(Kulturzeitschrift) Oberösterreich, 2. Jahrgang, Sommer 1935, Heft 1

direkt an die Ew igkeit? Und die wuchtigen, markanten Hauptthemen, die wundersam tiefen Gesangthemen, die auffallende Klarheit und Wahrheit seiner Musik, die nach tragischen Kon– flilden und argen Dissonanzen immer wieder sich breitmachende Friedensstimmung und Le– bensbe_jahung, das Erhabene, Uberzeugende, Positive, oft ganz überisdisd1 Anmutende seiner Kunst - scheint dies alles nidit die Frucht eines gläubigen Herzens, der Erguß einer schönen, gottliebenden Seele? Siehe, der Musikant Gottes! Es mag wenig Künstler geben, deren Schaffen und Leben eine solche Harmonie aufweist wie es bei Meister Antonius der Fall ist. Und es gibt vielleidit kaum einen, dessen Schöpfungen ein so inbri.instiges Versenken in die Sphäre des Ubernatürlichen bekunden. Gerade von diesem Standpm1kte aus nimmt Brudrner in der Musik– geschid1te eine ge,visse Ausnahmsstellung eii1. Der Meister schien sich immer vor Augen zu halten, was Bach an seinen Sohn Friedemann schrieb: ,,Beherzige stets, daf! Du ein Diener Gottes bist." Und wenn Beethoven vom „gött– lid1en Funken" der Musik sprid1t, walll'lich, sein kongenialer Nachfolger, der „Musikant Gottes" hat es verstanden, sid1 und andere am göttlichen Feuer zu entzi.il1den. LASST UNS BRUCKNER LIEBEN! Von E n r i c a H a n d e 1- M a z z e t t i Ich stand in Franz X. Mi.illers Salon, wo die Unbefleckte, von goldenem Mantel umwallt, zart lmd kindlid1 ili1·e betenden Hände über dem Klavier des Meisters erhebt. Ich sprach von Müllers gewaltigem Oratorium Augustinus. Er kam immer lmd immer wieder auf Brudrner zu spred1en: ,,Man bricht Beet– hoven nichts ab", sprach Müller, ,,wenn man Brudrner an seine Seite stellt. " Dann sprach Müller die schwerwiegenden Worte: ,,Wir alle kennen Brudmer noch zu wenig. Abgründe sind nod1 zu erforsd1en. Himmelsleitern noch zu ersteigen. Auch Beet– hoven ist noch nid1t voll erforsdli. In seinen le~ten Kompositionen war er Brudmers Prophet." ,,Hat Bruckner alles, was er gegeben, gewnfü, hat er seü1e eigene Größe ermessen?" ,,WeiH das je ein Künstler? Wissen Sie es, wenn Sie als Künstlerin geben, was Sie geben? Gott gab dmch Bruckner, was der Begnadete selbst nicht ermessen konnte, einen Himmel unbekannter Harmonien, eine unerhörte Vielfalt und Neuheit der Erfindungen, die ein völlig neues Zeitalter der hieratischen Musik heraufführte." Nod1 ganz im Banne dieser Unterredung, las ich ein höchst eigenartiges Manuskript, die Auto– biographie der hochbegabten Hermannstädter Klavierkünstlerin Melanie Heckner, die heute als Gattin eines Stadtbaumeisters in Asd1ers– leben im Harz lebt. Fesselnd erzählt sie, wie sie die Größe Mozai·ts erst voll erfaßt, als 40 sie, die längst seine Hauptwerke studiert und daraus vorgetragen hatte, der Interpretation beiwohnte, die der Pianist Kreutzer der Mozart– sd1en A-Dm-Sonate gab. In dieser Stunde er– schien ilir Mozart in ungeahnter straltlender Herr– lidtl<eit als der Raffael der Musilc Wir stehen an der Schwelle des ersten Brudrner-Festjahres, das wir, das Brucknerland Oberösterreich, feiern. Wir sollen das Glück er– proben, das Mela Hedrner so bezaubernd schil– dert: Diesem Heros der Töne nahezukommen, sei n Wesen kennen zu lernen. Wir soll en ,vissen, was es um diesen Grof!en ist. Müller hat das Wort von der Kongenialität Beethovens und Brudmers gesprochen. Aus alten Zeiten kbngt Hans von Bi.ilows Synthese : „Bachs Wohltemperiertes Klavier ist das Alte Testament der Musik, Beethovens Sonaten sind das Neue." Bruckner war damals noch im Schatten. Sein Tag ist glorreid1 angebrochen. Ist er nicht heute neben Beethoven die Erfüllung der heiligen Musik, so wie das Neue Testament die des Alten Bundes? - Fürwalll': B e et - hoven i st der Löwe Markus des Neuen Testaments der Musik, Bruckner der Ad l er Johann es. * Bruckner, Johannes der Musik, Nebenbuhl der himmlischen Geister, die ewig Gott lobsingen, lafl uns dich kennen, dich lieben, did1 loben - dies Loh ist Gottes Lob, vor Ihm beugte deine Kunst das Knie, wie wir unseres vor i:111' beugen .

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