(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 3. Jahrgang, Sommer 1936, Heft 1

die Spannung des gotischen Bogens löst sich plö~lich im Jubel der himmlischen Szene der Marienkrömmg. Hierauf beruht die Grundidee des Werkes; der Augenblick der künstlerischen Empfängnis wird hier verewigt; dies ist schließ– lich der Standpunkt, zu dem wir immer wieder zurückkehren, von dem aus wir den le~ten Blidc auf das unsterbliche Meisterwerk werfen. 14?1 bis 1481 w1.n·de der umfangreiche Altar, einer der reid1sten aller gotisd1en Scbni~altäre, in Bruneck im Pustertal gearbeitet; in den Haupt– teilen und im Entwurf das Werk der blühenden Mannesjahre Meister Pacbers, als Ganzes die Leistung der stärksten emopäiscben Tradition, die in ständiger Fühlung mit Italien bleibt, nachdem sie ihren Ausgangspunkt von der burgundischen Schule, bezw. il1rem Ableger am Oberrhein und Bodensee genommen hatte; alle Details "dieser Tradition sü1d uns infolge Verluste der aus ihr hervorgegangenen 'Werke verwischt; die Werkstatt steht plöcylich mit Meisten\Terken wie dem Katharinenaltar der Galerie des Stiftes Neustift bei Brixen (der keine geschni~ten Teile hat!) vor uns; sein Meister Friedrich Pacher hat aud1 am Wolfgangaltar m.itgearbeitet, er i.iberlebt Michael Pad1er, der 1498 in Salzburg starb, um zehn Jaru:e. Die Sd1eidung des Werkes beider Maler in versdiiedene Hände, nod1 mehr · die Erklärung des Ursprunges ihres Stiles gehört zu den schwierigsten und wohl auch undank– barsten Fragen der eurnpäischen Kunstgeschidite. Die Gruppe des Schreines verd ient noch einige erläuternde Worte. Gleid1 der Mehrzahl der gleichzeitigen Schni~altäre enthält der Schrei n und die Predella, im Unterbau des Altares, Bild– werke: Die Krönung der Gottesmutter, zu Seiten St. Wolfgang und St. Benedikt (das Mutterkloster, das den Altar stiftete, war das ?39 gegründete Benediktinerstift Mondsee), in der Predella die Anbetung der Heiligen Drei Könige. Wie in der frühen Zeit nid1t anders zu erwarten, ist die Komposition nidit durch Symmetrie geklärt, wohl aber in ei nem wundervollen Gleichgewicht der Aquivalente; man beachte das Gegenspiel der rahmenden, gewaltigen Heiligengestalten, den Ausgleich in der so labilen Mittelgruppe, und, wie endJid1 das Ganze im Labyrinth der Baldachine noch einmal sid1 spiegelt und erne abstraktere Lösung :findet, Von den zahheichen Gemälden verdienen am meisten Bead1tung: die Steinigung Christi, die Versuchung Christi, die Brotvermelu·ung ; 32 dann vor allem die vier Tafeln mit der Marien– legende (sichtbar, wenn der Altar, wie gewöhnhch, ganz geöffnet ist), besonders intün die Geburt Christi, dann die ehernen Aquivalenzen der „Darstellung im Tempel". Nicht zu übersehen sind die eigenhändigen TafeL1 der Predelleu– fli.igel, bei denen man Pachers Arbeitsweise einmal in Ruhe aus nächster Nähe bewundern mag. Die Präzision der Zeichnung, der Zauber der Farbe, die Beherrsdmug aller Feinheiten des Kolorits, 'Wie Lionardo sie im Malerbud1 zu– sammenfaJH, wie sie aber unabhängig von ihm als Werkstattgeheimnisse seiner Zeit tatsädtlich bekannt waren, sie alle bestimmen stärker den ·wundervollen Gesamteindrud<:, als der Laie glauben will und dem er sid1 daher n1hig überlassen möge. Der weltgeschichtlichen Be– deutung Pad1ers allerdings wird sid1 nur bewußt, wer aus den Galerien Europas ein Bild der Kunst des Lionardo ge,vann und es durch das Studium seines „Malerbuches" ergänzte und vertiefte. Man– tegna läßt sich zur Not nad1 Büd1ern, Bildern und nach einigen Originalen studieren, Lionardo aber ersd1liefü sich nur dem, der jahrelang ernstlich um ihn ringt; seltsam ist die Tatsache, daß ein so breiter Weg von Lionardo zu Pacher führt, daß aber umgekehrt Pachers Kunst so ganz aufler dem Bereich Lionardos liegi, daß sie Lionardo aud1 n icht einmal ahnen läflt. Aufier dem Altar birgt die Kirdie von Sankt Wolfgang ein schönes bauplastisches Detail aus gotisd1er Zeit, die Sakristeitiir, di e ganz ähnhd1 aud1 in der Stiftskird1e zu Mondsee vorkommt. Schwanthalers Doppelaltar vom Jahre 1676 ist eine weltberühmte Arbeit ; nod1 bedeutender, wenn aud1 augenbliddich noch weniger gesd1äQt, sind die Arbeiten Meimad Gugenbid1lers: zwei Altäre an der Nordwand und dazwisd1en das Hauptwerk dieses genialen Meisters, sein Ecce homo. Der Pilgerbrunuen vom Passauer Büd1sen– uncl Glockengießer Lienharcl Raunacher (1515 datiert), ist das fri.iheste Werk der Renaissance auf oberösterreidüsd1em Boden, von fri.ihling– hafter Zartheit. Treten wir nun ins Freie und schauen wir nach Si.iden, wo mystisch wie ein heiliges Reich ganz nah die milden Berge sid1 an den See heran– schmeicheln , einer aber zurückschnellt wie eine aufgesd1euchte Natter im Gras, dann spüren -..ru vielleicht für Augenblidce auch das Dämonisd1e dieser Landsd1aft, das sid1 vielfach aud1 in Sagen, ja in der Wolfgangsage selber, spiegelt.

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