Gegenwärtig hat Österreich ein enormes Flüchtlingsproblem. Knapp 200 000 Menschen suchen bei uns Zuflucht - und zwar großteils aus nicht wirtschaftli chen Gründen. Trotzdem ist in Österreich bereits wachsender Unmut zu be merken. Man stelle sich nun vor, diese Menschen kämen einzig und allein aus wirtschaftlichen Motiven. In der EG ist dies ab '92 gestattet. Jeder wird sich dort ansiedeln dürfen, wo es ihm genehm ist. Die „Völkerwanderung der wirt schaftlichen Art" wird Realität. Einige Aussteiger aus den hochindustriealisierten Staaten werden sich in südliche Regionen begeben, viele südliche „Einsteiger" (vielleicht ein Begriff, der sich in der EG noch etablieren wird) werden zum Sturm auf die „gehobenen" Wirtschaftsparadiese blasen. Spannungen werden da zweifellos nicht lange auf sich warten lassen. Die Einigung der Völ ker Europas wird voraussichtlich eine Angelegenheit der Gebildeten und der Idealisten bleiben. Die Politiker haben längst ihren Einfluß auf die Menschen verloren, doch gerade sie wären jetzt gefordert, den Europäern das Zusammenhängigkeitsgefühl zu vermitteln. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, sehe ich ebenfalls schwarze Wolken am Horizont: Bisher hieß das große Sorgenkind der EG „Landwirt schaft" samt ihren Butter- und Schweinebergen. Doch die EG hat mit einem nie gerechnet: mit der Öffnung der östlichen Grenzen. Nun stehen sie alle vor der Türe, die ehemals kommunistischen Staaten, mit einer vom wirtschaftli chen Plan zerstörten Wirtschaft, und begehren Einlaß. Anfangs schlössen sich nur die wirtschaftlich starken Staaten zusammen. Dann gewährte man, (der Grundidee der Vereinigten Staaten von Europa fol gend) einigen Sorgenkindern wir Irland, Portugal oder Griechenland den Zu tritt. Die EG bemerkte offensichtlich bald, daß Schritte in Richtung Ausweitung eine wirtschaftliche Schwächung bedeuten. Der nächste Türsteher, Öster reich, wurde mit einigen Ausreden (nicht vor '92, aber die Neutralität...) ins Wartezimmer zurückgeschickt. Und dann passiert plötzlich etwas Unerwarte tes: Es öffnen sich die Grenzen und die Deutschen stehen kurz vorder Wieder vereinigung - Europa macht somit rasante Fortschritte, um ein geeinter Konti nent zu werden. Nun hat die EG gewaltige Probleme. Allein schon der unvermeidliche Beitritt der DDR entfacht Streitigkeiten unter den Mitgliedern. Allen ist klar, daß eine derart desolate Wirtschaft, wie jene der DDR, nur eine Schwächung der EG darstellt. Doch die EG befindet sich nun im ideologischen Zwiespalt. Wenn die DDR beitragen darf, kann den anderen östlichen Staaten, sowie auch Öster reich, kaum derZutritt verweigert werden. Nimmt man jedoch zuviele desolate Wirtschaftssysteme auf, geht der Reiz einer wirtschaftlichen Kooperation ver loren. Wer meint, die östlichen Nachbarn seien ^ wirtschaftliche Chance, ohne in deren Infrastruktur Milliarden investieren zu müssen, der irrt. Auch jah relange EG-Mitgliedstaaten wie Irland oder Portugal schafften es nicht, ihre Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Mir erscheint eine Wirtschaftsgemeinschaft, in welcher die (wirtschaftlich) Starken ständig einzahlen, um die Schwachen am Leben zu erhalten, wenig erstrebenswert. Bisher verteilten sich die Verhältnisse relativ gleichmäßig, doch nun droht das Gleichgewicht zu kippen. Um einen Ausgleich zu schaffen.
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