Österreichische Illustrierte Zeitung, Heft 27, 1924

XXVI harre ihm einmal das Leben gerettet, als er auf dem Pumpe durch das Eis gebrochen war. Er setzte das Horn wieder an und blies dreimal auf eine andere Art. „Dennso können wir ja frühstücken," meinte der Wulfsbauer, als er aus dem Sattel war, zu Thedel; „mach die pferde an und gib die Holster her! Ihr könnt mithalten; wir haben reichlich." Er packte aus: da waren Würste und dicke Scheiben Schinken undBraten und eine halbe gebratene Gans, ein großes Stück Rase, zweierlei Brot und eine große Blechfiasche. Die anderen machten lange Augen. „Lebt ihr immer so?" Harm lachte: „Mehrstens! aber nehmt man dreiste an, es ist nicht geraubt und nicht gestohlen, das heißt, von uns nicht, denn die drei Marodebrüder, denen wir das gestern abnahmen, wer- den es wohl nicht mit barem Gelde bezahlt haben. Aber wie steht es in (ödringen aus?" Bolle hob die Faust, in der er das Messer hatte, auf und ließ sie auf Sen Boden fallen. „ «ödringen?" er zuckte die Achseln, „Odringen, das gibt es nicht mehr. Alles ein Schutt und ein Müll!" Als der Wulfsbauer und Thedel ihn ansahen, erzählte er: „Drei Wochen lang war alles ruhig, da zogen einige wieder hin. Hingst- manns undEickhofs und Boftelmann undBruns auch. Die andern rieten ihnen ab, aber sie wollten ja nicht hören. Und den einen Abend, wir waren gerade da- bei, das letzte Grummet einzuholen, da sahen wir Über dem Dorfe einen hellichten Schein und bald daraufkam Tidke, du weißt doch, der Hütejunge bei Hingftmanns, und der erzählte, daß zwei Taternweiber einer Bande von Mordbrennern den weg gewiesen haben, und kein einer Mensch ist lebendig geblieben." Er machte einen bösen Mund, lachte dann und erzählte weiter: „Tidke hatte gewacht, weil das eine Kohlen krank war, und so konnte er sich bergen. Die anderen sind meist im Schlafe umgebracht. Alle Hunde lagen tot da; die Taternweiber werden ihnen Gift hiN- geworfen haben." Er schnitt von dem Brot, das er in der Hand hatte, ein Stück ab, steckte es in den Mund, stippte ein Stück Braten in die Salzdose und steckte es auch in den Mund, und als er beides auf hatte, fuhr er fort: „Wir sind in der flacht gleich losgeritten und haben von Überall Hilfe geholt; wir waren unser achtzig und nüchtern, und die Bluthunde knapp dreißig und besoffen. Es ist keiner von ihnen am Leben geblieben. So Stücker zwanzig schossen und schlugen wir gleich tot, als sie über die Magethaide kamen und in das Düsterbrok wollten, und die anderen, es waren zehn oder elf, die fingen wir lebendig und nahmen sie in das Bruch mit." Er sah erst Harm und dann Thedel an, nickte mit dem Ropfe und griente: „Und dann hielten wir Gericht Über sie ab. Tidke mußte bei jedem angeben, was damit gemacht werden sollte, weil er doch gewissermaßen darüber zu sagen hatte, denn seiner Mutter, sie war schon Über siebzig, hatten sie auch den Hals abgeschnitten. Alle haben sie geschrien wie die Wilde«, und gebetet und gebettelt haben sie, als es ihnen an denSchluck ging, bis auf das eine Tatern frauenzimmer, die junge, die eigentlich ganz glatt aussah bis auf die gelbe Haut und das schwarze Haar, denn das war ein Beist und schimpfte bloß, als wir sie aufhinge«, und biß um sich, wie ein Fuchs, der im Eisen sitzt. Aber geholfen hat ihr das nichts, denn Tidke sagte: Die hat Bruns lüttjen Jungen mit den Ropf gegen den Dössel geschlagen! Erst sollte sie bloß nackigt