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FÜNFTER JAHRESBERICHT HANDELSAKADEMIE & HANDELSSCHULE STEYR 1991/92
Das Umschlagbild zeigt den Beitrag der 1 b MAS zur Ausstellung „500 Jahre Amerika". IMPRESSUM: Herausgegeben von der Sohuigemeinsohaft der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule Steyr. Leitung und Koordination: Mag. Gerhard Winter. Redaktion: Mag. Alfred Baisoher, Mag. Gerold Baumgartner, Mag. Wolfgang Cermak, Mag. Manuela Holzer, Dr. Gerlinde Lux, Claudia Malli, Mag. Heinz Reelle, Mag. Walter Kargl, Mag. Gerhard Winter. Vertrieb: Mag. Karl-Heinz Furtlehner. Anzeigenwerbung: Dkfm. Mag. Leopold Födermayr, Claudia Malli. Satz, Druck und Verlag W. Ennsthaier, Steyr.
INHALT Vorwort des Direktors 4 Vorwort der Redaktion 5 Personeiies HAK-Matura im zweiten Bildungsweg Rahmenthema „Muitikultureile Gesellschaft": Lehrerbeiträge Schüierbeiträge 23 Aktionen und Aktivitäten 33 Elternverein 71 Matura 1992 77 Schülerverzeichnis 81 Lehrer und Unterrichtsfächer 97 Grundinformationen 106 Schulchronik 112 Erster Schuitag 1992/93
VORWORT DES DIREKTORS Liebe Leserinnen! Eine große Freude für mich ist es, zum fünften Mai in Feige ein Vorwort zu einem Jahresbericht der HAK, HAKB und MAS Steyr zu schreiben und jedesmal neue Highlights anbieten zu könnnen. - Der aktueiie HAS-Lehrpian 92 beginnt im Herbst mit einer „Umweltklasse" und einer „Sekretariatsklasse". - Das BWZ wird errichtet. Die praxisgerechte Ausbiidung wird im Betriebswirtschaftiichen Zentrum durch die Gründung und Führung von Übungsfir men erfeigen. - Ein Satellitenempfänger eriaubt den Einsatz englischer, französischer, spanischer und itaiienischer Originaiprcgramme für einen lebensnahen Fremdsprachenunterricht. Die Freigabe bisher zentrai reglementierter Vergaben in pädagogischen, orga nisatorischen und finanzieiien Beiangen wird für die Schulgemeinschaft einer so aktiven Schuie beste Entfaitungsmöglichkeiten geben, um ein zeitgemäßes Profil zu entwickein. Den Leserinnen und Lesern wünsche ich bei der Lektüre dieses ianglebigen Sammeibandes viei Freude und in späteren Jahren beim Durchblättern viele gute Erinnerungen an „unsere" Schule. Direktor Dkfm. Mag. Heimut Zagler
VORWORT DER REDAKTION „Alle Jahre wieder..taucht bei der ersten Redaktionssitzung die unvermeid liche Frage auf: Unter welches Generalthema sollen wir die Beiträge zum dies jährigen Jahresbericht stellen? So viel Kopfzerbrechen uns am Anfang des Jahres diese Frage zu bereiten vermag, umso klarer treten die Konturen des gesuchten Themas im Laufe des Schuljahres hervor, fast zwangsläufig vorge geben durch die laufenden Aktivitäten an unserer Schule, aber auch durch zeitgeschichtliche Ereignisse. Auch in diesem Jahr wurde die Arbeit des Redaktionsteams von aktuellen, meist politischen Ereignissen begleitet, die uns noch im nachhinein die Rich tigkeit unserer diesjährigen Themenwahl bestätigten: Die vor kurzem noch so unaufhaltsam scheinende Entwicklung Europas zu einer politischen und wirt schaftlichen Einheit gerät zunehmend In Widerspruch zu den wachsenden na tionalistischen Unabhängigkeitsbestrebungen und Zerfallserscheinungen im Bereich der ehemaligen Ostblockstaaten, was eher die Ära eines neuen euro päischen Regionalismus als die einer gesamteuropäischen Integration einlei ten könnte. Die stark zunehmende internationale Wanderungsbewegung ruft wachsenden Widerstand in Form von aggressivem Nationalismus sogar in Staaten hervor, die man aufgrund ihrer historischen Erfahrungen für alle Zeit von diesem Übel gehellt glaubte. Und kurz vor Redaktionsschluß lieferten auch noch die Rassenunruhen im multikulturellen Musterland USA eine spek takuläre Aktualisierung unserer diesjährigen Beiträge, deren Themen man un ter dem Begriff „multikulturelle Gesellschaft" subsumieren könnte. Es kann natürlich nicht Sache eines Jahresberichtes sein, sich dabei in weltpo litisch bedeutungsschwangeren Betrachtungen zu ergehen, sondern wir
haben versucht, die alltäglichen und sehr realen Probleme des Zusammenle bens von Menschen verschiedener Kulturen und Nationen, auch Im Rahmen unserer Schule, zu zeigen. So haben wir sowohl unsere ausländischen Schüler zu Wort kommen lassen, als auch österreichische Schüler zum Thema „Angst vor Ausländern" befragt. Die historische Dimension des Themas kommt In zwei Beiträgen zur Sprache; In einem Beitrag über das Entstehen des Nationallsmus Im Österreich des 19. Jahrhunderts werden Mechanismen, Probleme und Gefahren einer multikul turellen Gesellschaft aufgezeigt, aus denen gerade das heutige Österreich et was lernen sollte, will es nicht dazu verurteilt sein - um ein vielzitlertes Bonmot zu strapazleren - „die Geschichte zu wiederholen". Der zweite Beitrag befaßt sich mit einer Ausstellung über das 500-Jahre-Jublläum einer der geschicht lich folgenschwersten Begegnungen zweier Kulturen: der Entdeckung Ameri kas. Darüberhinaus Ist dieser Jahresbericht nicht nur für die Mitglieder des Redak tionsteams, sondern für alle Kollegen und Schüler eine - auch selbstkritisch zu verstehende - Jahresbilanz, ein Fortschrittsbericht über ein Jahr Schulaktlvltäten. Für die Schüler sollen die Berichte darüber nicht zuletzt eine persönliche Dokumentation eines wichtigen Abschnitts des eigenen Lebens sein. Zelt zur Zwischenbilanz mag es auch für manche Teilnehmer der HAK für Be rufstätige heißen, von denen viele bald auf vier erfolgreich absvolvlerte Seme ster, das heißt, bereits auf die Hälfte Ihrer doch sehr steinigen Wegstrecke, zu rückblicken können. Auch diese Schülergruppe Ist mit einigen Beiträgen Im Jahresbericht vertreten. Schließlich steht für an schneller und komprimierter Information Interessierte wie Immer Grundinformation über das Blldungsangebotr der BHAK und BHAS Steyr sowie über neue Projekte, wie z. B. die „Neue Handelsschule", zur Verfü gung. Für die Redaktion Mag. Wolfgang Germak
PERSONELLES OSTR Ludwig Hübner 70 Jahre 0Sehr geehrter Herr Oberstudienrat, lieber Ludwig! „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis" - die Zeiten ändern sich - und wir mit ihnen. Es gibt nicht viele, von denen man behaupten kann, daß sie dieses Sprichwort Lügen strafen - Du bist einer aus dieser raren Spezies. Ich kann es kaum glauben, daß Du schon seit fast zehn Jahren in der wohlverdien ten Pension bist. In Pension, nicht im Ruhestand! Als Biologe wohlwissend, daß Rasten Rosten bedeutet, hast Du die Palette deiner Aktivitäten nicht nur nicht verkleinert, Du hast sie verändert und erweitert. Mit ebenso großer Hingabe wie zu Deiner „aktiven" Zeit begannst Du auf einer echten Palette Deine Farben zu mischen, um die Schönheiten dieser Welt nicht einfach vorübergehen zu lassen, sondern um sie festzuhalten und damit tiefer zu erleben. Ich erinnere mich an den Unterricht bei Dir, an Wandertage - die noch Wander tage waren 1 - wo Du uns Schülern die Liebe zur Natur, den Blick für das Schöne, aber vor allem Respekt vor Gottes Schöpfung zu vermitteln trachtetest. Ge nauso hat sich mir Dein Wissen um eine notwendige Symbiose von Natur und Technik zum ökologischen Wohle des Menschen eingeprägt. Als Du in Pension gingst, zogst Du Dich nicht auf ein imaginäres Ausgedinge zurück. Du begannst einen lange gehegten Wunsch zu verwirklichen - das Reisen. Vor zwei Jahren waren wir zusammen mit einer Schülergruppe in Frankreich. Es war einfach schön. Deine Freude zu sehen, wenn Du etwas Neues entdeckt hattest. Vor kur zem fiel mir ein Vers von Eichendorff ein, den er für Dich schreiben hätte können: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt." Ich hoffe, daß Gott Dir noch lange „Neugier" im wahrsten Sinne des Wortes schenken wird. Bei Malern spricht man oft von Schaffensperioden. Ich weiß nicht, in welcher Du Dich derzeit befindest, ich weiß nur, daß Du den richtigen Weg gehst. Du gestaltest Deine Freizeit, Du erstellst Deinen Stundenplan selbst. Du läßt weder gestalten noch einteilen. Du legst das Kapital - die Erfah rung Deiner Jahre - nicht einfach an, Du arbeitest mit ihm. Mögest Du noch viele Jahre Dein Leben so aktiv und ungebrochen weitergehen können und Dich nie zur Ruhe setzen, das wünscht Dir von ganzem Herzen Dein ehemaliger Schüler und Kollege Walter Kargl Im Namen der Schulgemelnschaft der BHAS und BHAK.
