(Kulturzeitschrift) Oberdonau, 1. Jahrgang, Feber-März 1941, Heft 1

Als ich Leni und Treesje zum erstenmal sah, erinnerte ich mich sogleich an meinen Freund Zein S. aus Ober¬ hausen an der Ruhr. Es war das gleiche gute Gesicht, die gleichen sehr hellgrauen Augen, die großflügelige Jase, die blasse Zaut, die die Adern durchscheinen läßt, der große genaue Mund mit den starken Pferdezähnen: das hatte ich, wie jetzt an den Mädchen, lange an dem Freund schon gesehen, daß es mir vertraut war, und ich mußte mir sagen: Es ist doch der gleiche Stamm, es sind Jiederfranken, die dort unten am Rhein und noch weiter unten sitzen, und nur ein Unglück in der Geschichte hat es gemacht, daß der andere Teil uns verloren gegangen ist, wie so vieles damals sich uns entfremdet hat, als das Reich nicht mehr stark war und was von Anfang an ihm gehangen hatte, nicht mehr halten konnte Ich mußte wieder daran denken, als wir gestern vom Baden heimgingen und mir die Mädchen ein Tied sangen. Das kam so: Wir waren am Abend, als die Sonne niederzugehen anfing und nicht mehr ins Ta schien, vom Flusse heraufgestiegen und an dem Wiesen¬ anger den schmalen Pfad hintereinander heimgegangen Als der Weg breiter wurde, konnten wir nebeneinander gehen, und da hatte Treesje Bierman meine linke Zand gefaßt und Zendricka Klinkhammer meine rechte, sie hatten freundlich geschaut und wir waren dann so ver schränkt und gebunden weitergegangen, die Mädcher mit kleinen Schritten und ich mit solchen, die ich zu den ihren paßte. Vor mir ging mein Bruder Arm in Arm mit Dirk van der Gope und sagte ihm, welche Tieder er schon singen gelernt habe und auf dem Klavier spielen könne. Br pfiff sie ihm leise vor, er sang ihm auch manchmal eine Strophe und: in den Dausen zwischen den Reimen, sagte er, dieses Innehalten ist, weil man Atemholen muß beim Marschieren. Wir gaben zuerst nicht acht auf ihn und hörten es nur, und Zennp gar, die listige, schien an etwas anderes zu denken. Sie lachte und drückte meine Hand und sagte, ich solle mich einma umschauen, dort käme langsam hinter uns mit ernsten Gesicht Leni nach, die große, und sie blicke zu Boden, als ob sie von schweren Zweifeln geplagt sei. Ich schaute mich um und sah es und fragte Zennp, ob denn Ten etwas Besonderes habe. Da lachte Zennp wieder und wies seitwärts über den Graben hin. Da sah ich auch das. Einen Steinwurf weit von uns in einem Obst garten an einen Baum gelehnt, stand Kaj, der Bauern bursche, der auf dem Meierhof den Traktor führt. Sonst, wochentags, dröhnt er hoch auf dem stoßenden Ungetüm und die schebbernde Pflugschar im Rücken die Straße auf die ücker hinaus. Zeute hatte er seinen Sonntagsanzug an, einen blauen Anzug mit Überfall¬ hose, und ein lederner Riemen ging ihm quer über die Brust und eine lederne, viereckige Kameratasche hing ihm an der Züfte. Er stand so an den Stamm gelehnt, und es war zu sehen, auch er war in Gedanken ver¬ sunken und so sehr, daß er gar keinen Blick auf uns wenden konnte. Zennp, die listige, aber deutete zurück auf Leni, die in dem gelben, blumigen Kleid ging und auch nur niederschaute, wohin sie die Schritte zu setzen hätte, und sagte: er ist..., er ist in sie verliebt, sagte sie schnell, er hat es uns wichtig erzählt, er hat einen Photoapparat, den keiner sonst hat, und er will ein Bild von Leni machen und es ihr nach Zolland schicken So, sagte ich, was du nicht glaubst, aber ich kan nicht weiter, denn auch Dirk, der vorne ging, hatte Zennp reden gehört, er drehte sich um und streckte ih die Zunge heraus, und Treesje zu meiner Linken schüt telte den Kopf und sagte: Aber die Freche, die Zennp die ist schwatzhaft! — Da schämte sich Zennp, und wei mein Bruder, den dies alles nichts anging, derweil wieder ein Lied zu singen begonnen hatte, fiel sie, au etwas anderes zu kommen, in die Strophe, die er ange fangen hatte, ein, und rief den andern zu, sie könnten das Lied doch auch singen, sie hätten es oft genug gehör und sollten mitsingen. Und den andern war der Unmut nicht ernst gewesen, sie folgten dem Mädchen und be gannen den Einsatz nochmals. Alle, Zennp, Trees, auch Leni, die uns nachgekommen war, und Dirk van der Gope und mein Bruder mit mir, wir blieben unter einem Apfelbaum stehen und setzten uns ins Gras und angen das Zied. Es war ein neues Zied, wie es in den Gefolgschaften der Zitler=Jugend gesungen wird. Mei Bruder stimmte es an, er hatte es dort gelernt und blieb nicht stecken im Text, und die holländischen Kinden von dem vielen gelegentlichen Juhören konnten die Weise recht gut und trafen auch die Sprache nicht viel anders als sonst Kinder, die in der Mundart reden, ein mal ein Lied singen in der gehaltenen hochdeutschen Sprache Ich horchte auf sie und freute mich, und als das Tied aus war, fragte ich Zennp, ob sie nun nicht auch ein holländisches Lied wüßten, ich möchte ein solches ein mal gerne hören. Da zog Zennp die Stirn nachdenkene in Falten, und auch die andern mischten sich drein und redeten eifrig durcheinander, dies, sagten sie, nein dies und endlich wurden sie einig untereinander und sprangen auf und stimmten das Lied an. Es fing an: „Wilhelmus van Fassouwe bin ik van Duitse bloed Miin Doderland getrouwe blpf ik tot in den doet.“ Ich kannte das Lied vom ersten Wort an und auch weiter und sah den Singenden auf die Lippen. Ich dachte: das ist ihr Tied, sie sagen, es ist ihres, und stehen auf, weil sie ihr Vaterland meinen. Und ich weiß doch, es ist ein deutsches Lied, das ist sogar in den Worten vom deutschen Blut. Das wissen sie nicht mehr. 33

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