(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 4. Jahrgang, Winter 1937, Heft 2

Winterzauber am Hochfi cht des Stock s. Tiefe Ruhe schien mir vom D enk– nial Adalbert Stifters auszuströmen , eine Ruhe, der auch ich mich gern hingab. Ich fühlte den Blick des Dichters über mich hinweg sdiauen, in eine Feme, 1·eid1 an Gestalten, an all den vielen dicht erischen Gestalten, di e er un s in seinen vVerken geschenkt hat, und reich auch an so vielen , die in sein er Phantasie gelebt und gewirkt haben mögen, ohn e daH wir Nachfalu:en von ihnen wissen oder ahnen. Wie wenig kenn en ·wir doch un sere großen Dichter, auch wen 11 ,vir alles k enn en, was sie uns hinterlasse n haben! Bald sah ich am fernen Eingang des kleinen Parks einiO'e der Sänger sich zu einer Gruppe sammeln, dann langsam näherkommen. Als sie am Fuß des Denkmals angelangt waren und noch mehr ihresgleichen von den Se itenalleen her zuströmten, zugleich auch Neugierige herankamen und stehen blieben, schien auch mein alter Nach– bar das Ungew·olmte zu bemerk en: an den kleinen, ruckweise erfolgenden Kopfbewe"'tmgen, die den Stadiugigen eigentii mlich sind , erlrnnnte ich, daß er sich Rechenschaft i_iber die Ansammhmg zu geben suchte, die er wo hl nur undeutlid1 wahr– nahm. Endli.ch wandte er sid1 mir zu und fra&te, was es denn da gebe. Auf meine Erklärung, claß ein e Huldigung vor dem Stifterdenkmal geplant sei, nickte er einige Male vor sid1 hin, dann sagte er: ,,Den Herrn Sdrnfrat Stifter habe ich nod1 gekannt. Er hat unsere Klasse inspizieren sollen, 1rnd da ist vorher der DiTektor ins Schulzimmer gekommen und bat un s gesagt : ,Heut k ommt 46 Lid1lbild: 0.-0. La ndesvcrkelll'Saml der Herr Sdmlrat - daß miT keiner von euch lad1t! ' Wir haben aber scbon gewufü, warum ,vir nid1t la– chen dürfen ,weil närn– lid1 der Herr Schufrat Stifter immer finger– dicke Holzsohl en an seinen Schuhen ge– habt hat, und die ha– ben sd1on von weitem so schön ß.'eklappert, wennerauidemStein– boden draußen den langen Gang dah erge– kommen ist." Wieder nickte der alte Mann einige Male vor sich hjn, dann begann er wie vordem, die Sängersd1ar, die in– zwischen vollzählig geworden war, auf– merksain zu mustern . Sd1on hob der Chor– meister den Stab , der Gesang se~te ein. Id1 muß bekennen, daß ich nid1t zugehört habe : id1 sah nach links, zum Stifterdenkrnal hin - der ruhige, tiefe Blick des Dicht ers sann über alles hinweg der Vision nach, die ihm, ihm allein erscbienen wai' .. . Da sd1oll ein kurzer Gruß an mein Ohr, ich wandte mich zurück - mein alter Nachbar hatte sich erhoben und sd1ritt la!1gsa:mdav?n. Sollte i~h ihm folgen, ihn befrag:en ? V1eJle1cht wurde er mir noch anderes aus semer Erinn erung an den Herrn Scbulrat Stifter erzählen können? Aber nein, er wufüe ja dod1 gpwiß ni cht mehr aus j ener fernen Zeit, er hatte viel– leicht nie viel mehr von Aclalbert Stifter gewufü, als daß er inspizierender Sclrnfrat gewesen war und mit seinen klappernden Holzsohlen die Bubenklasse zu unwiderst ehlid1ei' Heiterkeit zu reizen pflegte. Der Chor war zu Ende, die Sängersdrnr zer– streute sid1 , mit ihr die Zubörersdrnft, bald lag der freie Pla~ um das Denkmal wieder still im milden Nachmittagssd1ein der Sonne. Auch icb erhob midi, um beünzu~,ehen. Das ist mein Stifter-Erlebnis aus Linz. Ich denke, man muß es verstehen , daß ich es zu meinen sd1önsten und lieb sten Erlebnissen zähle. Und es ve1schlägt mfr dabei gar nid1ts, daß ich seither j edesmal, wenn ich w ieder in dieser Stadt weile und im Vorbeigehen einen stummen Gruß nad1 dem Denkmal des Did1Jers mit den sin– nenden Augen hinüberschicke, durch e in en kurzen Blick mid1 nod1 verO'ewissern möcbte. ob er auch w irklid1 die guten §cbuh e mit den fingerdicken Holzsohlen tr~igt ...

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