HAK-MATURA IM ZW t.. j » ' .>^1 iÄ *" * lA-HAKB 19 Schülerinnen Klassenvorstand: Prof. Mag. Woifgang Staska Von links nach rechts: Stehend : Rainhold Bresimayr, Helmut Wilhelm, Gerhard Algner, Hermann Lelzinger, Josef Slhorsch, Marlanne Kampenhuber, Wolfgang Schlader, Sabina Schörkhuber, Irmtraud RIener, Elfrlede Irsigler, Margit MIßbIchler, Hubert NIkodem, Elke NIß; Hockend: Prof. Staska, Irmgard Riepl, Karin MIchlmayr, Gertraud Huber, Gerda Halder, Judith Stile; Abwesend: Elfrlede Forster f IB-HAKB 22 Schülerinnen Klassenvorstand: Prof. Mag. Kurt Koller Von links nach rechts: Stehend:Thomas Schönherr, Hildegard Samadinger, Karl Pilz, Marlanne Zehetgruber, Glaudia Kerec, Leopold Burghuber, Franziska Möslinger, Monika Hos, Franz Schin nerl, Ingrid Schinnerl, Franz Wieser, Harald Braun, Ingrid Steininger, Prof. Koller; Hockend:WIIhelm Panisch, Brigitte Hochrleser, Renate Kranzer, Gabriele Kalplinger, Daniela KIckInger, Udo Kreuzer, Hubert Nagl, Edith Atzenhofer; Abwesend: Eduard Danls
ITEN BILDUNGSWEG ,. .^■; -. ."v . - ' ' M <a T * Ul w4 , ? ^ «. ■" -. ÄiilÄlJik^'€ IIA-HAKB 21 Schülerinnen Klassenvorstand: OStR Prof. Mag. Dr. Gerhard Haberl Von links nach rechts: Stehend : Andrea Spieler, Wolfgang Hess, Oliver Sikora, Andreas Kubin, Jeanette Eigner, Gudrun Kaiser, Gabriele Mayr, Thomas Pfaff, Gudrun Präuer, Gertrude Buchberger, Wolfgang Catel, Sylvia Rimpfi; Hockend: Eiisabeth Baumgartner, Susanne Derfiinger, Beatrice Aigner, Margret Leonhartsberger, Petra Winckier, Petra Sthui, Waiter Heinrich, Prof. Koiier; Abwesend: Friedrich Reitner, Gerda Walcherberger ff? *#• ■»i *« II B - HAKB 19 Schüierinnen Klassenvorstand: Prof. Dkfm. Mag. Leopold Födermayr Von links nach rechts: Stehend: Kurt Gegenbauer, Manfred Feiiinger, Maria Hagmayr, Monika Auer, Christine Mütter, Ulrike Auer, Claudia Steinmair, Josefine Kittinger, Irene Burger, Petra Wies ner, Gabriele Kitzberger, Maria Riegler, Maria Robiczek; Hockend: Anna Wimmer, Elisabeth Auin ger, Werner Haibmaier, Susanna Gugler, Andreas Gugler, Sabine Wukisiewitsch-Deutschmann
Mit Beginn des Schuljahres 1990/91 eröffnete sich für den Großraum Steyr eine bis dahin nicht möglich gewesene Bildungschance für Erwachsene: „Handelsakademie für Berufstätige unter Einbeziehung von Formen des Fernunterrichts" (HAKB-FS). Dieser für Österreich neuartige Schulversuch stellt eine für die Erwachsenen bildung bestens geeignete Form von Abendschule dar. Dies deshalb, weil eine gute Mischung aus Unterricht einerseits und Eigenstudium andererseits ange boten wird. Die „Normalform" der Abend-HAK, wie sie an einigen anderen Handeisaka demien in Oberösterreich angeboten wird, beinhaltet fünf Unterrichtsabende pro Woche mit je fünf Unterrichtseinheiten, was eine große zeitliche Belastung auch an Fahrzeiten für jeden Betroffenen darstellt. Eine andere extreme Variante, zur HAK-Matura zu geiangen, wäre die auf dem Weg der ExternistenReifeprüfung. Diese ist aber nicht nur mit erheblichen Kosten bei einem Fern lehrinstitut verbunden, sondern hat auch noch den Nachteil, daß die Kandida ten beim Lernen voiiständig auf sich alleine angewiesen sind. Die Abend-HAK in Steyr stellt also gewissermaßen eine ideale Mischform aus den beiden oben angeführten Varianten dar. Einerseits werden die Abend schüler von Lehrern in jedem Gegenstand an nur zwei Abenden pro Woche über acht Semester betreut, andererseits finden die Bildungswilligen genü gend Eigenspieiraum beim Lernen, um in ihrer Freizeit den Fernstudiumanteil bewältigen zu können - noch dazu kostenlos. Außerdem wird auf einen der Er wachsenenbildung gerechten Prüfungsmodus eingegangen. Das Ziel, die HAK-Matura im 2. Bildungsweg zu erwerben, haben im Schuljahr 1991/92 118 Erwachsene in Angriff genommen. Zur Zeit werden 4 Klassen geführt, ab Herbst 1992 kommen noch 2 weitere hinzu. Nähere informationen und Anmeldungen sind jederzeit nach telefoni scher Voranmeldung möglich bei: Prof. Mag. Wolfgang Staska (andragogischer Koordinator), BHAK Steyr, Leopold-Werndl-Straße 7, Tel. (0 72 52) 52 649-13 Grundinformationen zur HAK für Berufstätige finden Sie auf Seite 105 dieses Jahresberichtes.
^Ipp Es ist gut, daß es zu allen wichtigen Dingen auf dieser Welt etwas Gegensätzli ches gibt. Denn der Einseitigkeit könnte ja niemals Einhalt geboten werden, so lange nicht, bis sie sich durch ihre eigene, immer größer werdende Dichte wieder in Nichts auflöst. Gäbe es nur Kälte auf dieser Welt, so würde die Erde sehr bald als riesiger Eis klumpen im All schweben, und alles Leben würde erlöschen. So stellt sich die Wärme diesem theoretischen Gedanken gegenüber und bewahrt uns vor die ser Vision. Schon der etymologische Hintergrund der beiden Substantive Kälte und Wärme läßt etwas Gegensätzliches erahnen. Der harte Gaumenlaut „K" ist we niger verheißungsvoll als das sympathische „W", das ganz vorne und vibrie rend auf den Lippen gesprochen wird und wohltuende Wärme vermuten läßt. Kälte ist ein Zustand des Empfindens oder einer Reaktion in vielen Variationen. So bewirkt der Kälteschock eine Lahmlegung unserer Abwehrkraft, weil sich das Überraschungsmoment die Trägheit unseres Körpers zunutze macht. Grabeskälte läßt einen Kälteschauer über unseren Rücken huschen, wohl des halb, weil für den im Leben stehenden Menschen der Tod das Ende bedeutet, jedoch für viele unter uns eine Erlösung. Letzthin ist Grabeskälte nur ein ab straktes Empfinden, weil Geist und Seele dem Körper entrückt sind und nie mand weiß, wie man sie wirklich verspürt.
