Der Sauschneider Kaspar Schiffner († 1797) und seine Bibliothek.
220 ländlichen Unterschichten. Wenngleich dieser Begriff etwas unscharf erscheint , 6 da Schiffner finanziell keineswegs schlecht gestellt war, wie wir gesehen haben, so ist doch bisher kein derartiger Fall in Oberösterreich bekanntgeworden und dürfte daher etwas Einmaliges sein. Wenn wir gelegentlich davon hören, dass Angehörige dieser Schichten Bücher besaßen, so handelte es sich nur um wenige Werke, meist religiösen Inhalts. So wissen wir etwa aus der „Wiener Kirchenzei- tung“, dass sich ein „gemeines Landmädchen“ einige namentlich genannte jan- senistische Werke und andere „gute Bücher“ angeschafft hatte. 7 Zweifellos war gerade die theresianisch-josephinische Epoche eine Zeit des Umbruchs auf allen Gebieten, die auch das Lesen und die Lesegewohnheiten verändert und bisher nicht mit diesen Dingen in Berührung gekommene Schichten erfasst hat . 8 So konnte der Verwalter der Herrschaft Almeck über zwei Bauern, die für die Anlage des josephinischen Grundsteuerkatasters herangezogen wurden, behaupten, dass jetzt manch Bauernkopf „hell“ sei und nicht „finster wie die Nacht“. 9 Die Zahl der Druckwerke erreichte überall eine nie gekannte Höhe. Gerade die Auf- klärung kam ja auch dem Bildungsstreben weiterer Bevölkerungskreise entge- gen, und es haftete ihr stets ein starker pädagogischer Zug inne. Es wurden sogar schon Stimmen laut, der Besitz von allzu vielen Büchern verhindere ein genaue- res Studium derselben, und es ist darauf hingewiesen worden, dass in der zwei- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Publikum von intensiver zu extensiver Lek- türe übergegangen ist . 10 Neben die religiösen Schriften traten allmählich immer mehr Zeitschriften und politische Druckwerke. In den frühen 90er Jahren des 18. Jahrhunderts ist auch das Eindringen der Ideen der Französischen Revolution in Oberösterreich festzustellen, wobei bemerkenswert ist — wie wir aus einzelnen 6 Vgl. Michael Mitterauer, Lebensformen und Lebensverhältnisse ländlicher Unterschichten, in: Herbert Mathis (hg.). Von der Glückseligkeit des Staates, Berlin 1981, 315 ff., bes. 316 f. Die Un- schärfe des Begriffs der ländlichen Unterschichten betont auch Dietmar Stutzer, Unterbäuerliche gemischte Sozialgruppen Bayerns um 1800 und ihre Arbeits- und Sozialverhältnisse im Spiegel der Statistik, in: Wittelsbach und Bayern. Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat III/l, München 1980, 290 ff. bes 292 f. Leider gibt es für den deutschsprachigen Raum keine vergleichbaren Arbeiten wie etwa für England, Frankreich oder Schottland (vgl. z. B. Robert Darn- ton, The high Enlightenment and the Low-Life of Literature in Pre-Revolutionary France, in: Past und Present 51 (1971), 81 ff.; Peter Laslett, Scottish Weavers, Cobbers and Miners who bought books in the 1750ies, in: Local Population Studies. Magazine and Newsletter 3 (1969), 7 ff. und Lawrence Stone, Literacy and Education in England (1640—1900), in: Past and Present 42 (1969), 41 ff.; E. Furet — J. Ozouf, Lire et ecrire, 2 Bde, Paris 1977). 7 Vgl. Peter Hersche, Der Spätjansenismus in Österreich, Wien 1977, 194. 8 Vgl. nur das zuletzt erschienene zweibändige Sammelwerk von der österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben: Österreich im Europa der Aufklärung, Wien 1985, mit zahlrei- chen wichtigen Beiträgen. Erwähnt sei in unserem Zusammenhang nur: Helmuth Feigl, Die Auswir- kungen der theresianisch-josephinischen Reformgesetzgebung auf die ländliche Sozialstruktur Ös- terreichs, 45 ff. 9 Vgl. Georg Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst, Linz 1963, 379. 10 Rolf Engelsing, Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten, Göttingen 1973, 138.
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