Josef Ofner - Die Eisenstadt Steyr
35 nicht mehr dem Bedürfnis der Bürgerschaft. Man ließ sie abtragen und be- gann im Jahr 1443 auf Kosten von „Rat und Gemein“ mit dem Bau der jetzi- gen Pfarrkirche, der durch Vermächtnisse der Bürger bedeutend gefördert wurde. Den Plan entwarf Hans Puchsbaum, damals Dombaumeister zu St. Stephan in Wien. Unser Gotteshaus ist in seinem Grundriss dem Stephans- dom sehr ähnlich. Erwähnenswert ist, dass auch der Chor der St.-Kilians-Kir- che in Heilbronn denselben Grundriss zeigt wie die Steyrer Stadtpfarrkirche. Baumeister und Bildhauer Anton Pilgram von St. Stephan wird hier als Ver- mittler angesehen. Im Jahre 1454 übernahm Martin Kranschach die Leitung der Bauarbei- ten, die 1479 durch einen Brand, der den fast vollendeten Turm vernichtete, unterbrochen wurden. An den dritten Baumeister, Wolfgang Tenc, erinnert ein vorzüglich gemeißelter Grabstein aus dem Jahre 1513 an der inneren Süd- wand der Kirche. Er zeigt den Meister kniend vor einem Kreuz, das ein Spruchband mit der Aufschrift „Amor meus crucifixus est“ (Der Gekreuzigte ist meine Liebe) umschlingt. Der Nachfolger Tencs war Hans Schwedchover. Der unter seiner Füh- rung bis auf das Langhaus vollendete Kirchenbau kam durch die schwere Brandkatastrophe im Jahre 1522 auf lange Zeit zum Stillstand. Die prächtige spätgotische Stadtpfarrkirche mit ihrem herrlichen Netz- gewölbe, den reizvollen Figurennischen, den großartigen Maßwerken ihrer mächtigen Spitzbogenfenster und den reichgeschmückten Portalen birgt eine Reihe seltener Kunstwerke. Hier seien genannt die gotische Pieta am Sakramentsaltar (Steingussarbeit aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhun- derts), das wirkungsvolle Sakramentshäuschen mit dem berühmten sechstei- ligen Gitter in kombinierter Blechschnitt-Technik, das als das beste spätgoti- sche Werk seiner Art bezeichnet wird, der „Steyrer Christus“, ein Gemälde am Kreuzaltar (um 1400), der 1569 aufgestellte kelchförmige Taufstein mit Bleiornamenten und Szenen aus der Heiligen Schrift, das vorzügliche Tympa- nonrelief über dem linksseitigen Tor des Nordportals, darstellend Mariens Tod und Krönung (1525), ferner Nischenstatuen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in der Vorhalle des Nordportals, und zwar die Heiligen Agnes, Jakob d. Ä. und Dorothea. Letztere Statue zählt zu den reifsten gotischen Bild- werken Österreichs. Schließlich sei hingewiesen auf die Epitaphien im Innern des Gotteshauses, in der Vorhalle und an der Nordseite der Margarethenka-
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