Gefühlskälte ist ein strapaziertes Wort, man meint damit einen Zustand zwi schenmenschlicher Beziehungen, die sich im psychischen, mentalen Bereich bewegen. Es gäbe viele Formen der Gefühlskälte zu beschreiben, die aber alle in der gegenseitigen Mißachtung der Menschen liegen. Man könnte nun annehmen, daß die Kälte wirklich nur negative Zustände aus löst, kann man ihr nicht auch etwas Positives abgewinnen? Ich meine, daß genau so, wie Kälte zu Wärme, Tapferkeit zu Feigheit, Leben zu Tod Gegen sätze darstellen, die Kälte in sich etwas Gegensätzliches birgt. Ein Blick in die Natur bestätigt uns dies immer wieder aufs neue, indem sie sich im Winter vor der Kälte zurückzieht, um neue Kraft für die nächste Vegetationsperiode zu schöpfen. Auch der Eisbär hätte schon längst den kalten Regionen der Arktis ade sagen können, wenn er nicht wirklich die Kälte so lieben würde. Viel bequemer hätte es der Schneehase, er bräuchte ja nur die kurze Strecke ins Tal humpeln, um sich unter seine Artgenossen, die Feldhasen, zu mengen. Er tut es nicht, er zieht das karge Leben in den Bergen vor und sucht Schutz in Schneelöchern vor der grimmigen Kälte. Nun, was kann der Mensch der Kälte Schönes abgewinnen? Eben weil es die Kälte gibt, kann er so richtig die Frühlingssonne genießen. Oder der ursächli che Grund für die so angenehme Wärme des Kachelofens ist - die Kälte. Für den Eskimo ist der Kühlschrank ein unnützes Requisit, er spart somit Energie. Zu guter Letzt kann man den Schluß ableiten, daß zwischen Dingen mit großen Gegensätzen auch etwas Gemeinsames, ja sogar eine Abhängigkeit besteht, die in einer Ausgewogenheit endet. Deshalb freue ich mich schon wieder, wenn es bitter kalt wird. Josef Sihorsch, 1A, HAKB-FS
Kindheit so etwas heute überhaupt noch? Ich habe darunter Immer eine gewisse Art von Geborgenheit, eine ausgelassene Fröhlichkeit, spielen und sich freuen, ohne Verantwortung für etwas, verstanden. Aber diese Meinung hatte Ich vor allem, als Ich selbst noch keine Kinder hatte. Nun sehe Ich die Kindheit schon mit anderen Augen, vor allem deshalb, well Ich große Unterschiede zwischen meiner eigenen und der meiner Kinder bemerke. Ich bin mit vier Geschwistern In einem kleinen Ort auf dem Lande aufgewach sen. Die meiste Freizelt verbrachte Ich in unserem großen Garten, dem angren zenden Wald und beim vorbeifließenden Erlauffluß, der mich zu jeder Jahreszelt In seinen Bann zog. Während des Winters versuchte Ich, die Weiden an der Ufer böschung zu roden. Im Frühling konnte Ich es kaum erwarten, endlich eine Zehe In das Wasser zu stecken. Im Sommer war Ich sowieso daraus nicht zu entfer nen, und Im Herbst suchte Ich zum letzten Mal die besten Forellenplätze auf. Na türlich ging Ich auch In die Schule. Aber bei einigermaßen flotter Hausaufgaben erledigung konnte Ich bereits am frühen Nachmittag meinen vielfältigen Be schäftigungen nachgehen. Fernseher hatten wir keinen, ein Auto auch nicht - Ich verlebte meine Kindheit unbeschwert, ohne Streß und vor allem gesund. Ich hatte kein Gramm Übergewicht, war sportlich und Immer zu allen möglichen Späßen aufgelegt. Gemüse und Obst wuchsen Im eigenen Garten, Fleisch hat ten wir aus Omas Hasenzucht, und Hühner besaß damals sowieso jeder. Und Zelt hatten wir Kinder jede Menge. Wenn Ich nur daran denke, wieviel Zelt wir für das Frühstück aufwendeten, staune Ich heute noch. Ich muß damals auch um vieles leichter aufgestanden sein, denn der Weg zur Arbelt (In diesem Fall zur Schule) war gleich weit wie heute, nur mit dem Unterschied, daß Ich Ihn mit dem Rad oder zu Fuß bewältigen mußte. Meine Eltern waren Immer berufstätig. Während Vater eine Wagnerel betrieb, verkaufte Mutter die Erzeugnisse In einem kleinen Geschäft so recht und schlecht, denn Geld hatten wir nie besonders viel. Aber die Großeltern, mit de nen wir gemeinsam Im Haus wohnten, unterstützten uns so gut es nur ging. Oma versuchte mich zu erziehen, was Ich mir nur widerstrebend gefallen Heß, obwohl Ich nachträglich sagen muß, daß es Ihr einigermaßen gelungen Ist. Aber Im großen und ganzen war Ich sehr viel auf mich allein gestellt, wurde dadurch auch bald selbständig und ging schon sehr früh meine eigenen Wege.
Wie viel anders sieht das aber bei meinen Kindern aus. Sie wachsen schon in einer ganz anderen Umgebung auf, sie gehen Beschäftigungen nach und zei gen Interessen, die mir in diesem Alter eher fremd waren. Meine Tochter Silvia besucht derzeit das Bundesrealgymnasium. Sie verläßt um 6.30 Uhr unser Haus und kommt frühestens um 13.40 Uhr wieder zurück. Nach einer kurzen Mittagspause, die wir rasch zu einem Gespräch nützen, macht sie ihre Schul aufgaben, und wenn sie auch noch lernt, ist sie frühestens um 18 Uhr fertig. Wieviel Zeit hat sie dann noch zum Spielen? Denn 14-jährige sollten sich auch noch mit Politik, Kultur und Umweit beschäftigen. Sie sollen Probleme erken nen, sie zu lösen versuchen und mit anderen darüber diskutieren. Vernunft ist gefragt, Gefühle stören eher und beeinflussen die gewünschte Entwicklung des Jugendlichen zu einem kühlen, überlegt handelnden Menschen. Das beginnt schon im Kindergarten, wo man mehr und mehr dazu übergeht, Vorschule zu sein und den Kindern Lernen lehrt, anstatt ihre Gefühle zu fördern und ihnen den Umgang mit ihren Mitmenschen zu zeigen. Tausche Informationen gegen Sentimentalität, Berechnung gegen Mitgefühl, Vorteil gegen Hilfe; so sollte die Kindheit wahrlich nicht aussehen. Obwohl sich meine Frau und ich sehr bemühen, unsere Kinder zu gefühlvollen und toleranten Menschen zu erziehen, können und dürfen wir sie aber nicht von der Realität entfernen. Schließlich müssen sie in ihrer Zeit leben können und das Beste daraus machen. Leider sind sie als tolerante und rücksichts volle Kinder manchmal benachteiligt, da sie nicht in allen ihrer Handlungen den eigenen Vorteil in den Vordergrund stellen und sie sich den Luxus gönnen, als Kind zu urteilen und zu handeln. Doch weiß ich, daß ihre Kindheit dadurch we niger berechnend und nüchtern und weniger kalt und einsam ist, da sie durch diese ihre Lebensart viele Freunde gefunden haben. Auch das bewußte Zu sammenleben in einem Familienverband mit den Großeltern zeigt ihnen, daß gegenseitiges Ernstnehmen, Toleranz und gelegentliches Nachgeben sicher lich mehr Lebensfreude bieten und größere Werte darstellen können, als Ego ismus und Selbstverwirkiichung, Gewinnstreben und das Bemühen, immer der Erste sein zu müssen. Leider werden aber gerade diese Werte schon in der Kindheit von der Umwelt als vorrangig angesehen. Ich wünsche mir, daß auch meine Kinder mit Freude und Zufriedenheit auf ihre Kindheit zurückblicken mögen und daß wir ihnen auch in dieser so berechnen den Zeit die Grundlage für eine kindergerechte Entwicklung geben können. Haben meine Eitern eher versuchen müssen, die materielle Grundlage für mich zu schaffen, muß ich mehr den Mangel an Menschlichkeit und an Gefühlen ausgleichen. Sollte das gelingen, werden meine Kinder ebenfalls von einer glücklichen Kindheit bzw. überhaupt von einer Kindheit sprechen können, in der sie, bewahrt vor Unsinnigkeiten und Gefahren, unbeschwert heranwach sen konnten. Für mich heißt Kindheit, Kind sein zu dürfen und sich auf die Eitern verlassen können. Das will ich meinen Kindern schenken. Harald Braun, iß, HAKB-FS