ausgezogen werden und durchgepeitscht, aber als wir das hörten, hingen wir sie zu alleroberst an die Eickel" Er lachte lustig: „Wie der olle Baum aussah, sage ich dir, als die elf Galgenvögel daranhingen! Ulen- vater sagte: Das ist ja ordentlich, als wenn wir ein Mastjahr haben! Und gelohnt hat es sich auch; übet zweihundert Dukaten hatten die Völker bei sich." Als sie mit dem Frühstücke fertig waren, brach Harm mit Thedel auf. Sie ritten erst nach (ödringen. Da stand kein Haus mehr; alleHöfe waren aufgebrannt. „Ich habe es ihnen ja vorausgesagt, daß es so kommen mußte," sagte der Bauer; „aber schrecklich ist es doch; das schöne Dorf! Romm, ich kann das nicht mit ansehen. Und alle tot, Alle! Hingstmanns und Bruns und Eickhoffs und Bostelmann undRlausmutter auch. Wie oft hat sie mir nicht einen Apfel mitgegeben für Hermken, denn sie hatte da einen Baum, so schöne Äpfel hatten wir alle nicht. Es ist zum Gotterbarmen!" AIs sie vor demBruche waren, hielten sie, und Thedel mußte blasen. Es dauerte wohl eine Viertelstunde, da kam Rlaus Henneke mit einem Rnecht hinter den Büschen hervor. Beide hatten scharf gemacht und hatten ein wahres Ungetüm von einem Hund bei sich. Harm rief sie mit Vlamen an, und da kamen sie näher, aber erst, als sie dicht bei ihnen waren, sicherten sie ihre Büchsen und riefen den Hund an. Rlaus freute sich aufrichtig, als er Harm sah. „Ich dachte all, du wärst nicht mehr am Leben! Ja, hier hat sich allerlei geändert. Unser Vater ist tot und unsere Mutter ist ihm bald nachgefolgt. Das ist kein Leben für solche alten Leute, wie wir es jetzt hier im Bruche haben; die Wölfe haben es besser. Ein paar von den Rnechten sind schon ausgerückt und unter das Volk gegangen, verdenken kann es ihnen auch keiner, denn wer will hier in Busch und Braken herumliegen und Rindenbrot und Wurzeln essen. AnFleisch mangelt es ja nicht, denn wir schießen und fangen so manchen Hirsch und manches wilde Schwein, aber ein Leben ist das nicht, so wie das jetzt ist. Man kommt auf ganz dummerhaftige Gedanken dabei. Mertensvater hat sich all' aufgehängt!" Dem Wulfsbauer, dem das wilde Leben im Lande das Herz verhärtet hatte, zog sich dennoch die Brust zusammen, als er nach dem peerhobsberge kam. „Du lieber Gott im Himmel, wie sehen die Leute aus!" dachte er; „und wohnen tun sie schlechter als dasvieh!" Aus Fuhren und piaggen hatten sie sich notdürftig Hütten gebaut und sie mit Reet und Risch bedeckt; auf Haidstreu und Torfmoos schliefen sie und ihr Eßgeschirr war aus Ellernholz. Die Frauen waren alle blaß und elend, kein« von den Rindern hatte rote Backen und dicke Beine, und dieMänner hattenAugen, so falsch wie die Buschkater. Aber sie freuten sich doch alle, als sie die beiden ankommen sahen, denn es war doch wieder einmal eine Abwechsiung in dem elenden Leben. Die großen Bauern, die Thedel bislang bloß von der Seite angesehen hatten, konnten ihn nicht genug ausfragen. Doch der Rnecht, der in feinem ledernen Wams und den hohen Rrempstiefeln wie ein Rriegsmann aussah, gab nicht viel von sich. „Ja, was ist da viel zu erzählen? Wir haben so viel Elend gesehen, daß es nicht zu sagen ist. Stellenweise müssen sie Wachen vor die Rirchhöfe stellen, damit das verhungerte Volk nicht die Toten auffrißt. vor peine haben wir gesehen, wie ein Rerl gerädert wurde, der Rinder gestohlen hat, und die hat

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