Österreichische Illustrierte Zeitung, Heft 27, 1924

Stadt Steyr in Oberösterveich, ein Kleinod alten deutschen Städtebaues. (Ion Professor Gregor ßoldbacber in Steyr, Korrespondent des österreichischen Bundesdenkmalamtes. Mit Abb. auf Seite 5, 6, 9-12. Die Besucher der heurigen Beimattagung (9.—13. Juli) werden in Steyr die vielleicht einzig dastehende Uerquickung modernster Industriebauten mit wundersamen Zeugen mittelalterlicher Baukunst studieren können, die, räumlich nicht weit voneinander getrennt, jedes für (ich eigenartig und schon, zu anziehenden Dergleichen herausfordern. Kommt noch dazu, das; das ganze in den malerischen Rahmen zweier verhältnismässig enger Slufstäler hineingestellt ist, so dass die Stadt, am Rande der Alpen gelegen, eine geradezu unvergleichliche Umgebung besitzt, so ist es kein Wunder, dass wir Rinder der Stadt so leicht von der für den Oberösterreicher charakteristischen „Boam- krankät“ befallen werden, sobald wir unsere schöne Beimat verlassen. Und wenn Ihr nach Steyr kommt, Ihr liebwerten gaste, so schaut hinan zu dem prachtvollen Kranz unserer Berge, folgt dem glitzernden Doppel- bande der Gnns und Steyr, an deren Ufern nimmermüder deutscher Jleiss einen Kulturmittelpunkt, ein, viele Jahrhunderte altes Gifenemporium geschaffen hat, umgeben von echtem, altösterreichischem Bauerntum — Ihr werdet dann unser Beimweh verstehen. mit feinem Blick haben die Er= bauer unserer Stadt die günstige Oertlichkeit, am Zusammentreffen zweier Ciüasserstrassen, für die Er= riebtung einer grösseren Siedlung erkannt. Dicht unähnlich der sage von Kassau schmiegen sich die Bäu(ergruppen an die Bange und schmalen ebenen der tiefeingeschnittenen Jlussbette von Gnns und Steyr, die hier ihre (Dellen vermengen in meist smaragdener Klarheit. „siegst drinnät in Cal ÜJia äKind in da ttliagn!“ Die (JUechselfälle und Stürme fast eines Jahrtausends sind darüber- gerauscht und dennoch sind die alten seile der Stadt nahezu unverändert geblieben und überliefern uns ein wundersames Zeugnis bester alter Städtebau- kunst, in unserem Daterlande neben Salzburg nach allgemeinem Urteile wohl einzig dastehend. Gine schier unübersehbare jülle architektonischer formen, eine Unzahl lauschiger (Dinkel, eine reiche Auswahl durchwegs in wenigen Minuten erreichbarer Aussichtspunkte auf Stadt, fand und gebirge lassen wohl Dergleiche mit den schönen, alten Städten Deutschlands zu. Ceopold V. den tugendhaften, der in diesem Jahre mit der Steiermark belehnt wurde. Auch das Kloster garsten (heute Strafanstalt), dessen prachtvolle Barockkirche mit ihren Riesengobelins ein Bauwerk vollendeter Schönheit ist, verdankt den traungauern seine Gntstehung. Kleingewerbetreibende, Gisenarbeiter und sesshafte Deute siedelten sich bald um die Burg an und legten so den gründ zur heutigen Stadt. Diel musste das kleine Ge- meinwesen erdulden: Die Unbill der gegenreformation, die Schrecken der oberösterreichischen Bauernkriege und unzählige Drangsalierungen fremder Soldateska; verheerende Brände, die ganze Stadtteile in Asche legten und zahllose Ueberschwem- mungen zehrten an dem (Dohlstand der Bewohner. Dersalisman jedoch, welcher der Stadt immer wieder neue Blüte schenkte, war das Gisen. Seit den ältesten Zeiten blühte hier eine ausgedehnte Gisenindustrie. Schon die Römer führten aus dem „Innerberg“ (dem berühmten steirischen Grzberg) das wertvolle Metall auf dem (Dasserwege ennsab- wärts und das gewerbe der Steyrer Messerer und Waffenschmiede gelangte durch die Sortierung der Ottokare zur Blütezeit. Zur Regierungszeit des letzten Ritters wurde mit der Bestellung von Schiesswaffen begonnen und bald wurden in aller (Delt die Steyrer Gisenwaren bekannt und berühmt; so hatten beispielsweise die Steyrer Messerer im Jon- daco dei sedeschi am ganale grande in Denedig eine (Darenniederlage und die heute so vielgenannte Solinger Industrie wurde von Steyrer Messerern gegründet, welche infolge der gegenreformation den Wanderstab ergreifen und Steyr verlassen musstenln unzähligen Bä'ufern der Stadt und Umgebung glühten die Jeuer und pochten die Bämmer; als aber Josef Werndl in der zweiten Bälfte des vorigen Jahrhunderts seine grosse Waffenindustrie gründete, derenObjekte zuerst auf den Inseln der grünen Steyr und dann knapp vor dem Weltkriege auf der östlichen Gnnsterrafse errichtet wurden, da war es zuGnde mit der jahrhundertealten Gisen- beimarbeit, denn die „Jabrik“ saugte alle Kräfte auf! Dun aber Blick und Juss empor zur Keimzelle der Stadt, zur uralten Styraburg! Reine Gpoche deutscher Runst- entwicklung ist an diesem prächtigen Schloss- bau spurlos vorübergegangen. Gin mächtiges Barocktor mit künstlerischem Wappenschmucke führt uns in den grossen stillen Schlosshof mit einem zierlichen Uhrturm und einem breiten Gckturm, dem sogenannten „Römerturm“. Wertvolle Kunstschätze an Möbeln und Bildern bergen die Die Geschichte der Stadt ist ungemein wechselvoll und alt. Das Jahr 980 gilt als das Grbauungsjabr der „Styraburg“, welche sich kühn in Dreiecksform auf dem keilförmigen Zeisen über dem Zusammenfluss der Gnns und Steyr erhebt. Bier war der Berrschersitz der mächtigen Ottokare, der sraungauer grafen, welche nach und nach ihr gebiet über die ganze nördliche Steiermark ausdehnten, dem Das „Bummerlbaus“. Pboto: 6. Plietzel, Steyr. die Burg auch den Damen und das steirische Wappentier, den feuerspeienden Panther mit Das Biirgerspital. Dr. R. Klunzinger. dem weiss-grünen Jarbengrunde, gab. Im Jahre 1180 erhielten die Ottokare von Kaiser Rotbart die Berzogswürde, allein der erste Berzog war auch der letzte seines Stammes. Durch Erbvertrag kam die Stadt 1192 an Berzog 2 9 27/1924

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