Warten inn Regen fällt vor mir in den Straßenstaub. Aber er zerplatzt nicht - scheint irgendwie woanders hinzustre ben - zittert, wird breiter und plötzlich vom Staub aufgesogen. Weitere Trop fen gesellen sich zu ihm, tönen den Staub dunkler. Seite an Seite prasseln jetzt unzählige Regentropfen laut nieder. Beim ersten Aufprall auf den Asphalt springen sie erschreckt zurück, überrascht, erstaunt von der Härte des Stra ßenbelages, fallen schließlich entmutigt zu Boden, treiben unaufhaltsam dem Kanal zu, entwischen meinen Blicken. An der nahen Haltestelle bleibt kreischend eine Straßenbahn stehen, speit müde und abgehetzt wirkende Menschen aus, die ihre aufgestellten Mantelkrägen noch enger fassen, ihre Schirme hochreißen und fluchtartig davonstürzen. Sogar die Autofahrer scheinen, trotz schützender Karosserie, dem hefti gen Regenguß entkommen zu wollen, fahren noch schneller als sonst, pflügen durch die Pfützen, erzeugen schmutzig-braune Fontänen. In einem kleinen Vorgarten neben der Straße bringt ein sturzbachartiger Was serschwall aus der Regenrinne die Wassertonne endgültig zum Überlaufen. Eine Amsel, die mit ihrem Schnabel im aufgeweichten Blumenbeet nach Wür mern gepickt hat, sucht plötzlich, durch irgendetwas aufgeschreckt, laut und erbost zeternd, Zuflucht im schützenden Laub des Kastanienbaumes. Ein leichter Windhauch trägt den Geruch von erdiger Frische und Klarheit vom Garten zu mir. Allmählich verlieren die Tropfen ihre Plumpheit, der Regen seine Gewalt, es lichtet sich der dichte Schleier, der die Umgebung in helles Grau getaucht hat, gibt den Blick frei für die vom Regen mit glänzendem Schimmer überzogenen Dächer, Straßen und Bäume. Langsam verebben die Geräusche des Verkehrs, der Geschäftigkeit, der Hek tik. Und das sanfte Gleichmaß des Regens verbreitet wohltuende Ruhe und Gelassenheit. „ Renate Kranzer, IB, HAKB-FS
RAHMENTHEMA: Multikulturelle Gesellschaft LEHRERBEITRÄGE Internationale wissenschaftliche Kooperation am Beispiel CERN Die Zeit der wissenschaftlichen Pioniere und Universalgenies scheint der Ver gangenheit anzugehören. Während z. B. Galileo Galilei und Isaac Newton noch auf mehreren wissenschaftlichen Gebieten wesentliche Entdeckungen und Erfindungen machten, ist moderne wissenschaftliche Forschung nur durch Zusammenarbeit von Experten und Spezialisten auf breiter Basis möglich. Auch die Finanzierbarkeit von Großprojekten erfordert eine internationale Ko operation. Als Beispiel dient das Super-Protonensynchrotron (SPS) im GERN, dem euro päischen Zentrum für Elementarteilchenphysik. Es liegt nordwestlich von Genf an der schweizerisch-französischen Grenze. Diese großen Beschleuniger sind die wichtigsten Forschungseinrichtungen der Teilchenforschung und Hoch energiephysik. In ihnen werden Elektronen oder Protonen durch elektrische Felder auf hohe Energie beschleunigt. Treffen diese Teilchen auf feste Objekte, so wird ein Teil der Bewegungsenergie in Masse umgewandelt, und neue Teil chenarten werden erzeugt. Schon der griechische Philosoph Demokrit (um 420 v. Chr.) überlegte, was passieren würde, wenn man einen Gegenstand in immer kleinere Teile zerle gen würde. Irgendwann, so schloß er, müsse es eine Grenze geben, wo man die Bausteine der Materie nicht mehr weiter zerlegen könne. Er nannte diese kleinsten Teilchen „Atome", die Unteilbaren. John Dalton konnte im vergangenen Jahrhundert mit den Reaktionsgesetzen der Chemie die Existenz der Atome begründen. Ernest Rutherford gelangte durch Versuche zu der Erkenntnis, daß das Atom aus einem positiv geladenen Atomkern und einer negativen Hülle aus Elektronen besteht. Im Jahre 1932 glaubte man, damit das Rätsel des Aufbaus der Materie gelöst zu haben. Lei der war diese einfache Ansicht über die Urbausteine der Materie unhaltbar, da im Laufe der Zeit ständig neue, zusätzliche Teilchen entdeckt wurden. Diese Teilchen sind sehr kurzlebig und entstehen nur bei sehr hohen Energien. Aus diesem Grund begann man, Geräte zu bauen, die Teilchen auf hohe Ener gien bringen können, mit anderen Worten, Teilchen schnell machen; Teilchen beschleuniger. Das größte Synchrotron der Welt wurde 1976 im GERN bei Genf in Betrieb genommen. Am Bau und am Betrieb sind 12 europäische Staaten
beteiligt; unter anderem auch Österreich. Von dem Synchrotron kann man nur die Laboratorien und die Verwaltungsgebäude sehen. Der 7 km lange Be schleunigerring liegt nämlich in einem 4 m breiten Tunnel etwa 40 m unter der Erde. Hier kreisen die Protonen in einem Vakuumrohr aus rostfreiem Stahl mit 10 cm Durchmesser. Sie werden in 3,5 Sekunden fast auf Lichtgeschwindig keit beschleunigt. In dieser Zeit durchlaufen sie 150.000 mal den Ring. Um die Protonen auf der Kreisbahn zu halten, sind Elektromagnete notwendig. Aus der Relativitätstheorie von Einstein folgt, daß die Masse der Protonen während der Beschleunigung ansteigt und schließlich V ' das 400fache der Ruhemasse des Protons I _ W. erreicht. Die Leistungsaufnahme der ElekI oSx. ^ tromagnete beträgt, bedingt durch die MasI HI^I senzunahme der Protonen, 135 MW, was I der Leistung eines mittleren Kraftwerkes Hr entspricht. Treffen diese schnellen ProtoI V nen auf ruhende Teilchen, so wandelt sich V VW die Energie des Aufpralls gemäß der Ein- ^ steinschen Formel E = m x c^ zum großen Teil in Masse um, das heißt, es entstehen L viele neue Teilchen. Die Spuren dieser Teilchen können in riesigen Detektoren sichtbar Alben Einstein lieferte mit seiner Re- gemacht werden. Man kennt heute bereits latlvitätstheorie die Grundlage für etwa 200 verschiedene Arten dieser kurzledas Verständnis der Telictienphysik. ^igen Teilchen, SO daß sich die ursprüngli che Hoffnung auf einen einfachen Aufbau der Materie aus nur drei Elementar teilchen völlig zerschlagen hat. Durch den Bau von noch größeren Beschleunigem, wie dem im Gern in Bau befindlichen Synchrotron mit über acht Kilometern Durchmesser, ist zu erwarten, daß die Elementarteilchen noch weiter zerlegt werden. Aber wird die Suche wohl ewig weitergehen? Werden wir irgendwann an einen Punkt kommen, wo wir sicher sein können, daß es nun wirklieh nichts Kleineres mehr gibt? Diese Spuren von Teilchen, die durcfi den ZuFragen führen auf philosophische Pro- sammenstoß von Protonen mit ruhender bleme, die bereits Kant bekannt waren: Materie entstehen. Kann man Materie immer weiter zerlegen, bis man zu einem mathematischen Punkt ohne Ausdehnung kommt? Dann versteht man aber nicht, wie ein sol cher Punkt Masse tragen kann. Immer wenn man auf solche Paradoxien stößt, ist das ein Zeichen dafür, daß man sich mit neuen, fundamentalen Fragen be fassen muß. Die Physiker der nächsten Generationen scheinen herausgefor dert zu sein. Mag. Heinz Peciie Spuren von Teilchen, die durch den Zu sammenstoß von Protonen mit ruhender Materie entstehen.
