 , Heft 1
katholischen Dichterin, war weithin gegen al1e Neider und Kritikaster gerechtfertigt worden. Es war eine der großen Stunden in der Geschichte der deutschen Literatur. Mit unverbrauchter Kraft hielt sich die Handel-Maz– zetti auf dieser Höhe. Der dramatische Roman „Die arme Margaret" (1900-1910) - der Höhepunkt der ersten Schaffensperiode - und die Steyrer Trilogie „Stephana Schwertner" (1913) öffneten größere Schauräume und drängten riesige Massenszenen in sie, schufen wieder andere Spieler und belebten die Handlung durch unvergeßlich einprägsame Episoden. Ein episches Gedicht „Das deutsche Recht" (1908), das in seiner Urfassung der Dichterin zum Achtzigsten vom Lande Oberösterreich wiedergeschenkt wird, ist ein Muster- und Meisterstück deutscher Vortrags– kunst geworden (Ernst v. Possart, Jakob Schreiner). Nun aber setzt die erste lange Rast ein. Die treibende Idee, aus der sie dichten mußte, hatte sich vielfältig ausgesagt und ausgestaltet: der Kampf wider und um die u n a s a n c t a e c c 1e s i a, in dem die m a g n a c a r i t a s der allein lösende und erlösende Kraft– quell war. Das Arbeitsfeld ist abgesteckt. - Inzwischen rast der erste Weltkrieg über Europa und ließ „die beiden edlen Brüderreiche Deutschland und Osterreich" verblu– tend zurück. Diese Katastrophe hat sie schwer getroffen und über– mächtig arbeitete in der mütterlichen Dichterin der Wille, jetzt ein helfendes und heilendes Wort zu sagen. Die beiden großen Themen, die diese Aufgabe zu erfüllen hatten, drängten die eben wieder begonnene Bearbeitung eines in der Jugend nur flüchtig skizzierten Stoffes aus der Gegenwart zurück (Rita 1915-1922) und bildeten doch mit ihm zusammen eine notwendige Dreiheit. Es ist ein ganzer „Rita"-Komplex, dem der Fragment gebliebene ,,Günther" (1928) und die „Sand"-Trilogie (1925-1927) wesenhaft zugehören. Ein Stoff aus der Gegenwart, aus der politischen Geschichte des letzten Jahrhunderts und aus der Dichtungsgeschichte des Übergangs zum Rokoko. Schwer mußte die Dichterin um diesen Komplex ringen. „Rita" als Romandichtung erschien eine welke Blüte, die Trilogie um den Kotzebuemörder gedieh wohl zu Ende, aber nur der so heiß · umworbene Roman des großen vor– goetheschen Lyrikers Johann Christian Günther ging nach einer Umarbeitung als Novelle siegreich aus dem Spiel der dichterischen Kräfte hervor. Um so mehr auch, da diesem Werk ein Rechenschaftsbericht beigegeben wurde-, der einen tiefen Einblick in ihre Werkstatt gewährt. Die Gegenwart war der Dichterin so fremd wie das polit 1 ische Parkett, Günther dagegen führte sie wieder in die Nähe ihres Hei– mat:bodens. Sie selbst brach unter dem Übermaß seelischer und körperlicher Anspannung zusammen. Und dennoch holte sie drei Jahre schon nach dem „Günther" zu ihrem letzten großen Wurf aus, und es gelang ihr in der „Frau– Maria"-Trilogie (1929- 1931) eine Dichtung, die an künst– lerischer Geschlossenheit, dichterisch,er Intensität und menschlicher Wirkungskraft ihr bisheriges Gesamtwerk fast überboten hat. Die schon Sechzigjährige hat mit diesem Werk den historischen Roman auf eine seit Scifters „Wi– tiko" nicht mehr erreichte Höhe gebracht. Die nachfolgende „Waxenbergerin" (1934) ist ein dramatischer Roman aus der Zeit der Wiener Türkenbelagerung 1683 und ein Vor– spiel zu ihrem Alterswerk, -der „Graf-Reichard"-Trilogie (1938-1939), die mit einem dritten und letzten Band, als Festgabe zu ihrem 80. Geburtstag, abgeschlossen sein wird. Sie zeigt, wie ungebrochen die gestaltende Kraft der greisen Dichterin sich in die epische Breite auslädt. Von der Handel Mazzetti hinüber zu Ginzkey führt der Weg aus den großbewegten Zeiten öst•erreichischer Geschichte bis hin zur erschütternden Gegenwärtigkeit der sterbenden Monarchie. In diesem letzten herbstlichen Blühen wächst und reift der Lyriker heran. Und ist noch mit der eigenen Bürde einer unerfüllten Sehnsucht be– lastet. Schwer, doch gnadenhaft schwer sind diese Lasten für den lyrischen Dichter. Er muß von seinem reichen Herzen zehren, das vor den Gefahren einer verblühenden Franz KarL Ginzkey_ LichtbiLd: WähLe Dein Bi!d, Wien l. Welt besteht und stark genug ist, die Erlebnisse aufzu– nehmen und ihre dichterische Gestaltung zu durchbluten. Von diesem Herzen her haben sie ihr köstliches Leben, ihre tiefe Wirkung: die Gedichte, die Novellen, die auto– biographischen Erzählungen und die Kinderdichtungen. Ginzkey bietet wie die Handel-Mazzetti keinerlei Ver– gleichsmöglichkeiten. Es sei denn, man kennzeichnet ihn treffend als den einzigen Romantiker, den die öster– reichische Dichtung kennt. Dann erscheint er uns verwandt einem Arnim oder Eichendorff. So haben wir den einen charakteristischen Wesenszug erkannt: das Aristokratisch– Ritterliche. Hier freilich in der Sonderform des alten österreich•ischen Offiziers. Damit sage ich bewußt ein Eigen– tümliches, ein Einma:lges österreichischer Kultur aus. Ich sage es aus mit der ganzen Wehmut aller Märchenanfänge: es war einmal... Erkennen wir mitunter verwandte Züge mit Ferdinand von Saar, dann sind wir auch schon in jenem Osterreich, das - von allen niederreißenden Kräften der Zeit geschlagen - ans Sterben geht. Ginzkey steht mitten drin in diesem Raum, in dieser Zeit, sein Dichten gedeiht und wird auch befruchtet von daher. So liegt - sein Schaffen im Spannungsfeld eines Jahrhunderts, aber die stärkere Kraft ist die romantische, die das Ge– fährdende und Hemmende s e in e r Wirklichkeit immer wieder übermächtigt und es sich dienstbar macht. Freilich wird manches brüchig, doch zumeist nur im Roman, der dem Dichter wesenhaft nicht zugehört. Sonst läßt er keinen Fremdstoff in die Tiefen seines lyrischen Formbereichs ein. Hier herrscht er königlich und beherrscht den Reichtum aller lyrischen Spielarten, vom reinen Lied bis zur drama– tischen Ballade. Ginzkey kennt kein expressionistisches Gestammel und Geschrei, keine manieristische~ Verstie– genheiten, keine Artistik, keinen Wortdünkel geistiger „El_ite". Er singt und sagt aus sich das für jeden und alle Bereiten lösende Gedicht und befreiende Lied. Ginzkeys (Schlull auf Seite 51) 19
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