5. Jahresbericht HAK Steyr 1991/92

Wie viel anders sieht das aber bei meinen Kindern aus. Sie wachsen schon in einer ganz anderen Umgebung auf, sie gehen Beschäftigungen nach und zei gen Interessen, die mir in diesem Alter eher fremd waren. Meine Tochter Silvia besucht derzeit das Bundesrealgymnasium. Sie verläßt um 6.30 Uhr unser Haus und kommt frühestens um 13.40 Uhr wieder zurück. Nach einer kurzen Mittagspause, die wir rasch zu einem Gespräch nützen, macht sie ihre Schul aufgaben, und wenn sie auch noch lernt, ist sie frühestens um 18 Uhr fertig. Wieviel Zeit hat sie dann noch zum Spielen? Denn 14-jährige sollten sich auch noch mit Politik, Kultur und Umweit beschäftigen. Sie sollen Probleme erken nen, sie zu lösen versuchen und mit anderen darüber diskutieren. Vernunft ist gefragt, Gefühle stören eher und beeinflussen die gewünschte Entwicklung des Jugendlichen zu einem kühlen, überlegt handelnden Menschen. Das beginnt schon im Kindergarten, wo man mehr und mehr dazu übergeht, Vorschule zu sein und den Kindern Lernen lehrt, anstatt ihre Gefühle zu fördern und ihnen den Umgang mit ihren Mitmenschen zu zeigen. Tausche Informationen gegen Sentimentalität, Berechnung gegen Mitgefühl, Vorteil gegen Hilfe; so sollte die Kindheit wahrlich nicht aussehen. Obwohl sich meine Frau und ich sehr bemühen, unsere Kinder zu gefühlvollen und toleranten Menschen zu erziehen, können und dürfen wir sie aber nicht von der Realität entfernen. Schließlich müssen sie in ihrer Zeit leben können und das Beste daraus machen. Leider sind sie als tolerante und rücksichts volle Kinder manchmal benachteiligt, da sie nicht in allen ihrer Handlungen den eigenen Vorteil in den Vordergrund stellen und sie sich den Luxus gönnen, als Kind zu urteilen und zu handeln. Doch weiß ich, daß ihre Kindheit dadurch we niger berechnend und nüchtern und weniger kalt und einsam ist, da sie durch diese ihre Lebensart viele Freunde gefunden haben. Auch das bewußte Zu sammenleben in einem Familienverband mit den Großeltern zeigt ihnen, daß gegenseitiges Ernstnehmen, Toleranz und gelegentliches Nachgeben sicher lich mehr Lebensfreude bieten und größere Werte darstellen können, als Ego ismus und Selbstverwirkiichung, Gewinnstreben und das Bemühen, immer der Erste sein zu müssen. Leider werden aber gerade diese Werte schon in der Kindheit von der Umwelt als vorrangig angesehen. Ich wünsche mir, daß auch meine Kinder mit Freude und Zufriedenheit auf ihre Kindheit zurückblicken mögen und daß wir ihnen auch in dieser so berechnen den Zeit die Grundlage für eine kindergerechte Entwicklung geben können. Haben meine Eitern eher versuchen müssen, die materielle Grundlage für mich zu schaffen, muß ich mehr den Mangel an Menschlichkeit und an Gefühlen ausgleichen. Sollte das gelingen, werden meine Kinder ebenfalls von einer glücklichen Kindheit bzw. überhaupt von einer Kindheit sprechen können, in der sie, bewahrt vor Unsinnigkeiten und Gefahren, unbeschwert heranwach sen konnten. Für mich heißt Kindheit, Kind sein zu dürfen und sich auf die Eitern verlassen können. Das will ich meinen Kindern schenken. Harald Braun, iß, HAKB-FS

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