NATIONALISMUS- destruktive Kraft in der österreichisch-ungarischen Monarchie 1848 bis 1918. Die Entstehung des Vielvölkerstaates D>e lA.ihtnt-crjiisciic Miri. .bis i 1 rii' Die habsbafiiiScSc „Merfscbai: lu 0*ifif«ich" bis tSCi' .c.hne ViTunJe Die Efj.etbiing«n uet deiii«chen Lini H.isiSC! Uibsbutg bis Ui"') rr ecer - S c h I eN i e ni V-» Venetien Bosnien Bis zum Jahre 1526 stellte Österreich ein fast völlig geschlossenes deutsch sprachiges Gebiet dar, das nur Im Süden schmale anderssprachige Sied lungsgebiete aufwies. Die durch die Heiratspolitik Kaiser Maximilians I. be dingte Erbschaft Westungarns und Böhmens brachte den Eintritt von Tsche chen, Slowaken und Magyaren In den habsburglschen Länderbereich. Die Südostexpansion nach den siegreichen Türkenkriegen Im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert trieb den slawischen Bevölkerungsanteil sprunghaft In die Höhe (Ungarn, Siebenbürgen, Slowenien, Kroatien, Banat). Der Aufstieg Österreichs zur habsburglschen Großmacht war damit besiegelt. Zwar beeinträchtigte der Verlust von Schlesien 1742 an Preußen die Wirt schaftskraft Österreichs, doch es bestand seither eine Völkerfamilie mit 14 Na tionen und ca. 50 Millionen Menschen (um 1900).
Die Donaumonarchie war nach Rußland flächenmäßig der zweit größte Staat Europas, der Bevöl kerungszahl nach der drittgrößte. Die Dynastie der Habsburger stellte eine starke und entschei dende Kraft dar, die es verstand, die Völkerfamilie an der Donau zu sammenzuhalten. Tatsächlich ist die überragende und prägende Rolle von Maria Theresia (1740-80) nicht zu übersehen. Auf der ande ren Seite haben die unpopulären Reformen Josephs II. (1780-90) große Bevölkerungsteile gegen ihn eingenommen. Vergleiclieiuic Cirößcnvorhältiiisse der Nationalitäten Österreich-Ungarns. I Deutsohe 11.730.000 = d. lIcTiilk. V. ÖBterrulch UngarTI I)echen, Mähreru. Slovakeii 7,920|fl()l) ~ /fi-n"/, Serben u. Kroaten 1 5.2r)0.0(lll ^ : 11-20' L 4.230.000 I I 'Rumäneakl 020.000 — ö- r% Siovenen 1,275,000 .— I .} ItalienerSOO.OOO Andere 0 - ^111 |ijg3 'scneaiEN Slowenen Sii — -j )'OLeN ; J MAÜYAHtN ^lliU RUTHENEN Rumänen Kaiser Franz Joseph (1848-1916) Als der junge Kaiser Franz Joseph kurz vor Weihnachten 1848 die Regierung antrat, war viel von dem Vertrauenskapital der Habsburger verzehrt. Er fühlte sich inmiteiner unaufhaltsam vorwärts drängenden Zeit der Vergangenheit verbunden und erneuerte den Regierungsstil des 17. und Im ^ Jahrhunderts. Die dominierenden Zeit- ^ Strömungen wurden genährt von der Aufklärung, der Frühromantik, dem romantisehen Nationalismus und dem Frühsozialismus, wobei in Österreich besonders der Mfy Nationalismus mit seinen auseinanderstrebenden politischen Kräften und der Konsti tutionalismus beherrschend waren. Obwohl Kaiser Franz Joseph von einer beachtlichen Zahl großer Persönlichkei ten umgeben war, ließ er keinen Ratgeber unmittelbar an sich heran. Längst fäl lige Zugeständnisse ließ er sich nur zögernd - nach den außenpolitischen Nie derlagen von 1859 und 1866 - abringen. So entstand in der Donaumonarchie eine politische Atmosphäre der Unentschlossenheit und der Ungewißheit, des Zauderns und des Versagens, obwohl doch gerade die franzisko-josephinische Epoche einen Zeitraum wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und künstlerischer Erfolge darstellt.
Die große historische Tragik seiner jahrzehntelangen Herrschaft lag darin, daß es ihm nicht gelang, die Völker der Monarchie gemäß Ihren nationalen Sonder bestrebungen verständnisvoll zu koordinieren, und daß er sich der Umwand lung Österreichs in einen modernen Verfassungsstaat so lange widersetzte, bis es für eine nationale Verständigung und für einen echten Parlamentarismus zu spät war. Der Nationalismus in Österreich: „Herrenrassen" und Diskriminierung • .'l Vjn'; ) In der 2. Hälfte des ilfiilfriirr ilfuiiiirr iii linuurii. 19. Jahrhunderts deutschen Völkern wurde als oberster angesehen, ^ Habsburgern ge genüber als untergeordnete Pflicht oder sogar nur als notwendiges Übel. Das Hauptproblem und die Ursache des Zerfalls bestehen darin, daß die Vertreter der großen und „historischen" Nationen, die Deutschen und die Ungarn, sich als „Herrenrasse" gegen die vielen kleineren Nationalitäten aufspielten. Be sonders nach dem Ausgleich 1867 wurde die große nationale Empfindlichkeit der Slowaken, Kroaten, Rumänen, Tschechen u.a. überstrapaziert. Die Vertre ter der kleinen Nationalitäten beanspruchten für Ihre Nationen einen Platz Im politischen Leben, der der tatsächlichen Entwicklung noch nicht entsprach. Dazu kommen noch die gewaltigen sozialen und ökonomischen Probleme und Gegensätze des 19. Jahrhunderts. Lösungsversuche: Ausgleich oder „Vereinigte Staaten von Österreich"? Im Absolutismus und auch Im ersten Jahrzehnt von Kaiser Franz Josephs Re gierung wurde jede nationale Regung mit eiserner Faust unterdrückt. Erst die Niederlage 1859 in der Lombardei ließ Ansätze zur Lösung des drängendsten Problems zu. Im Oktoberdiplom 1860 und im Februarpatent 1861 wurden ein seitig die Ungarn bzw. die Deutschen bevorzugt. Ein innerer Umbau Österreichs erfolgte erst nach der Niederlage von Könlggrätz 1866, als dessen direkte Folge mit den Ungarn der Ausgleich unterzeich net wurde (1867). Österreich bestand seither aus zwei Reichshälften: Zisleithanien, die westliche (österreichische), und Translelthanien, die östliche (un garische) Reichshälfte.
