(Kulturzeitschrift) Oberdonau, 1. Jahrgang, Feber-März 1941, Heft 1

Leni und Treesje und auch Zennr sind katholisch und im Vormittage den Sonntag waren sie in die Kirche gegangen. Ihre Mutter hatte ihnen das zweimal in einem Brief geschrieben, sie sollten es nicht vergessen und es sich nicht nehmen lassen. Leni hatte mir den Brief gezeigt. Ich hatte gedacht: Aber es denkt doch niemand daran, es euch zu nehmen! So gehen sie also eden Sonntag zur Kirche, und wenn sie heimkommen rage ich sie, was der Pfarrer gepredigt hat. Wir aben es verstanden, sagte Leni an diesem Sonntag r hat vom Erntedank gepredigt. Und vor acht Tagen sagte sie: Er hat vom Krieg gepredigt. Das war am . September 1940. Wir verstehen uns gut, Leni, Treesje, Zenup und mein Bruder und ich. Vielleicht auch haben wir Glück gehabt, daß wir so zusammengekommen sind. Denn im JTachbarort sind holländische Kinder, die mich fremd anmuten: es sind Mischlinge, sie haben Malaienblut aus den Kolonien mitgebracht. Zier trägt sich etwas herein von einem Leben, das wir nicht verstehen. Und wieder im Nachbarort wohnen Kinder, an denen ein Wesen ist, das sich noch einmal anders fremd absetzt von dem unsrigen. Es ist eine trostlose Ungebundenheit an allem Verhalten, als ob es auf der Welt nur lauter inzelne Menschen gäbe und als ob das so in Ordnung ei und von Ewigkeit her und man anders nicht leben könne. Ich habe darüber nachgedacht: es ist eine Un¬ gezähmtheit, wie sie unser Volk, das in Vot, Jucht und Ehren lange gelebt hat, nicht kennt. Doch der Unterschied trifft die Erziehung, nicht den Kern. In ihm sind die holländischen Kinder gut. Das sind sie auch in der Stadt Linz, wo ich andere gesehen habe die dort zu Gast sind wie die unsern hier bei uns Aber in Linz habe ich auch den kleinen holländischen Knaben kennengelernt, der zu Anfang nicht essen wollte und der das durchhielt, bis der Mann, bei dem er wohnte, ein Arzt, ernst mit ihm redete, und der Knabe gestehen mußte, es habe ihm daheim jemand gesagt, vor den Deutschen müsse er sich in acht nehmen, die würden den Kindern Gift in die Speisen tun, damit ie sie ums Leben brächten. Ich habe auch den andern Knaben kennengelernt, der sich nach dem Schlafen¬ gjehen mit Gewalt wach hielt, weil ein Menschenfreund und Christ in seiner Zeimat ihm eingeblasen hatte, die Deutschen würden die fremden Knaben alle umbringen, damit deren Vaterland keine Soldaten nachwüchsen. Ich habe so bei manchen Kindern Zeichen, diese und noch andere, gesehen von jenem gegen uns ausgesäten Zaß und jener kalten Lügenflut, dafür die, die das aufgebracht haben, alle einmal bezahlen werden müssen Wir sind den Haß freilich gewohnt. Wir haben es nicht mehr not, bitter zu werden über ihn. Denn was wir begonnen haben zu gründen in dieser Zeit, das ist o sehr im natürlichen Gesetz der Dinge zu Hause, das timmt so sehr zu dem Ganzen, darin sich die Welt ortbewegt, darin grüßen uns die aufgehenden Gestirne der Zukunft deutlich und das stimmt zu allem Guten, das durch die Jahrhunderte in unserem Volk gedauert hat; — die Niedertracht und die Dummheit können uns davor nichts anhaben. Was uns die andern vor¬ werfen, darf uns ein Wind sein, wie umgekehrt sie niemals begreifen werden, was uns in dem Maß sicher nacht Ich weiß nicht, was die holländischen Kinder mit¬ tehmen werden, wenn sie von Oberösterreich wieder in hre Zeimat zurückkehren. Dielleicht werden sie die ieder im Gedächtnis behalten, die sie bei uns gesungen haben, vielleicht werden sie sich an das Krebsfangen erinnern oder an die Insel England in dem Fluß Aist, der an den Apfelbaum, unter dem wir gesessen sind oder vielleicht wird Leni an den Photographenapparat denken, mit dem der halbe Schuljunge und Traktor¬ führer Kaj am Sonntag durch die Felder gegangen ist Als ich im Jahre 19zo mit meinen Schweizer Pflege¬ eltern an den Bieler See gefahren bin, haben wir den Dagen stehen gelassen an dem See und sind in den Jura hineingegangen eine Schlucht aufwärts zu einem täubenden Wasserfall, der das enge Felsgeklüft ganz mit seinem feuchten Rauch ausgefüllt hat. Ich erinnere nich daran sehr genau: wir haben unsere Mäntel umgenommen und die Züre aufgesetzt und sind so in dem sprühenden Dunst gestanden. Ich erinnere mich auch, daß ich einmal ein Geldstück verloren habe, um das ich das schöne weiße Brot einkaufen sollte, das es in meiner Zeimat damals nicht gab, sondern nur in dem Land, das vom Krieg verschont geblieben war. Ich erinnere mich, daß ich ein anderes Uiäl um zwanzig Kappen gewettet habe, daß ich siebenmal ohne Absetzen um die Blumenanlage auf dem Breitenrainplatz in Bern laufen könne, und ich weiß, wie anfangs gesagt, daß mein Pflegevater Briefträger war und Sozial demokrat und in einem sauberen Zäuschen vor der Stadt gewohnt hat. Ich habe so von dem ganzen Aeben dort einen deutlichen Eindruck und mir ist heute noch klar bewußt, daß mir das Wesen der Schweizer, auch wo es gut war, und es ihnen gut ging und mir das wohltat und ich dankbar war dafür, daß mir dieses WDesen mit Schokoladefabriken und zweierlei Namen fürs Geld und dem Denkmal für den Weltpostverein doch fremd und eng gewesen ist, obwohl ich aus einem Lande kam, in dem ich an Eltern und Verwandten zesehen hatte, wie alles groß Gedachte und groß Heopferte in ihm schlecht ausgegangen war. Ich denke aber, dieses Gefühl kam nicht von kindlichem Unver nögen, etwas recht aufzufassen, sondern es war im Gegenteil richtig aufgefaßt und gefühlt, und ich denke, 55

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