3. Jahresbericht HAK Steyr 1989/90

müßten dann Länder wie die Schweiz oder Schweden aufgenommen werden. Die rasanten Veränderungen in Europa lassen derzeit noch kaum Schlüsse auf Zukunftsentwicklungen zu. Jedoch sind diese Veränderungen nicht nur für die EG zu schnell geschehen. Ich glaube, bevor man beginnt, die Ostblockstaaten einzugliedern, sollte man ihnen Zeit geben, ihre inneren Probleme zu lösen. Ein Staat wie die CSFR, der derzeit noch nicht einmal weiß, ob er nun in Zukunft aus einem tschechischen und einem slowakischen Teil besteht, oder doch nur aus einem tschechoslowakischen, ist doch kein ernstzunehmender Kandidat. Wie soll sich nun Österreich verhalten ? Zu jenem Zeitpunkt, als der Antrag auf Aufnahme in die EG abgegeben wurde, herrschten in Europa noch eindeutige Verhältnisse: Österreich wollte zur EG, die EG wollte Österreich nicht unbe dingt. Als sich die Grenzen zum Osten öffneten, veränderten sich jedoch die Vorzeichen. Es ist wahrscheinlich, daß den Oststaaten in Zukunft der Zutritt zur EG ermöglicht wird. Die EG wird dadurch zweifellos weniger attraktiv. Umgkehrt wird Österreich für die EG ungleich attraktiver. Seit jeher ist Öster reich der Dreh- und Angelpunkt für die Beziehungen zwischen Ost und West. Aufgrund unserer guten Kontakte zu Moskau und unserer strategisch unge mein günstigen Lage, werden wir zweifellos zu einem begehrten Standort der internationalen Wirtschaft. Wo liegen nun unsere Chancen? Ich bin der Meinung, daß es nun abzuwägen gilt, ob der Beitritt zur EG in den nächsten Jahren weiterhin erstrebenswert ist. Eine Alternative zum EG-Beitritt wäre es sicherlich, das „Zünglein an der Waage" zu spielen. Wir sind als Verbindungsglied zwischen Ost und West unerläßlich geworden. Indem wir diese Position ausnützen, könnten wir einen Sonderstatus gegenüber der EG erreichen. Ob sich jedoch in Österreich der zeit geeignete Politiker befinden, um diese heiklen Manöver durchzuführen, ist zu bezweifeln. Ein Sonderstatus, der uns die Selbständigkeit ermöglicht, und uns trotzdem eine bevorzugte Stellung einräumt, bringt meiner Meinung nach folgenden Vorteil: Die vorwiegend in Klein- und Mitteibetrieben strukturierte österreichi sche Wirtschaft hätte im Falle des Fernbleibens der EG weniger Probleme beim Anpassen an die geforderten EG-Standards (ähnlich gelagert ist der Fall bei unserer Agrarwirtschaft). Andre Gluckmanns Zitat mag - wem auch immer gefallen die Einigung Euro pas ist kein Spaziergang, zu dem es „nur noch kurze Zeit, etwas Klugheit und ein wenig Liebe" bedarf, um ans Ziel zu kommen. Noch ist zu wenig Zeit ver gangen, um alle Veränderungen in Europa zu begreifen. Noch unmöglicher ist dies in bezug auf die EG. Da niemand weiß, wie es weitergeht, kann man Öster reich nur raten abzuwarten, sowie die Entwicklungen zu beobachten. Auch dür fen wir unsere gestärkte Position, die wir den Umbrüchen in Europa zu verdanken haben, nicht unbeachtet lassen. Auf lange Sicht wird es für alle europäischen Staaten ratsam sein, den EG-Beitritt anzustreben. Die Vereinigten Staaten von Europa sind die Zukunft, doch ist dieser Zusammenschluß aller Europäer eine Entwicklung, die über Jahrzehnte behutsam herbeigeführt werden muß. Ramnek Bernhard, Vb

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