V W V 1 Franz Josef, zwischen Österreich und Ungarn auf einem Seil balancierend. Französische Karikatur, 1913. Von besonderer Tragweite war es jedoch, daß es den zisleithanischen Regierungen nicht geiang, nach 1867 auch einen Aus gleich mit den Tschechen zu schiießen. Ein Konzept dazu existierte, doch es wurde nicht vom Kaiser ratifiziert (1871). Die Poiitiker des ungarischen Ausgieichs werden zu Recht ais die „Totengräber der Monarchie" bezeichnet, da sie einseitig die Deutschen und die Ungarn als „Herrenras sen" erwählt hatten und die 12 anderen Nationalitäten diskriminierten. Tschechen 22% TI'^ Die Nationalifäien Cisleitlianiens (in Prozenten) Bevölkerung. f27,9Mill.) Die Nationalilälen Österreich-Ungarns Slowaken 11 % , < ?■ Jr jf -.c -j-y «iW . -V« i r ►. Oie Malionalilaten Transieithantens (in Prozenten) Bevölkerung: (I8M1II.) Danach wurde der Nationalitätenstreit immer ieidenschaftiicher. Die Arbeit im Reichsrat kam zeitweise überhaupt zum Eriiegen, da die nationaien Abgeord neten eine neue „Waffe" entdeckten: die Obstruktion. Mit stundenlangen Reden, Anträgen auf zeitraubende Abstimmungen, Lärm szenen, Auszug aus der Sitzung, um deren Beschlußunfähigkeit zu bewirken, bis hin zu Schiägereien kamen vieie Regierungen zu Fali. So gab es in der westlichen Reichshäifte zwischen 1861 und 1916 27 Kabinette mit 157 Mini stern, manche nur für wenige Tage.
Lärmszene der Jung tschechen im österrei chischen Reichsrat IT" 5äift<r Don bfr flfPrigen §i|ung im Aßgcorbufltn^aufr. nicht erreicht wurde. Die Sprachenverordnung 1897 für Böhmen verursachte in Wien schwere Straßendemonstrationen, sodaß schließlich die Regierung nur mehr mit Notverordnungen agieren konnte. Dem Anwachsen der großserbi- ^äifber Don bfr flfPrigen 5i|ung im .Aßgcorbnfltnßauff. . . sehen Bewegung in Bosnien ^ Dalmatien wollte der ^ Thronfolger Franz Ferdinand durch den Trialismusentgegenwirken; die Südslawen sollten ihre Selbständigkeit im Rahmen der Gesamtmonarchie erhalten. Staaten eine bundesstaatliche Verfassung vor. Gegen diese Deutschen, Ungarn und der I mMW Kaiser-und die Serben, die dadurch ihre eigenen Piäne durch kreuzt sahen. Die Regierung In Serbien wollte eine Vereinigung aller südslawischen Gebiete der Donaumonarchie mit dem eigenen Staat zu „Großserbien" mit allen Mitteln - auch mit Gewalt - durchsetzen. Sie wußte Rußland als Schutzmacht hinter sich. Am 28. Juni 1914 fielen die tödlichen Schüsse auf den Thronfolger Franz Ferdinand, wodurch der 1 .Weltkrieg ausgelöst wurde. Kaiser Karl wollte 1916 mit seinem Konzept der „Vereinigten Staaten von Österreich" das Schlimmste abwenden, doch damit kam er um ein halbes Jahrhundert zu spät. Der Krieg brachte keine Lösung des Nationalitätenproblems am Balkan, son dern nur eine Verlegung ans Ende des 20. Jahrhunderts, wo man ebenfalls mit Gewalt eine Lösung sucht. Mag. Katharina Uibrich
SCHÜLERBEITRÄGE In unserer Klasse sind 28 Schüler, davon 3 Jugoslawinnen. Manche von uns traten Ihnen zu Beginn etwas skeptisch gegenüber und hatten somit Schwie rigkeiten, Kontakt mit Ihnen zu knüpfen. Es wurde viel über sie gesprochen, und manche störte es, daß sich die Mädchen untereinander in Ihrer Muttersp rache unterhielten. Auch hatten einige Vorurteile und setzten sie als hochnäsig herab. Langsam lernten wir uns besser kennen und sahen ein, daß Samka, Jasna und Biljana durch eine andere Erziehung und Mentalität eine andere Ein stellung zu vielen Dingen hatten. Aus ihren Erzählungen bekamen wir Ein drücke von ihrer Heimat, Religion und Ihren strengen Sitten. Dadurch konnten wir uns ihre manchmal seltsamen Verhaltensweisen erklären. Ausländerfeind lichkeit scheint in unserer Klasse jedoch nicht zu existieren. Auch von den Leh rern werden sie nicht bevorzugt und müssen dieselben Leistungen erbringen. So gut werden bestimmt nicht alle Ausländer aufgenommen, und viele müssen die „schmutzige" Arbeit ausführen, für die wir Österreicher uns zu gut sind 1 Aus Profitgier stecken manche Inländer die Zugereisten zu zehnt in eine winzige Wohnung und verlangen dafür horrende Preise. Hohe Mieten und niedrige Löhne führen zu kriminellen Handlungen. Darüber können wir dann seiten lange Berichte In Zeitungen lesen, die zur Förderung der Ausländerfeindlich keit beitragen. Warum werden aber vor allem Menschen aus Afrika, Jugosla wien und der Türkei als „Niger, Tschutschen und Kümmeltürken" be schimpft??? Engländer, Franzosen und Amerikaner werden viel eher gleichwertig behan delt, ohne Beschimpfungen übersieh ergehen lassen zu müssen. Unsere Vor urteile konnten wir durch die Bekanntschaft mit Jasna, Samka und Biljana ab bauen, da wir bereit sind, sie als Persönlichkeit mit etwas anderer Mentalität zu akzeptieren! Alexandra Steiner, Manuela Zeder, le Schulkollege Ausländer Ich wäre sehr froh, als Österreicherin ein paar ausländische Schüler als Klas senkameraden zu haben. Aber obwohl ich selbst Ausländerin bin, weiß ich, daß es schwer ist, als Ausländer von den anderen akzeptiert zu werden. Doch man kann es mit einigem Willen schaffen, gut Deutsch zu sprechen und har sche Worte, wie „Wären die Österreicher, gingen sie natürlich schon längst aufs Gymnasium" oder „Der stinkt, neben dem mag ich nicht sitzen", gar nicht ernst zu nehmen. Dort, wo die Quartiere dürftig und die Mieten niedriger (und dennoch maßlos überhöht) sind, leben naturgemäß auch viele Gastarbeiter, die sich nichts Bes seres leisten können. Auch Ausländer müssen sich ihr Brot schwer erkämpfen.
Sie arbeiten, wo immer sie einen Job kriegen, egal, ob er dreckig oder gefähr lich ist. Ich finde, man sollte Menschen unterstützen, die Hilfe brauchen, be sonders jetzt, wo Krieg in unseren Nachbarländern herrscht. Die angespannte Lage im ehemaligen Jugoslawien, dem einst so beliebten Ur laubsland der Österreicher, läßt heute jeden kalt. Jugoslawien zerfällt. Men schen töten. Und werden getötet. Männer ziehen in den Krieg, nehmen den Gegner ins Visier und schießen. Mütter weinen um Kinder. Frauen bangen um ihre Ehemänner. Krieg in Jugoslawien. Nur wenige Meter von der Grenze zu Österreich entfernt herrscht Chaos. Unschuldige Menschen sterben für ihr Va terland. Ist dieses Elend notwendig? An der Grenze zum Krieg. Man sollte das nicht einfach über sich ergehen las sen, sondern überlegen, auch wenn Politik kaum jemanden interessiert. Man muß die Menschen so nehmen, wie sie sind, und nicht, von wo sie sind oder wie sie aussehen. Kovacevic, Ic A-Cyl ^ QiQyi> /Lo£'C( cdeA, J^'^oCvin. A'WA.oi. . , J'cc a'Vci/iiCtn. ^ AU .^uIuaua. AoCitvt- Aq£<xuj()e*A. ^ hiha. ^ lXaXkaX ^/fwj ASl<A.^oO-e^AyCi_ 'CXu'yiAA^ Oiü (JaJxÜ - '(AiXwnMa.. cAAkA. A'VtA yQiSiuAL AnSAtAii AALccCid oia ^AMXfyytguXCiA CUl^ OCiaa AA>eA. A&n^l „^tuAaA OLü ^xAOuxX.x ^ 4a^ AAJeA, ^ idce cAua, - (^^UioUA- ^ ■euk GkyUAAMA>ßttA aÄA AuXl. oUa. I^uA OtOi-fclA ■ oIäsÄ^ ijAXetM^^ AtvuA /VUxAa aauua. oOuchi^ / Ad ^v<AJö(Ma. /iioCtdtcdiA ■'Ö€AAZ£iX4-. ^iuM. CovWiA. A&.LiyyiC^AlXiiLOcJdlAA. ^<a/yUvL'0€<M\ f <44 (A> OMn. xAm CciA/u^ -^u. aäXka - "UaIüL /y^lÜiAyiA^ LAu^^St<nV(£A 6u,mv\ 0(eA<yA<2XX aPOit^ ßiXl ySUAO(tAJA ^ /QL&naiA. A^<£vi- AA-Avi oXAt xAoai-Ca^^uAia tCSA AvM£a 0(eA. füAGd ^ AO^LAH^z, RaUS (^v:A<2MA-UiA eciA£4/L Xu. -UocXudUu^ . -cTkl /rüovü(M^ AcXcßtl cde 6c^ tA<-uX(SÄ/i<XSA. ^^££t4 iCU.y' oUi fjtie-öSAyfe ><^6^r(ftc^ a&Ma /tveu4A ^ euA 4KAeAAAc£ÜAAXieK Si4XctX6' ■&Üa^ AtXlrL /^e- uas^aMjiu.. /<X^ CiyiASUTT.
