(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 1. Jahrgang, 1950/51 , Heft 1
18 KVRT VANCSA Enrim o. Hanbcl=Mazzctti - Franz Karl Ginzhcu Ci E B. 10. JAN N ER 1871 Ein literarkritisches Essay Ci E B. 8. S E P T E M B E R 18 71 Das Dichterland Österreich zeigt dem Einsichtigen und Feinhörigen früh schon ein eigenes Gepräge. In seiner ersten Blütezeit, im 12. und 13. Jahrhundert, erscheinen Persönlichkeiten, die ihre abseitigen Wege gehen und unbekümmert um das Gegebene, mitunter schon Nor– mierte, die Formen sprengen und neue schaffen und aus der stofflichen Enge weit vorstoßen in die Wirklichkeit ihrer Zeit. Ihr Wort ist durchaus freier, menschlicher, und in ihrem Tonfall klingt hörbar der Herzschlag unseres Landes mit. _ Und die zweite Blüte, die Hoch-Zeit des „Bieder– meiers", schenkt eine Fülle genialer Begabungen, di,e fernab von der Weimarer Tradition und über sie hinaus dem Wortkunstw~rk bis in das Handwerkliche ungeahnte Stoff– bereiche und neue Möglichkeiten dichterischer Gestaltung erschließen. Die mehr als nur eine Spielart beherrschen, zuweilen alle meistern. Die auch Maler und Musiker sind, und das nicht nur dilettierend. Die einander im Leben und Schaffen bis ins Außerliche des Gesichts und der Ge– b~rde seltsam verwandt erscheinen. Ebenso anders zeigt sich als dritte Blüte der öster– reichischen Dichtungsgeschichte auch ihre „Moderne", der ohne Naturalismus Unvergleichliches gelingt. · In diese „Moderne" hinein fällt das Schaffen Enricas von Ha n d e 1- M a z z et t i und Franz Karl G in z k e y s. Die Handel-Mazzetti ist in Wien geboren, ihr Stamm– baum zeigt eine fast europäische Verästelung (Österreich, Deutschland, Niederlande, Italien, Ungarn). Der Raum, in den sie wie Ginzk~y (Pola) hineingeboren sind, hat keiner– lei bestimmende Wirkung in ihrem Schaffen gehabt. Bei der Dichterin _ist er noch etwas wie ein Haltepunkt in ihrem rastlosen Ferntreiben. Bei Ginzkey bedeutet diese Geburt im untersten Süden nur mehr Ausgang seiner Sehnsucht in die deutsche Urheimat. Und weil dieses Heimweh nie erfüllt wurde, schmerzt und drängt es als ein fast unwirkliches Gaukelspiel Gemüt und Phantasie. Der Dichter siedelt ein Leben lang ruhelos zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit. Er muß sich von der Last der Stunde fortdauernd selbst erlösen in Besinnung und Bekenntnis. S e i n W e r k n e i g t w e s e n h a f t d e r 1 y r i s c h e n Au s s a g e f o r m zu (selbst die Er– zählungen sind vorherrschend lyrische Sonderlinge aus seiner Werkstatt). Anders bei der Handel-Mazzetti. Da ist kein eigenes, quellendes Erlebnis, das sich zur Stunde befreien muß ( ein Gedichtband Ginzkeys nennt sich ,.Befreite Stunde"). Fülle und Weiträumigkeit der Herkunft, Reichtum des Erbes stauen sich in ihrer ganzen Breite und Massigkeit an, bis dieser Stoff an dem Bildungserlebnis und der religiösen Aufgeschlossenheit der frühreifen Dichterin sich entzündet. Die ordnende Kraft und das handwerkliche Können leiten zur guten Stunde des Anrufs die Ströme in die bereiteten Bahnen. Je andrängender die Stoffe, desto dramatischer ihre Formung. D i e D i c h t e r i n i s t w e s e n h a f t E p i k e r i n, f r e i 1 i c h m i t e i n e r d r a m a t i s c h e n G r u n d h a 1 t u n g. Zage Anfänge, die in dramatischen und erzählerischen Kleinigkeiten sich versuchen, weisen nur thematisch und motivisch auf die Groß-Romane voraus. Man könnte sie mehr oder minder geglückte Planskizzen nennen. Dem Forscher sind sie aufschlußreich. überraschend, mit der unbedenklichen Kühnheit ju– gendlichen Stürmens und Drängens bricht sie in die schon zäh verfilzte Masse der herrschenden katholischen Literatur ein. Und kommt gerade noch zurecht, mit ihrem Erstling ,,Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr" (1897-1900) den unerschrockenen „Veremundus" - Schriften (1898 und 1899) Karl Muths erfolgreich zu sekundieren. Sie hatte sich zweifellos fürs erste zu sehr überhitzt, zu viel aus– gegeben und manche Chance in jugendlicher Unbedachtheit vorweggenommen. Wenn auch im Übereifer die Form mißraten und der Ton zu schrill geworden ist, der „Mein– rad" blieb ein bedeutender Wurf und versprach viel. Das erkannte man sofort: die barocke Geschichte ist die Welt der Dichterin, ist die Bühne, auf der ihre Menschen die religiösen und natürlichen Leidenschaften und Konflikte austragen. Nach dem „Meinrad" läßt sie fruchtbare Jahre des Reifens und des Besinnens vorbeigehen, bevor sie mit ihrem ersten großen Werk in die Offentlichkeit tritt: „Jesse und Maria" (1904-1906). Und sie beweist dem erstaunten und bewundernden Leser, daß sie tatsächlich mit einer visionären Schau in die Geschichte begnadet ist und ihre formende Kraft stärker und r,eicher ist als der Erstling vermuten ließ. Um wieviel geschlossener und gestraffter die Handlung, motivierter die Konflikte, menschlich wärmer die Gestalten, farbenreicher das Ko– lorit! Die christliche Dichtung war mit einem Male wieder ebenbürtig in den Gesamtraum der deutschen Dichtung eingetreten, und Karl Muth, ,ein Wegbereiter dieser jungen Enrica von Handei-Mazzett~. Lichtbild: E. Fürböck, Linz.
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