'hk>A,-^^x ^okjcZwiA, ^-hävi eo A^MtA/iZfM^ . -cfoJ A')k>dk£<^cl\ rf^eAjicA4 ? /PcxiioLi ^ AVCvu^ /IiHjSm. /^lo(a. 4>'luA CM^T^O u-vis&re TXAoMMvl ^ A'ViZ/iOLt An^Six^ X^-wo ^M?fcvuj^/2'<^vuO Vv^^Rll #rji I» j Mill Samka Dudakovic, Biljana Kovacevic, Meine Eltern sind aus Jugosla wien, besser gesagt, aus Bos nien und Herzegowina. Dieses Land kenne ich nur aus dem Urlaub. Fast alle meine Ver wandten leben dort. Ich sehe sie nur zweimal Im Jahr, manchmal auch gar nicht. Für mich sind es fremde Leute. Ich kenne sie nur von ihrer freund lichen Seite, doch ich weiß nicht, wie sie reagieren, wenn sie zornig sind oder wenn sie irgendwelche Probleme ha ben. Früher dachte Ich, daß zwischen meinen Eltern und meinen Verwandten gar keine familiäre Beziehung mehr be stehe, doch jetzt, als der Krieg anfing, habe ich meine Mei nung geändert. Die Schwester meiner Mutter meldet sich mehrmals Im Monat und be richtet über die Lage in Bos nien. Immer, wenn das Telefon Jasna Cehacic, le klingelt, zucken mein Vater und meine Mutter zusammen. Angst, Traurigkeit und Entsetzen stehen meinen Eltern Ins Gesicht geschrieben. Meine Tante berichtet über weinende Kinder, die hilfslos und alleine neben ihren toten Eltern liegen, über Menschen, die ein Bein oder einen Arm verloren haben, und über Tote, die unter Trümmern be graben sind. Gibt es keinen vernünftigen Ausweg aus diesem sinnlosen Krieg? Hilferufe werden gesendet, werden abgeblockt. Es folgt eine Sitzung nach der anderen.
doch keiner unternimmt etwas. Waffenstiiistände werden vereinbart, aber nicht eingehaiten. Es scheint, ais ob keiner mehr die Kontroiie über diesen Krieg hat. Jeder handelt auf eigene Faust. Haben die Menschen aus den vori gen Kriegen nichts gelernt? Es wird keinen Gewinner, sondern nur Veriierer geben. Unter meinen Freunden verbreitet sich eine bedrückende Stimmung. Wir ha ben Angst, wie sich die Situation weiter entwickein wird! Die meisten meiner Freunde sind Kinder von Ausiändern, die sogenannte „2. Generation". Unter uns herrscht eine sehr gute und feste Beziehung. Unser Motto lautet: „Einer für alle, alle für einen!" Aiie meine Freunde kenne ich seit meiner Kindheit, wir sind zusammen aufgewachsen und haben schon viei Lustiges, aber auch Trauriges zusammen eriebt. Man kann nicht sagen, daß uns nur eine Freundschaft verbin det, NEIN, in gewisser Weise haben wir alie dasseibe Schicksai. Wir ieben zwi schen zwei Welten und wissen nicht, wo wir hingehören. Die meisten sind zwei sprachig aufgewachsen, doch keiner kann sich erinnern, weiche Sprache er zu erst erlernt hat. Deutsch oder Serbokroatisch. Hier in Österreich sind wir Fremde, aber auch in dem ehemaiigen Jugoslawien. Man kann sagen, daß wir heimatios sind. Diese Tatsache schmerzt uns sehr, doch ich hoffe, daß wir irgendwann un sere Heimat finden. Samka Dudakovic, le Meine Vorfahren stammen aus einem Land, das sich bis vor kurzem Jugosla wien nannte. Dieses war ein Land aller südslawischer Völker, wie Kroaten, Ser ben, Mosiems, Mazedonier, Montenegriner, Siowenen und anderer Kleinvölkergruppen, die in einer Gemeinschaft 45 Jahre unter dem kommunistischen Regime lebten. In dieser Zeit der kommunistischen „Ordnung", unter Titos Dik tatur, mußten sie ohne Rücksicht darauf, ob jede Republik dies woiite, eine Ge meinschaft biiden. Niemand, auch nicht bedeutende Politiker, wagte sich soich einer Herrschaft zu widersetzen. Anderenfalls wären sie im Gefängnis gelandet oder sie wären spurios verschwunden. Nach dem Tod von Tito, ais der Kommunismus immer mehr an Macht verior, öffneten die Menschen die Augen und sahen ein, daß solch eine Ordnung und eine solche Planwirtschaft immer mehr hinter den westiichen Ländern zurückbieiben müsse. Eine bedeutende Reform wurde eingeieitet. Das hat zu einer komplizierten Situation geführt, nachdem einige Repubiiken (Serbien und Montenegro) die alte Ordnung in Jugoslawien beibehalten wollten, da sie von dieser den meisten Profit hatten. Manche Repubiiken haben sich energisch dagegen gewehrt, und es kam zum Krieg zwischen den demokratisch gesinn ten Menschen und den kommunistischen Serben. Diese hatten auch die bis her sehr starke Armee auf ihrer Seite, doch die Macht der Armee wurde mit der Zeit immer schwächer, da viele Soldaten diese veriießen. Nachdem Kroatien und Slowenien von einigen Ländern anerkannt wurden und sich die Armee aus
den Republiken zurückzog, „belagerte" sie das „Pulverfaß" Bosnien und Her zegowina. Dort ist die Lage zur Zeit sehr kritisch, weil die Mehrheit der Men schen (60% der Moslems und 17% der Kroaten) eine Lösung bzw. Unabhän gigkeit von Jugoslawien will. Die Serben sind wütend, denn sie rechneten fest damit, daß Bosnien keinen Widerstand leisten würde und sie es ohne große Kämpfe besetzen könnten. Doch es kam ganz anders. Viel zu lange wurden die Moslems von den Serben unterdrückt, und nur eine geringe Anzahl von Politi kern war im Parlament vertreten. Serben waren Direktoren, Firmenleiter, Leh rer, also an allen wichtigen Stellen. Dies änderte sich 1991, als man bei einer Volkszählung die Mehrheit der Moslems feststellte und Bosnien einen Moslem zum Präsidenten wählte. Für die Serben bedeutete dies das Ende der Allein herrschaft. Jetzt fühlen sie sich immer und überall unterdrückt. Und so began nen die Streitigkeiten zwischen den Volksgruppen ... Jasna Cehajic, le Magdalena - die Geschichte einer Ausländerin Es war Mittwoch, 8 Uhr abends. Sie stand auf der Brücke und starrte endlos lange in den Fluß. Sie, das war Magdalena, 24 Jahre alt, hübsch, zivilisiert und Ausländerin. Sie war Türkin und vor fünf Jahren nach Österreich gekommen. Die türkische Herkunft konnte sie, trotz der westlichen Kleidung, die sie trug, nicht verbergen. Schon öfters war sie von ausländerfeindlichen Menschen be schimpft oder gedemütigt worden. So auch an diesem Mittwoch, an dem Magdalena beschloß, in Zukunft nicht mehr so ein Leben zu führen. Sie hatte die Beschimpfungen satt, sie wollte ihren Frieden haben, und sie glaubte ihn in den Wellen des Flusses zu finden. Sie kletterte gerade auf das Geländer, als ein Wagen neben ihr stehenblieb, und er ausstieg. Er, das war Joe, ein Barbe sitzer und Österreicher. Magdalena war irritiert von dem Fremden, der jetzt langsam auf sie zukam. Joe redete beruhigend auf sie ein, und er schaffte es, daß sie wieder herunterklet terte. Als sie schon wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, sprach er noch immer mit ihr. Sie redeten ziemlich lange miteinander, dann nahm Joe sie am Arm und fuhr mit ihr in sein Pub, den Jazz ölub, und gab ihr erst einmal Tee zu trinken. Während Magdalena den Tee trank, erzählte sie ihm, warum sie sich umbringen wollte. Joe war nicht ausländerfeindlich, er hatte selbst eine Polin in seinem Pub eingestellt, und so bat er Magdalena, eine Zeitlang für ihn als Bar dame zu arbeiten, als sie ihm erzählte, daß sie seit zwei Monaten keine Arbeit mehr hatte. Und so begann ein neues Leben für Magdalena. Sie half Joe in seinem Pub, und mit der Zeit bekam sie sogar wieder ein bißchen Selbstachtung. Ihr Auftre ten im Lokal wurde immer selbstsicherer und mutiger. Eines Abends - sie hatte ihren freien Tag, war aber trotzdem im Jazz ölub - war es allerdings an-
ders als sonst: Sie saß gerade am Tresen und starrte in den Barspiegei, als ein Augenpaar ihren Bück gefangen hielt. Dieses Augenpaar gehörte einem jun gen Mann, der eine Minute später neben ihr stand und sich mit ihr unterhielt, in ihrem gebrochenen Deutsch antwortete sie ihm. Ais der Mann immer mehr ge trunken hatte und schon ziemlich angeheitert war, fing er an, Magdalena zu be schimpfen, weil sie Ausländerin war. Von der freundlichen Unterhaltung von vorher war nichts mehr vorhanden. Seine Stimme wurde immer lauter, seine Beschimpfungen immer primitiver. Joe forderte den Fremden auf, das Lokal zu verlassen, da schon die anderen Gäste aufmerksam wurden. Doch der junge Mann schrie, so laut er kennte: „Schau sie dir doch an! Sie ist Ausländerin, ich kann sie ruhig beschimpfen! Das Türkenpack ist zu nichts zu gebrauchen." Magdalena hatte schon vor einiger Zeit zu weinen begonnen, aber jetzt schrie sie auf und fing laut zu schluchzen an. Daraufhin stänkerte der Fremde weiter: „Siehst du, das Pack fängt zu flennen an, wenn ein gebürtiger Österreicher die Wahrheit sagt!" Joe hatte schon lange genug von ihm, aber diese Bemerkung brachte das Faß zum Überlaufen. Er holte aus, und seine Rechte traf den unbekannten Mann genau am Kinn. Dieser taumelte zurück, fing sich aber sogleich wieder, holte ein Messer aus seiner Tasche und begann auf Joe loszugehen. Magdalena war starr vor Angst, sie kennte nicht einmal die Polizei rufen, wie Joe ihr zugeschrien hatte. Das tatjetzt ein anderer Gast. Doch es war schon zu spät. Der fremde Mann mit dem Messer hatte Joe erwischt, genau in die Brust. Joe taumelte an den Tresen, dort fiel er dann ächzend zu Beden. Er war tot. Minuten später nur kam die Polizei. Magdalena hatte noch immer nicht so recht begriffen, was ics war, als die Polizisten jetzt den betrunkenen Messer stecher abführten. Sie wußte nur, daß Joe für sie gestorben war. Nach einer Weile kennte sie ihre Umgebung wieder wahrnehmen, und sie hörte immer mehr Gäste sagen, daß Magdalena an Joes Tod schuld sei. Einige von ihnen fingen auch an, sie zu beschimpfen. Menschen, die Tage vorher noch freund lich einen Drink bei ihr bestellt hatten, waren jetzt unfreundlich, sogar gemein zu ihr. Sie hielt das alles nicht mehr aus. Magdalena rannte in die Dunkelheit. Sie wußte nicht, wohin sie rannte, sie war blind vor Verzweiflung. Erst als sie er schöpft stehenblieb, erkannte sie, wo sie war: Sie stand auf der Brücke, auf der sie Joe kennengelernt hatte. Aber heute war Freitag, es war halb elf am Abend. Und diesmal würde kein Joe kommen, der sie überreden würde, nicht zu sprin gen. Ulrike Brand, III c
Zur aktuellen Diskussion um Asylwerber Insgesami: 27.^6 Asylanträge 1991 ^Asylbewefb€f I Jan F»ö Uia Uac Juni Jufi ~ Aug Sep< Ol Nw Dez Der Standard, Nr. 1/92 davon | Das AusländerprobleiTi stößt vied intne^^m'.: | ^ 2.4e9 (9.o%) | , Österreichern derzeit heftig i auf. Während die eine Seite absoI Asylanträge 1991 lut davon überzeugt ist, daß es ohi —————I Ji——r—I— nehin schon zu viele Ausländer in ! irlY 3 jIj Österreich gebe, meint die andere 3 000 j \ Seite, es wäre unsere absolute Asylwerbern unein- ' 3^ *T geschränkt zu helfen. Doch so einfach ist das Problem nicht. früheren Jahren, vor Zeiten der HochkonjunkAnfang 1970 einen regelrechten Bedarf an ausländisehen Arbeitskräften, ist der Markt Jan F»ö Uin Apci U« Jun Jufi Aug Se^ 0k1 Nw D«2 ^ V derzeit angeblich total gesättigt. Die Arbeitslosenzahlen steigen, r- , aber lediglich sogenannte Fach kräfte werden benötigt und eingestellt. Seit Zusammenbruch der kommunisti schen Regime in den Oststaaten hat eine regelrechte Einwanderungsweile Österreich überschwemmt. Durch oftmals sehr ungeschickte und manchmal auch sehr unmenschliche Maßnahmen hoffte man, der Situation Herr zu wer den und die Bedrohung unseres Wohlstandes abzuwenden. Leider half man dadurch aber weder der aufgeschreckten österreichischen Bevölkerung noch den Asylwerbern. Man quartierte diejenigen, die das Glück hatten, noch vor der Grenzsperre nach Österreich zu gelangen. In Massenun terkünfte ein bzw. versuchte durch Zwangausübung die Bürgermeister ver schiedener Bundesländer zu verpflichten, eine bestimmte Anzahl dieser be dauernswerten Menschen zu übernehmen. Aber da weigerten sich die traditio nellen Fremdenverkehrsgebiete, da diese um ihr Image bangten. Als der Druck auf die Regierung zu groß wurde, kam man von diesem Plan wie der ab. Was nun? Die Gewerkschaft versuchte das Problem dadurch zu be kämpfen, daß sie ihre Arbeitslosen in die Schlacht warf und den Arbeitsstrich verurteilte. Damit hatte sie nicht unbedingt unrecht, da doch viele Unterneh men versuchten, durch die offensichtlich billigen Arbeitskräfte zu Profiten zu gelangen. Denn die Menschen waren auf Arbelt angewiesen. Offizielle Arbelts genehmigungen waren infolge verschiedener Gesetze und bürokratischer Hindernisse nur schwer zu bekommen. Nun begann sich auch in der Bevölkerung Unmut zu regen. Gezielt geschürter Fremdenhaß, verpackt In Argumente, die den Arbeltsmarkt und die gestiegene Verbrechensrate betrafen, trugen einen großen Teil dazu bei. Es darf dabei
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